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Eine Geschichte vom Brennpunkt der Welt
Am Anfang war die UN: Im November 1947 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Teilungsplan für das britische Mandatsgebiet Palästina - ausgenommen Jerusalem. Diese Stadt, auf die alle drei monotheistischen Religionen Anspruch erhoben und dies bis heute tun, sollte ungeteilt in die Obhut der UN übergehen. Doch der Israelisch-Arabische Krieg vereitelte 1948 diesen Plan. Jerusalem wurde in Ost und West geteilt mit einer Exklave im Nordosten der Stadt.
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Die Versuchung ist groß, das Schicksal der Hebräischen Universität im Jahr 1948 als von Beginn an feststehenden Schlussakt eines Dramas zu lesen, in dem sich Zerstörung und Erlösung mischen. Seit den ersten Initiativen war die Gründung der Universität auf dem Skopusberg mit einer politisch-theologischen Fracht beladen, die ihre Gründerväter immer wieder betonten, wenn sie die Worte des Propheten Jeremia zitierten: »Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.«1 Seit die zionistische Bewegung begonnen hatte, die Vision von einer Universität zu verwirklichen, offenbarte die hebräische Sprache die Gefahr, einen abstrakten religiösen Vers in einen konkreten Plan zu übersetzen2 - einen »dritten Tempel«, wie Chaim Weizmann, der 1913 vom 11. Zionistenkongress mit der Initiative betraut worden war, es in einem Brief an seine Frau Vera nannte.3 Wenngleich der Erwerb des Grundstücks von John Gray Hill während des Ersten Weltkriegs dem Zufallsspiel von Angebot und Nachfrage auf dem lokalen Immobilienmarkt geschuldet war, handelte es sich beim Skopusberg doch um einen Ort, der von Symbolen des Heiligen nur so strotzte. »Von unserem Haus aus«, schrieb Gray Hill 1912, »bietet sich der, wie ich meine, erhabenste und prachtvollste Anblick der Welt. Von der einen Seite blicken wir herab auf die Heilige Stadt und auf das große Areal, auf dem sich einst der Tempelberg befand [.] und gen Norden erblicken wir unzählige Dörfer des Alten Testaments, Rama, Mitzpa und Michmasch. Wir überschauen also ein Land, das größtes menschliches Interesse und tiefste menschliche Gefühle weckt. So werden Sie gewiss verstehen, warum wir so vom Heiligen Land begeistert sind.«4
Tatsächlich lassen sich vom Rücken des Skopusbergs, der höchsten Erhebung im Umkreis, biblische Schauplätze überblicken, die für die Geschichte der hebräischen Nation zentral waren. Der frühere britische Außenminister Lord Arthur 18James Balfour, Verfasser der berühmten nach ihm benannten Deklaration, erinnerte in einer von Pathos durchdrungenen Rede anlässlich der Eröffnung der Universität im April 1925 vor mehr als 7000 Anwesenden an die besondere Bedeutung des Orts: »Von diesem Berg, dem Skopusberg, aus hat der römische Zerstörer Jerusalems jene Belagerung gelenkt, die diesem großen Kapitel in der Geschichte des jüdischen Volkes ein Ende setzte. Könnte es einen historischeren Ort geben?«5, sprach Balfour halb fragend, halb proklamierend, als er auf die Beziehung zwischen dem Verlust der Souveränität zur Zeit des Zweiten Tempels und der Hoffnung auf deren Wiedergewinnung mit der Gründung der Hebräischen Universität verwies.6 Im Wesentlichen dasselbe brachte auch Itamar Ben Avi zum Ausdruck, der Sohn des Erneuerers der hebräischen Sprache Elieser Ben-Jehuda, als er in der Jerusalemer Tageszeitung Do'ar Ha-Jom konstatierte: »Titus hat den antiken Tempel zerstört, Balfour errichtet den neuen.«7
Während Weizmann und ebenso der führende Kulturzionist Achad Ha'am die Universität einen »dritten Tempel« nannten, verglichen andere sie mit Jawne, jenem Ort, an dem der talmudischen Überlieferung zufolge Jochanan Ben-Sakkai und seine Schüler nach der Zerstörung des Zweiten Jerusalemer Tempels ein alternatives religiöses Zentrum schufen.8 Weizmann selbst betonte bei der Inauguration der Universität, sie richte »ihren Blick auf die Propheten und die Weisen, auf jene, die auf den Ruinen des jüdischen Staates die Akademien von Jawne, Nehardea und Pumbedita errichteten«.9 Waren dies tatsächlich komplementäre Gegensätze, wie Hugo Bergmann zehn Jahre darauf als Rektor vor den Freunden der Universität im New Yorker Hotel Waldorf Astoria bemerkte?10 Standen Jawne und Jerusalem einander nicht diametral gegenüber? War es überhaupt möglich, Jawne in Jerusalem zu errichten?
Einer der Ehrengäste, der aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Eröffnungsfeier teilnehmen konnte, übermittelte seine Glückwünsche. »Die Historiker«, schrieb er, »haben uns 19gelehrt, dass unsere kleine Nation die Zerstörung ihrer staatlichen Unabhängigkeit nur deswegen überstand, weil sie ihre erhabensten Werte auf ihren geistigen Besitz, auf ihre Religion und ihre Literatur verlagerte.«11 Es ist interessant, dass der Geladene seine Glückwünsche ausgerechnet dafür nutzte, auf jene Wende zu abstrakten Werten hinzuweisen, die das Judentum infolge seines Souveränitätsverlusts vollzog. Wäre er zu den Feierlichkeiten erschienen, hätte ihn vielleicht die Verquickung eines nationalen Akts mit signifikanten religiösen Symbolen verwundert und auch, dass die Feier mit der Verlesung von Psalmen durch den Oberrabbiner Palästinas, Avraham Jitzchak Hacohen Kook, begann und mit Worten des englischen Oberrabbiners Joseph Zvi Hertz beschlossen wurde.12 Doch, wie gesagt: Der Geladene, sein Name war Sigmund Freud, musste aus gesundheitlichen Gründen fernbleiben. Mit religiösen und messianischen Sehnsüchten war es zweifellos reichlich ausgestattet, jenes säkulare kulturelle Projekt, das sich Universität nannte. Selbst ein Mann der Tat wie Arthur Ruppin, Leiter des Palästina-Amts in Jaffa, zeigte sich ergriffen, als er am Tag der Eröffnung des Instituts für Jüdische Studien im Jahr zuvor in sein Tagebuch schrieb: »Die Tatsache, daß nunmehr wirklich der erste Anfang der Hebräischen Universität gemacht ist, machte auf mich großen Eindruck. Vielleicht ist dies doch ein historischer Tag, vielleicht wird doch von Zion eine neue Lehre ausgehen und der Menschheit neue Wege weisen.«13
Das Gewicht des Heiligen wuchs noch, nachdem sich die religiösen Vorstellungen und die Sehnsüchte nach kultureller Erneuerung zu materialisieren begannen und das himmlische Jerusalem in die Planungen des irdischen Jerusalems hineingeriet. 1919 wurde der bekannte schottische Städteplaner Patrick Geddes, der zu jener Zeit die Universität im indischen Indore plante, beauftragt, den Campus der Hebräischen Universität zu entwerfen. Wie Geddes selbst sagte, rührte sein besonderes Interesse daran vor allem von der Kindheitsbekanntschaft mit dem »Bau des Salomonischen Tempels und den Büchern Esra 20und Nehemia her«.14 Durch die Affinität zum muslimischen Baustil in der Jerusalemer Altstadt und ihrer Umgebung sollte sein Entwurf für den Skopusberg-Campus ein Gegenwicht zu den Glockentürmen der russischen Maria-Magdalena-Kirche auf dem Ölberg und zum Turm des Auguste-Viktoria-Hospitals schaffen.15 Auf dem Dach des zentralen Saals, den Geddes im Herzen des Campus vorsah, sollte eine Kuppel funkeln. Ihr Sockel war, um ihn von dem des Felsendoms zu unterscheiden, nicht achteckig, sondern sechseckig geplant, in Form des Davidsterns. Dieser kleine Unterschied konnte jedoch nicht verbergen, dass Geddes' Kuppel die der Al-Aqsa-Moschee imitierte.16 Wenngleich sein Entwurf nicht realisiert wurde - auch den beiden später offiziell beauftragten modernistischen Architekten Erich Mendelsohn und Richard Kauffmann gelang es nie, einen Plan ganz durchzubringen17 -, blieb die religiöse Inspiration doch erhalten. So etwa Anfang der Dreißigerjahre bei der Initiative von Menachem Ussishkin, dem Leiter des Jüdischen Nationalfonds, die Nikanor-Höhle, in der der Stifter der prachtvollen Türen für den Zweiten Tempel begraben lag, zu einem Mausoleum und Pantheon für die Führer der zionistischen Bewegung auszubauen. Die unweit der Universität gelegene Höhle war 1902 zufällig entdeckt und 1928/29 von dem Archäologen Eleazar Lipa Sukenik ausgegraben worden und so ins zionistische Bewusstsein gelangt, wobei sich Ussishkins Plan letztlich in den Wirren des Kriegs verlor.18
Ein Jahrzehnt nach der feierlichen Eröffnung der Universität hatte sich der Skopusberg mit seinen Einrichtungen eine zentrale Stellung im Bewusstsein der politischen Führungsschicht erobert und begann die religiösen heiligen Stätten zu überschatten. Deutlich wird dies an der Reaktion der Jewish Agency auf die Empfehlungen der königlich britischen Untersuchungskommission (Peel-Kommission) im Jahr...
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