Schweitzer Fachinformationen
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Um aus der Krise zu finden, bricht Martin Zinggl ins Unbekannte auf: zu Fuß entlang des Sultans Trails. Wien-Istanbul, acht Länder, 2.400 Kilometer, unzählige Grenzen, sichtbare und unsichtbare. Mit Zeit und Neugier im Gepäck erlebt er auf alten Pfaden neue Geschichten. Der Balkan empfängt ihn mit Gastfreundschaft und Misstrauen. Dorfbewohner beherbergen ihn, Straßenhunde jagen ihn, Flüchtlinge im Wald warnen ihn: falsche Richtung, Freund! Jeder Tag ein Kampf: mit der Natur, den Beinen, den Gedanken. Jede Grenze eine Prüfung, jede Begegnung eine Lektion. Und irgendwann, zwischen Schmerzen und Erkenntnissen, ist er weiter, als er je dachte. Mit Tempo und Tiefgang erzählt Zinggl vom Gehen, Staunen und der Fremde.
»Wer eine ähnliche ausschreitende Selbsterfahrung plant, sollte das Buch als Vorbereitung lesen - wer nie auch nur auf solche Ideen käme, wird sich am Pool chillend erst recht darüber amüsieren können.«DATUM, Anatol Vitouch
»Der Zinggl schmorte im Unglück. Und wanderte los. Und das Glück kam zurück. Am Ende kam das zweite Glück: darüber schreiben. Auch das kann der Kerl.«Andreas Altmann
»Die Magie und die Mühsal des ungeschützten Unterwegsseins erzählt von einem, der die Ferne sucht, weil er hofft, dass sie ihn rettet.«Wolfgang Büscher
»Martin Zinggls boots are made for reading! Ein grossartiger Text über eine Wanderung, gegen die sich der Jakobsweg wie ein Weg zum Supermarkt an der Ecke anfühlt.«Dirk Stermann
»Lassen Sie sich auf diese Reise mitnehmen.«Nina Brnada
Auf einen Blätterteig streicht man eine Füllung aus Topfen, Vanille, Zucker, Dotter, Salz und abgeriebener Zitronenschale. Danach werden die Enden zusammengeklappt, sodass sie einander in der Mitte des bierdeckelgroßen Quadrates treffen, und die Oberfläche dieses Teigtascherls mit verquirltem Eigelb bestrichen. Nach zwanzig Minuten im Backofen hält man eines der köstlichsten Feingebäcke überhaupt in Händen: die Topfengolatsche1, wie wir in Wien dazu sagen. Und, weil Wien die Hauptstadt der Mehlspeisen ist, gibt es in meiner Heimat auch die besten Topfengolatschen der Welt - das behaupte ich jetzt einfach mal. Nämlich in jener stadtbekannten, nach einer Giuseppe-Verdi-Oper benannten Konditorei, in der das gesamte Interieur, inklusive Uniformen der Mitarbeiterinnen, schweinchenrosa gehalten ist: der Aïda.
Mit jeder Minute in einer ihrer Filialen wächst das Risiko, die eigene Realität mit jener Barbies zu verwechseln, doch das kulinarische Aushängeschild der Konditorei macht den Schmerz über die visuelle Überreizung vergessen. Der Geschmack frischer Aïda-Topfengolatschen begleitet mich seit Kindheitstagen. Jeder Bissen versetzt mich zurück in eine warme Stube, in der ich, wohlbehütet und von Mutters Liebe umsorgt, dieses knackige Blätterteigtäschchen mit seiner seidig weichen Füllung genieße, ohne mir Gedanken oder Sorgen über die Welt und ihre Schrecken machen zu müssen.
Nun lehne ich an einer rosaroten Theke vor einer rosaroten Wand, schiebe eine rosarote Vase mit rosaroten Plastikblümchen darin zur Seite und stopfe mir in Windeseile eine Topfengolatsche in den Mund, also gut, zwei, um mir danach mit einer rosaroten Serviette die Brösel im Gesicht zu verreiben. Das Erfreuliche daran: Ich spüre wieder jede Unruhe auf meiner Haut. Nach sieben langen Wochen in der selbstauferlegten Kur im Waldviertel haben meine Nerven erste Lebenszeichen von sich gegeben und den Anfang vom Ende der Parese eingeleitet. Der heilsame Effekt des Gehens und die Ruhe - sie wirkten tatsächlich Wunder. Ich bin genesen, zumindest äußerlich.
Durch einen rosaroten Schriftzug auf der Auslage der Konditorei blicke ich hindurch auf den Stephansplatz, das Epizentrum der Reichen, Satten und Schönen. Tausende tummeln sich um den Steffl, Wahrzeichen und geografischer Mittelpunkt Wiens: Lieferanten, Touristen aus aller Welt, gejagt von Touristenfängern aus aller Welt, vereinzelt Anrainer und Einheimische, viele davon mittlerweile zu Misanthropen geworden, oder solche, die es nicht besser wissen und sich in das stark frequentierte Zentrum wagen, um nachher - typisch wienerisch - darüber zu granteln, dass die Stadt von Fremden eingenommen wird. Gründe, sich zu beschweren, gehen uns in Wien nie aus, egal wie sehr sie an den Haaren herbeigezogen sind: Die Bim2 kommt zwei Minuten zu spät, auf der Rolltreppe stehen Unwissende fälschlicherweise auf der linken Seite und versperren den Weg für die Eiligen, auf der Mariahilfer Straße bleiben Passanten plötzlich grundlos vor einem stehen, im Supermarkt öffnet keine zweite Kasse, obwohl in der Schlange bereits drei Kunden warten, aus der Wohnung des Nachbarn riecht es nach südländischer Küche oder eben: eine verstopfte Wiener Innenstadt.
Als ich zum Turm des Doms aufschaue, schlägt die Pummerin, eine aus Kanonen des osmanischen Heeres gegossene Glocke, bedächtig zur neunten Stunde. Es ist ein Mittwochmorgen im Mai - der 10. Mai, um genau zu sein -, und ich bin bereits viel zu spät dran. Das Datum habe ich nicht willkürlich gewählt. Exakt heute vor 494 Jahren verließ ein hoch motivierter Mann seinen Palast in Konstantinopel, wie Istanbul zu jener Zeit noch hieß, um nach Wien zu kommen. Ob zu Fuß, hoch zu Ross oder überhaupt nur in einer Sänfte, bleibt genauso ungewiss wie vieles andere seiner Reise, etwa die gewählte Route. In jedem Fall, diesbezüglich sind sich Historiker einig, verlief sie über Land. Höchstwahrscheinlich ist der Mann keinen einzigen Meter selbst gegangen, aber nach 141 Tagen ist er angekommen. Sein Name war Süleyman, er war 35 Jahre alt und hatte nur ein Ziel vor Augen, das ihn antrieb, diese lange Strecke zu bewältigen: Wien einzunehmen!
Süleyman war Sultan des Osmanischen Reiches und der wohl bedeutendste Herrscher in dessen Geschichte. Seine Macht reichte bis nach Persien im Osten, nach Nordafrika im Südwesten und nach dem Balkan im Nordwesten. Doch die Gigantomanie des Prächtigen, wie sich der Sultan auch nennen ließ, schrie nach mehr. Süleyman schielte auf das Römische Reich, seine größte Konkurrenz. Ungarn war bereits unter seine Fittiche gefallen, Wien war als Nächstes dran. Die Ereignisse in diesem Jahr 1529 sind in unzähligen Schinken lang und breit erzählt worden, darum halte ich es hier kurz: Nach der strapaziösen Reise durch Südosteuropa trafen Süleyman und sein 170 000 Mann starker Tross auf 17 000 Wiener, die sich hinter einer meterdicken Mauer verschanzten und die Stadt mit Herzblut verteidigten. Achtzehn Tage währte die Belagerung, in deren Verlauf die Angreifer ihr gesamtes Arsenal aufbrauchten, bis der Sultan und sein Heer frustriert den Rückzug antraten. Wien feierte seine Helden. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit des Osmanischen Reiches war gebrochen. Das christliche Westeuropa atmete erleichtert auf, die Angst vor den Osmanen war vorerst verpufft. Die »Türkengefahr«, wie die Bedrohung aus dem Südosten seinerzeit bezeichnet wurde, ist trotzdem in den Köpfen vieler bis heute lebendig. Als Erste Wiener Türkenbelagerung fand der gescheiterte Feldzug in die Geschichtsbücher Eingang und leitete gleichzeitig den Anfang vom Ende Süleymans ein. Zwei weitere Versuche, Wien zu stürmen, unternahm er in den darauffolgenden Jahren. Beide scheiterten. Beim dritten Mal ließ der Sultan nicht nur Ruhm und Ehre, sondern auch sein Leben auf dem Schlachtfeld.
Türken, Österreicher und alle dazwischen, wie Griechen, Slawen und Ungarn - die Geschichte vereint uns, eine europäische Erinnerung vieler Menschen in ebenso vielen Realitäten, wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Wir teilen dieselbe Vergangenheit, und doch haben wir in der Gegenwart wenig gemein. Als geeintes Europa steuert der Kontinent auf eine gemeinsame Zukunft hin, zumindest auf dem Papier, doch seit Jahren erlebe ich ein Europa, das mit Spaltungsgedanken spielt, Staats- und Regierungschefs wählt, die das Trennende vor das Verbindende stellen. Knapp 500 Jahre nach Süleymans größenwahnsinniger Mission mache ich mich auf den Weg in umgekehrter Richtung. Ich will von Wien nach Istanbul marschieren, allerdings in friedlicher Absicht. Meine Ambition heißt nicht Expansion, sondern Auszeit. Meine Eroberung ist der Weg dorthin, mein Ziel das Gehen.
Ich blättere durch die leeren Seiten in meinem Wanderpass, den ich von der Sultans Trail Foundation zugeschickt bekommen habe. Die niederländische Stiftung aus Ehrenamtlichen und Outdoorbegeisterten hat 2009 den Weitwanderweg ins Leben gerufen, um ein Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung zu setzen. Sie sind es, die die Route vorgeben, welche Ost und West verbindet und in groben Zügen jenen alten Handelswegen und römischen Militärstraßen folgt, die Süleyman einst genommen haben soll. Mein Blick bleibt beim einzigen Stempel in dem Wanderpass hängen. Auf der ersten Seite, links oben, prangt in schwarzer Farbe ein Abbild des Steffls - verkehrt herum, da der Mann am Infoschalter des Doms meinen Wanderpass gestempelt hat, ohne genau hinzuschauen.
Mit einem rosaroten Schleifchen in den Haaren serviert eine Kellnerin die dritte Topfengolatsche, die ich als Wegzehrung einpacke. »Na, Fasching verschlafen oder Midlife-Crisis?«, fragt sie, als sie meine Aufmachung sieht. Neben meinem Rucksack trage ich nagelneue Trekkingschuhe, eine ranzige Armyhose, deren Stoff spröde und rissig ist, ein ausgewaschenes Shirt und darüber ein rotkariertes Holzfällerhemd. Und auf dem Kopf einen Strohhut mit Muscheln, den ich vor zwanzig Jahren in Bangkok gekauft habe.
Pfhht, Lebenskrise, das ist ja lächerlich, denke ich. »Weder noch«, antworte ich mit stolz geschwellter Brust, »ich gehe bloß zu Fuß nach Istanbul.«
Sie runzelt die Stirn. »Machst du so was öfter?«
»Nein. Eigentlich bin ich ein ganz normaler Mensch.«
»Aber, warum dann um alles in der Welt?«
Die Kellnerin ist nicht die erste Person, die das von mir wissen will. »Eine Reise braucht keine Beweggründe«, schreibt der Schweizer Autor Nicolas Bouvier in Die Erfahrung der Welt. »Sie beweist sehr rasch, dass sie sich selbst genug ist.« Auch wenn die Frage nach dem Warum verständlich ist, kann ich sie nicht mehr hören. »Du willst zu Fuß nach Istanbul?«, »Über den Balkan?«, »Allein?«, »Als Vegetarier?«, »Im...
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