Schweitzer Fachinformationen
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Über Gehirnmasse, deine Innenwelt und wie sie programmiert ist
Als ich das erste Mal ein menschliches Gehirn in der Hand hielt, war ich Studentin der Neurowissenschaften im ersten Jahr. Ich werde nie vergessen, wie mein Prof mich damals ermahnte, es ständig hin und her zu bewegen, weil ich sonst Fingerabdrücke darauf hinterlassen würde. Ich war total von den Socken.
Meine Daumen lagen über den Schläfenlappen dieses Gehirns, und ich stellte mir vor, dass ich so jede Erinnerung berührte, die diese Person je gehabt hatte. Die graue Substanz, die wir damals gerade durchnahmen, enthält tatsächlich ein ganzes Leben.
War dieser Mensch glücklich?
Berührten meine Fingerspitzen vielleicht in ebendiesem Moment die Stelle, an der die Erinnerung an die erste Liebe gespeichert war?
Hatte er sich überhaupt je verliebt?
Hatte er Kinder?
Berührte ich vielleicht gerade den Tag, an dem er geheiratet hatte? Oder vielleicht auch den traurigsten Moment dieses Lebens? Möglicherweise ein Unfall, der es für immer verändert hatte?
Wann hatte dieser Mensch sich dafür entschieden, seinen Leichnam für Forschungszwecke zu spenden? Vielleicht war er ja selbst wissenschaftlich tätig gewesen? Möglicherweise hatte er etwas Ähnliches empfunden, als er zum ersten Mal ein Gehirn in der Hand hielt.
Mit Zeige- und Mittelfinger über dem frontalen Kortex fragte ich mich, ob diese Person ein gutes Leben gehabt hatte oder ob sie hatte leiden müssen. Was immer sich ereignet hatte, es war vor meiner Zeit passiert, und doch war ich nun hier und hielt die Jahre zwischen Geburt und Tod dieses Menschen in Händen. Mein Herz schien zu explodieren.
Solange ich zurückdenken kann, habe ich versucht, eine Antwort auf die Frage »Ist es Zufall oder Absicht?« zu finden. Das Leben, unser Geist, unsere Überzeugungen, unsere Gewohnheiten und Verhaltensweisen - geht unsere Programmierung nun auf Zufall zurück, oder steckt dahinter ein Plan? Werden uns Gewohnheiten und Verhaltensweisen aufgedrückt, oder entscheiden wir uns dafür? Schnappen wir sie vielleicht mehr oder weniger beliebig aus dem Umfeld auf? Erst als ich mein Studium der Neurowissenschaften abgeschlossen hatte, war mir klar, dass das eine wie das andere zutraf. Wir werden durch unsere Umwelt geprägt, durch äußere Einflüsse wie Mitmenschen, Lebensumstände, Religion und Kultur. Und größtenteils sollten wir all diese Eindrücke auch beibehalten.
Wir werden aber ebenso bestimmt durch negative Denkmuster und Erzählungen, die wir uns selbst vorbeten. Diese Muster und Geschichten verhindern, dass wir unsere Wünsche verwirklichen. Wir alle haben an dem ein oder anderen Punkt unseres Lebens geglaubt, dass wir nicht gut genug sind. Wir haben uns in etwas festgefahren, das wir zu gern ändern würden. Und das hält uns davon ab, unser ganzes Potenzial zu verwirklichen. Manche dieser Überzeugungen, Gewohnheiten und Verhaltensweisen haben wir aufgrund zufälliger Umstände erworben, für andere haben wir uns selbst entschieden. Aber das Schöne am menschlichen Geist ist ja, dass wir diese Überzeugungen ändern können, ganz egal, wo ihr Ursprung liegt. Wir können unsere Programmierung bewusst ändern.
Dieses Buch wird, ausgehend von einem neurowissenschaftlichen Hintergrund, erklären, wie sich das Gehirn verändern kann. Und es wird dir ein Neuro-Toolkit an die Hand geben, das du auf deinen Alltag anwenden kannst. Denn glücklicherweise können wir uns jederzeit neu erfinden und zu den Menschen werden, die wir sein wollen, ganz egal, was wir früher geglaubt haben.
Es gibt da eine Entschuldigung, die mir immer wieder entgegentönt: »So bin ich nun mal gestrickt.« Vergiss das am besten mal ganz schnell. Denn die Neuronen in unserem Gehirn sind auf eine Weise miteinander verbunden, die uns ermöglicht, unsere Gedanken, Gewohnheiten und Verhaltensweisen zu verändern, sodass wir unsere unbewusst einprogrammierten Überzeugungen über unsere Person beeinflussen können. Die Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen, bestimmen, wie wir uns sehen. Unser Selbstbild wiederum steuert unsere automatischen Reaktionen und Verhaltensweisen. Und diese sind verantwortlich dafür, wie andere uns sehen.
»Unsere Lebenserfahrung entspricht dem, worauf wir unser Augenmerk gerichtet haben, ob wir das nun absichtlich getan haben oder nicht.«
William James
Einige Wochen nach dieser ersten Unterrichtsstunde waren wir wieder im neuroanatomischen Labor: Diesmal sollten wir einen Leichnam sezieren. Ich weiß noch, dass ich müde war und mich kaum konzentrieren konnte. Mein Smartphone zeigte an, dass der Akku fast leer war und ich den Energiesparmodus einschalten sollte.
In diesem Augenblick wurde mir eine weitere Erkenntnis klar: Das Gehirn ist unsere Hardware, und all unsere Erinnerungen, Gedanken, Gewohnheiten und Verhaltensweisen sind unsere Software. Deine geistige Gesundheit und deine Persönlichkeit sind eine Frage der Software. Ob dein Gehirn seine Arbeit gut erledigt, ist eine Sache der Hardware. Für ein optimales Zusammenspiel müssen beide gut funktionieren.
Aha! Deswegen konnte ich mich nur schlecht konzentrieren! Ich war müde, deshalb arbeitete meine Hardware, das heißt mein Gehirn, nicht optimal. Daher hatte ich Probleme damit, aufzupassen und mir zu merken, was ich hörte. Im Grunde lief ich im Energiesparmodus. Mein Gehirn bediente zuerst die wichtigsten Funktionen. Die Software upzudaten, gehörte nicht dazu.
Da wurde mir klar: Wenn jemand seine Software updaten und neue Verbindungen herstellen wollte, um Informationen zu speichern, dann musste die Hardware einwandfrei funktionieren. Daher hatte ich auch Schwierigkeiten, mit den Belastungen des Studiums zurechtzukommen, wo ich doch gerade erst in eine neue Stadt gezogen war. Ich war überfordert. Ich schenkte Dingen, die grundlegend gewesen wären für meine Gesundheit und mein Wohlbefinden, nicht genügend Aufmerksamkeit. Und das wirkte sich direkt auf die Gesundheit meines Gehirns aus. Mir wurde bewusst, dass ich mich um die Gesundheit meines Gehirns kümmern musste, um meine Gedanken, mein Verhalten und mein Handeln positiv zu beeinflussen und den Vorlesungsstoff im Kopf zu behalten. Das würde meine mentale Fitness positiv beeinflussen, sodass ich neue neuronale Verbindungen legen konnte.
Die Verknüpfungen, die jedes Neuron eingeht, sind für das bloße Auge unsichtbar. Aber sie entscheiden, wie dein Tag läuft. Und sie sind programmiert durch unseren Lebensstil. Sie sind auch determiniert von unseren Zeitgenossen und von denen, die vor uns gelebt haben. Und das machte mir eines klar: Wenn wir nicht das Steuerruder unseres Lebens in die eigenen Hände nehmen, dann führen wir ein vorherbestimmtes Dasein. Das kann gut für uns sein, aber für manche Menschen ist es eben schlecht. Das Gute ist, dass wir unsere Software updaten können. Das heißt, wir können neue Gewohnheiten entwickeln und unerwünschte Verhaltensweisen ablegen, sodass wir ein Maximum an mentalem Wohlbefinden und die beste Version unserer selbst schaffen können, den Menschen, der wir wirklich sein wollen.
Wir können dafür sorgen, dass unsere Hardware gut arbeitet, indem wir uns genug Schlaf gönnen und uns regelmäßig bewegen. Doch dazu später mehr. Für den Augenblick hoffe ich, dass es dir hilft zu wissen, dass das Gehirn formbar ist und sich wandeln kann.
Vielleicht fragst du dich, wie das gehen soll. Nun, das Gehirn ist »plastisch«. Der Begriff stammt vom griechischen Wort plastikós, was so viel wie »formbar« heißt. Das Gehirn kann sich selbst im Alter noch verändern und reorganisieren, um neue Pfade zu legen. Obwohl man weithin glaubt, die plastische Chirurgie heiße so, weil die Operierten danach vielfach so plastikmäßig aussähen wie eine Barbiepuppe, geht auch diese Bezeichnung auf das Wort plastikós zurück.
Für uns ist die Formbarkeit eine gute Nachricht, denn sie bedeutet, dass wir uns von Gewohnheiten und Verhaltensweisen befreien können, die wir unbedingt ablegen möchten. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die das Gefühl haben, in ihrem Leben auf der Stelle zu treten. Sie bleiben in einem Job, den sie überhaupt nicht mögen, weil sie glauben, das sei ihr Schicksal und alles, was sie können. Da wird jemand beispielsweise Ingenieur, weil man ihm in der Schule gesagt hat, er hätte einen »analytischen« Verstand. In Wirklichkeit würde er gern etwas Kreatives machen - aber er glaubt eben, dass er nicht so ist. Er weiß wohl nichts von Neuroplastizität, also versucht er es erst gar nicht.
Hast du schon einmal gedacht, dass du für einen bestimmten Beruf nicht intelligent genug bist? Redest du dir oft etwas Negatives ein? Glaubst du, du bist »nicht gut genug«? Diese überkritischen Schleifen negativer Selbstgespräche schleichen sich nach und nach in dein Denken ein und bremsen dich aus. Dann versuchst du gar nicht erst, dich zu ändern. Du lernst gern, traust dich aber nicht, dich an einer Universität zu bewerben, weil du Angst hast zu versagen.
Gerätst du immer wieder mit deinem Partner in Auseinandersetzungen, weil du angeblich »streitlustig« bist? Machst du aus allem ein Drama, einfach weil deine Familie so war und du glaubst, das sei dein Schicksal? Manche Menschen glauben sogar, das Gedankenkarussell sei Teil ihrer Persönlichkeit und ihr negatives Denken angeboren. Reagierst auch du automatisch mit Kritik, selbst wenn du dich über etwas freuen solltest, was gerade in deinem Leben passiert ist?
Solche Automatismen werden gewöhnlich ständig wiederholt. Auf diese Weise verstärken sie die...
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