Schweitzer Fachinformationen
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Im Zuge der nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmenden Öffnung nationalstaatlicher Grenzen haben internationale Organisationen immer mehr Aufgaben übernommen, die vormals in der ausschließlichen Kompetenz des Nationalstaates lagen. Die Entwicklung zunehmender Entscheidungs- und Sachautorität internationaler Organisationen hat gesellschaftliche Folgen, die auf die internationalen Organisationen zurückwirken, so die hier vertretene These. Konkret argumentieren wir, dass die von dieser Internationalisierung betroffenen Gesellschaften sich der Bedeutung internationaler Organisationen zunehmend bewusst werden und in diesem Zusammenhang mehr oder weniger kritische Einstellungen zu ihnen entwickeln. Ihre Verfahren und Politiken generieren ein erhebliches Maß an gesellschaftlicher Unzufriedenheit, das sich sowohl in einer erhöhten Bereitschaft zu Protesten niederschlägt als auch in einer Unterstützung für die Nichtbefolgung internationaler Vereinbarungen und Rechtsakte seitens der eigenen Regierung.
Eine solche Ausbildung kritischer Einstellungen bzw. eines Protestpotentials wird von uns – ganz im Sinne des Einleitungskapitels dieses Sammelbandes – als Charakteristikum eines umfassenden Politisierungsprozesses aufgefasst. Entlang verschiedener Ansprüche an das Regieren werden von uns dabei zwei Mechanismen (oder Modi) von Politisierung unterschieden, die wir im Folgenden als Input- und Output-Politisierung bezeichnen.
So gehen wir im Falle einer »Input-Politisierung« davon aus, dass sich – wie in anderen Zusammenhängen politischer Herrschaft auch – mit der Wahrnehmung zunehmender Macht von politischen Akteuren demokratische Ansprüche auf inklusive, transparente und responsive Entscheidungsverfahren entwickeln. Diesen Ansprüchen werden die existierenden Entscheidungsverfahren in internationalen Organisationen allerdings kaum gerecht. Die Folge ist eine erhebliche Unzufriedenheit der Bürger. Sie trägt signifikant zu ihrer Bereitschaft bei, gegen internationale Organisationen zu protestieren bzw. Regierungen darin zu unterstützen, deren Entscheidungen nicht zu befolgen.
Geht es bei der Input-Politisierung um die »Grammatik« der Politik, bezieht sich »Output-Politisierung« auf die Leistungsansprüche der Bürger an internationale Organisationen, also auf die Inhalte von Politik bzw. die Güter, die internationale Organisationen zu liefern haben. Die wachsende Macht internationaler Organisationen resultiert unseres Erachtens nicht nur in einer Fokussierung auf deren demokratische Legitimität, sondern auch in einer verstärkten Leistungserwartung. Ihre größere Autorität weckt Ansprüche an die effektive Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme wie Unterentwicklung bzw. Rezession, Umweltverschmutzung oder militärische Konflikte. Auch diesen Erwartungen können internationale Organisationen vielfach nicht entsprechen – eine weitere wesentliche Quelle gesellschaftlicher Unzufriedenheit mit internationalen Organisationen und einer daraus resultierenden Bereitschaft zu Protest bzw. Unterstützung für nationalstaatliche Widerstände gegenüber internationalen Organisationen.
Für die Stichhaltigkeit dieser These spricht zunächst eine Reihe von bereits vorliegenden Forschungsergebnissen. So gab es laut gängiger Einschätzung über Jahrzehnte einen sogenannten permissiven Konsensus gegenüber dem Projekt der europäischen Integration aufgrund der Leistungszufriedenheit der Bürger mit den Resultaten der europäischen Einigung (wirtschaftliches Wohlergehen, Frieden etc.) (vgl. Lindberg/Scheingold 1970, S. 41). Auch öffentlichkeitssoziologisch inspirierte Analysen medialer Legitimitätsdiskurse haben darauf verweisen, dass die Fähigkeit, akute Probleme zu lösen, ein wesentlicher Maßstab ist, anhand dessen gesellschaftliche Akteure die Europäischen Institutionen bewerten (vgl. Follesdal 2007, Ecker-Ehrhardt 2007). Mit dem Wachstum staatlicher Autorität auf europäischer Ebene wurden aber zunehmend auch Legitimationsansprüche an diese neue politische Ordnung gestellt. Kritik am demokratischen Defizit im Zuge des »Post-Maastricht Blues« (Eichenberg/Dalton 2007) löse, so wurde verschiedentlich argumentiert, den permissiven Konsensus auf (vgl. Rohrschneider 2002). Folgt man dieser Diagnose, so sicherte eine positive Evaluation des Outputs über lange Zeit die Zustimmung zu den EU-Institutionen und deren Entscheidungen, während Wahrnehmungen eines Demokratiedefizits diese Zustimmung im Sinne einer Input-Politisierung zunehmend in Frage stellen.
Auch mit Blick auf internationale Organisationen im Allgemeinen ist eine vergleichbare Input-Politisierung bereits verschiedentlich vermutet worden (vgl. Zürn 2004, Ecker-Ehrhardt/Zürn 2007, Zürn et al. 2007). Allerdings wurde diese Diagnose von anderen Autoren aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen vehement bestritten. Nicht ein Mangel an demokratischen Verfahren sorge für gesellschaftliche Unzufriedenheit und Protest, vielmehr seien internationale Organisationen wie Weltbank oder WTO wegen ihrer »falschen Politik« massiv in die Kritik geraten. Diese entzünde sich gerade an ihrem Output, kaum an ihren Verfahren (vgl. insbesondere Nölke 2007). In der Tat haben sich aus Analysen mit den Daten des European Social Survey erste Hinweise darauf ergeben, dass die Input-Politisierung gegenüber der Output-Politisierung im Falle internationaler Organisationen eher zurückzustehen scheint (vgl. Wessels 2004). In welchem Ausmaß das jedoch tatsächlich zutrifft, konnte bisher aufgrund fehlender Daten nicht bestimmt werden. Mit einer auf diese Frage zugeschnittenen und durch das WZB in Auftrag gegebenen repräsentativen Bevölkerungsumfrage kann diese Forschungslücke nunmehr angegangen werden[15].
Unser Argument entwickelt sich gemäß der bereits kurz skizzierten Elemente des behaupteten Politisierungsprozesses: Wir diskutieren erstens, inwiefern internationale Organisationen und Institutionen den Bürgern in so hinreichendem Maße bekannt sind, dass sie als Objekte politischer Einstellungen überhaupt zur Verfügung stehen und tatsächlich als machtvoll wahrgenommen werden. Zweitens wird geprüft, ob gegenüber internationalen Organisationen tatsächlich Defizitwahrnehmungen hinsichtlich der Input- und Output-Dimension vorliegen. Abschließend gehen wir der Frage nach, inwiefern sich erzeugte Unzufriedenheit, wie behauptet, in politisches Handeln umsetzt und Politisierung somit zu einem nicht bloß mentalen, sondern auch politisch relevanten Prozess macht.
Die Entwicklung konkreter Ansprüche an bzw. die Unterstützung von politischen Institutionen setzt ein Mindestmaß an Kenntnissen voraus. Diese Frage bezieht sich auf Faktoren, auf die Aldrich, Sullivan und Borgida (1989, S. 125) mit Blick auf außenpolitische Einstellungen verwiesen haben: die issue availability und issue accessibility. Availablity bezieht sich dabei darauf, ob ein (Einstellungs-)Objekt überhaupt im Gedächtnis gespeichert ist, accessibility darauf, inwieweit und wie schnell das (Einstellungs-)Objekt aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann. Ohne kognitiven Zugang zum Einstellungsobjekt können dessen Evaluierung und daraus resultierende Handlungskonsequenzen nur bedingt erfolgen. Wie bei Analysen zur Unterstützung der europäischen Integration immer wieder festgestellt wurde, waren beispielsweise die europäischen Institutionen für die Bürger europäischer Gesellschaften lange Zeit weit von ihrem Alltagsleben und ihrer politischen Kommunikation entrückte Objekte. Diese lebensweltliche Distanz hatte zur Folge, dass Bürger ihnen gegenüber keine spezifischen Einstellungen ausbildeten. Frühe Studien zu Legitimations- und Leistungsansprüchen der Bürger Europas mussten sich darum regelmäßig die Frage stellen lassen, inwieweit sie mit ihren Fragen nicht lediglich spontane Antworten bzw. non-attitudes generierten, die keinerlei Rückschlüsse auf das Vorhandensein politisch bedeutsamer Erwartungen, Ansprüche und Unterstützung zuließen (vgl. Lindberg/Scheingold 1970). Es ist daher im Sinne der Politisierungsthese zentral zu klären, in welchem Maße die Bürger überhaupt Orientierungen gegenüber internationalen Organisationen ausgebildet haben.
Als grober Indikator für das Vorhandensein bzw. die Zugänglichkeit von Einstellungen zu internationalen Organisationen dient die Antwortfähigkeit der Befragten bei der ersten Frage zu internationalen Organisationen und anderen Akteuren. Der Durchschnitt derjenigen, die bezogen auf sechs internationale Organisationen (G8, EU, UNO, WB, IWF, WTO) eine Orientierung entwickelt haben, liegt bei 5,51 von 6,00. Nur 1,5 Prozent Befragte konnten zu keiner der Organisationen eine Angabe machen (Tabelle 1). Diese Werte sprechen dafür, dass zumindest eine Reihe der bedeutenderen internationalen Organisationen für den Großteil der deutschen Bevölkerung als Einstellungsobjekte available und accessible sind. Sie sind augenscheinlich so sichtbar und relevant geworden, dass eine Orientierungsbildung über sie selbst für die Bevölkerung in ihrer Breite keine besondere Herausforderung darstellt. Werden die USA als...
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