Schweitzer Fachinformationen
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»Kann es wohl einen größeren Widerspruch geben als eine Spitalkrankheit? Ein Übel, welches man da erst bekommt, wo man sein eigenes loszuwerden versucht?«
Prof. Johann Peter Frank (1745-1821)
Die Zahl der jährlichen sogenannten »Krankenhausinfektionen« (nosokomiale Infektionen) wird seit vielen Jahren in Deutschland auf 400.000 bis 600.000 geschätzt.1 Auf europäischer Ebene weichen die Angaben je nach Quelle teilweise erheblich voneinander ab. So werden rund 8,9 Mio.2 infizierte Europäer3 nach EU-Schätzungen genannt, andere benennen lediglich (?) 4,5 Mio. Infektionen dieser Art in der EU.4 Dabei ist der Begriff der nosokomialen Infektion keinesfalls allein auf den stationären Bereich begrenzt. Auch der ambulante Bereich ist darin per Legaldefinition inbegriffen.
Bei einer nosokomialen Infektion handelt es sich gemäß § 2 Nr. 8 Infektionsschutzgesetz (IfSchG) um eine Infektion mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme steht, soweit die Infektion nicht bereits vorher bestand.
Infektionen werden unabhängig davon, ob sie vermeidbar sind oder nicht, als »nosokomial« eingestuft. Die Angabe eines festen Zeitintervalls für eine nosokomiale Infektion im zeitlichen Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung ist nicht möglich, da eine Infektion eine sehr kurze, wie z. B. bei Noroviren, oder eine sehr lange, wie z. B. bei Hepatitis B, Inkubationszeit haben kann.5 Dabei übernimmt laut einer Studie das Mikrobiom des Patienten die Räumlichkeiten des Krankenhauses selbst im Falle einer Neueröffnung einer Klinik innerhalb eines Zeitfensters von 24 Stunden. Direkt nach dem Beginn des Klinikbetriebs breiten sich Mikroben wie Corynebakterien, Staphylokokken und Streptokokken aus und entwickeln mit der Zeit Gene, welche Resistenzen gegen Antibiotika bilden.6 Demgegenüber soll ein Zusammenhang zwischen Stellenbesetzung in der Pflege und Inzidenz von nosokomialen Infektionen laut Statistiken nicht auszuschließen sein.7
Die Letalität pro Jahr liegt etwa bei 10.000 bis 20.000 allein in Deutschland.8 Das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankenhäusern hat in seiner Studie »Surveillance of antimicrobial resistance in Europe« 2017 herausgefunden, dass sich 671.689 Europäer jedes Jahr mit antibiotikaresistenten Bakterien infizieren.9 Dabei gehen die Wissenschaftler von etwa 33.000 Toten pro Jahr in der EU aus.10 Zudem verdoppelt sich beispielsweise das Sterberisiko eines chirurgischen Patienten bei Vorliegen einer Infektion. Etwa 20-30 % dieser Infektionen gelten als vermeidbar.11 Als häufigste Infektionsarten wurden postoperative Wundinfektionen (25,7 %), Harnwegsinfektionen (24,8 %), Infektionen der unteren Atemwege (23,0 %) und primäre Sepsis (6,1 %) festgestellt.12
Seit der Entdeckung von Penicillin im Jahr 1928 ist die gezielte Behandlung von Infektionen möglich. Mittlerweile beläuft sich die weltweite jährliche Produktion von Antibiotika auf 100.000 Tonnen, Tendenz steigend.13 Neben der heilenden Wirkung provoziert die Antibiotikabehandlung aber auch die Resistenzbildung.14 Dabei zählt die globale Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen (engl. Antimicrobial resistance, AMR) zu den größten gesundheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Laut Europäischer Kommission könnten die enormen medizinischen Fortschritte, die wir dank der Entdeckung der Antibiotika erlebt haben, wieder zunichtegemacht werden.
Dabei lohnt sich Hygienemanagement betriebswirtschaftlich. So ist im Grundsatz anerkannt, dass Infektionen mit multiresistenten Keimen neben verlängerten und schweren Krankheitsverläufen zu äußerst pflegeintensiven und hohen finanziellen Belastungen für die Krankenhäuser führen. Zur Erfassung der durch Infektionen verursachten Kosten wird zwischen direkten Kosten, indirekten Kosten und intangiblen Kosten unterschieden.15 Die direkten Kosten bezeichnen den monetär bewerteten Güter- bzw. Dienstleistungsverzehr, der zur Behandlung von Krankheiten bzw. zur Verringerung krankheitsbedingter Einschränkungen aufzubringen ist. Indirekte Kosten bezeichnen den bewerteten Ressourcenverlust, der dadurch entsteht, dass aufgrund einer Erkrankung Güter und Dienstleistungen nicht erzeugt werden können. Sie sind mit einem Verlust an Produktivität gleichzusetzen. Näheres hierzu findet sich im Kapitel von Haking ( Kap. II.2).
Neben den Produktivitätsverlusten ist der Imageverlust als Folge eines Hygieneskandals nicht zu unterschätzen. Nicht selten hat dieser nahezu existenzvernichtenden Charakter und hält zeitlich deutlich über den eigentlichen »Skandal« an. Diesem Imageverlust bereits in Friedenszeiten - also außerhalb einer akuten Krise - vorzubeugen, sollte folglich oberste Maxime einer verantwortlich agierenden Geschäftsführung sein. Aber auch das planvolle Agieren in der Krise wie auch nach erfolgtem Reputationsverlust im Hinblick auf den Markenaufbau ist eine herausfordernde Aufgabe. Hilfreiche Informationen hierzu sind dem Kapitel von Dietzel zu entnehmen ( Kap. V.3).
Als Bestandteil eines präventiven Krisen- und damit Risikomanagements ist sicherlich auch das Versicherungswesen zu nennen. Das Themengebiet Hygiene und seine möglichen Implikationen haben Auswirkungen auf eine Reihe von verschiedenen Versicherungsverträgen und beeinflussen deren Konditionen teils signifikant. Welche Versicherungen betroffen sind und was es zu beachten gilt, ist in dem Kapitel von Schäfer nachzulesen ( Kap. V.5).
Neben der Frage behördlichen Einschreitens bei Verstößen gegen die Hygiene-Compliance steht regelmäßig der Vorwurf von Seiten der Patienten oder deren Angehörigen im Raum, Opfer eines »Krankenhauskeims« geworden zu sein. Nicht selten schließen sich Klagen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld entweder gegen den patientennahen Entscheider wie Arzt und/oder Pflegekraft, aber auch gegen die patientenfernen Entscheider wie Geschäftsführung an, denen eben nicht ein aktuelles Augenblicksversagen am Patientenbett, sondern ein systemisches Organisationsversagen vorgeworfen wird. In Ermangelung spezieller zivilrechtlicher Haftungsvorschriften bestimmen sich Haftungsfragen im Zusammenhang mit der Hygiene- sowie Medizinproduktesicherheit nach den allgemeinen Haftungsregeln, die im Kapitel von Weimer ( Kap. IV.1.) dargestellt werden. Die möglichen strafrechtlichen Begleiterscheinungen sowie strategischen Vorgehensweisen finden sich im Kapitel von Bork ( Kap. IV.3). Die arbeitsrechtlichen Konsequenzen sogenannter Non-Compliance sind bei Ambrosy und Weimer nachzulesen ( Kap. IV.4). Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Frage der Arbeitnehmerhaftung, auch und gerade gegenüber dem Arbeitgeber selbst. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, ob einem Whistleblower die Folgen seines Tuns haftungsrechtlich zugerechnet werden kann.
Aber was ist Hygienemanagement als Bestandteil eines komplexen Compliance-Management-Systems eigentlich? Compliance bedeutet zunächst die Wahrnehmung einer verbundweiten Maßnahme zur Einhaltung von Recht, Gesetz und unternehmensinternen Richtlinien im Sinne einer wesentlichen Leitungs- und Überwachungsaufgabe. Dabei besteht die Pflicht, eine eigene Compliance-Organisation - abhängig von Art, Größe und Organisation des Unternehmens - einzurichten, die die Qualität und Komplexität der entsprechenden gesetzlichen Vorschriften berücksichtigt.17 Insoweit haben die patientenfernen Entscheider (wie Geschäftsführung, Vorstand) aufgrund ihrer Gesamtverantwortlichkeit für das System »Krankenhaus« ein funktionierendes Compliance-System innerbetrieblich zu etablieren, um die Sicherheit der Mitarbeiter und Patienten zu gewährleisten (LG München I, Urt. v. 10.11.2013 - 5 HKO 1387/10). Näheres findet sich im Beitrag von Weimer zum Compliance-Management-System...
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