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CORONA CUT - DIE PANDEMIE UND DIE ZUKUNFT DER GLOBALISIERTEN WELT
"Während der Klimawandel uns dazu veranlasste, unseren Geist auf planetarische Dimension auszudehnen und eine Agenda in Form von Jahrzehnten aufzustellen, war das Virus mikroskopisch klein, allgegenwärtig und bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von Tagen und Wochen. Es betraf nicht nur Gletscher und Meeresfluten, sondern unsere Körper. Es wurde mit unserem Atem übertragen. Es sollte nicht nur einzelne Volkswirtschaften, sondern die gesamte Weltwirtschaft in Frage stellen." Adam Tooze
Adam Tooze erzählt in seinem atemberaubenden Buch die Geschichte der zwölf Monate vom Januar 2020 bis Januar 2021. Am Anfang gibt Xi Jinping der Weltöffentlichkeit bekannt, dass sich in China ein tödliches neues Virus ausbreitet. Am Ende zieht Joe Biden als Nachfolger von Donald Trump ins Weiße Haus ein. Dazwischen liegen die Schockwellen einer Pandemie, die keinen Kontinent, kein Land und keine Bevölkerung ungeschoren lässt.
Der brillante Wirtschaftshistoriker schildert nicht nur, wie und warum Staaten und nationale Ökonomien auf jeweils eigene Weise und mit sehr unterschiedlichen Resultaten auf das Geschehen reagiert haben. Er analysiert die Pandemie auch im Kontext der anderen großen Krisen unserer Zeit, von der Finanzkrise über die Klimakrise bis zur Flüchtlingskrise. Welt im Lockdown ist eine tiefenscharfe Diagnose der Gegenwart und ein Buch, aus dem man lernen kann, wie die globalisierte Welt funktioniert, in der wir heute leben.
Adam Tooze ist Autor der vielgepriesenen Bücher "Ökonomie der Zerstörung" und "Crashed" und gilt als einer der führenden Wirtschaftshistoriker unserer Zeit. Nach Stationen in Cambridge und Yale lehrt er heute an der Columbia University. Seine Arbeiten wurden mehrfach preisgekrönt, u.a. mit dem renommierten Wolfson Preis für Geschichte sowie dem Preis Historisches Buch von H-Soz-Kult.
Einleitung
ERSTER TEIL KRANKHEIT X
1. Organisierte Unverantwortlichkeit 2. Wuhan, nicht Tschernobyl 3. Februar: Vergeudete Zeit 4. März: Globaler Lockdown
ZWEITER TEIL EINE GLOBALE KRISE OHNE BEISPIEL
5. Im freien Fall 6. Noch einmal: "Whatever it takes"7. Die Wirtschaft auf der Intensivstation 8. Der Werkzeugkasten
DRITTER TEIL EIN HEISSER SOMMER
9. Next Generation EU 10. China: Momentum 11. Amerikas nationale Krise
VIERTER TEIL INTERREGNUM
12. Wettlauf um den Impfstoff 13. Schuldenerlass 14. Fortgeschrittene Volkswirtschaften: Die Geldhähne auf!
Schluss
ANHANG
Danksagung Anmerkungen Personenregister
KAPITEL 1
Skeptiker - und es gab von Anfang an Skeptiker - weisen gerne darauf hin, das Bemerkenswerte an der Covid-Krise sei, dass wir aus etwas Gewöhnlichem eine globale Krise gemacht hätten. Egal, was wir tun, Menschen sterben, und an Covid sterben dieselben Menschen, die normalerweise auch sterben - alte Menschen mit Vorerkrankungen. In einem normalen Jahr sterben diese Menschen an Grippe und Lungenentzündung. Jenseits des privilegierten Kerns der reichen Welt sterben Millionen von Menschen an Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV. Und trotzdem «geht das Leben weiter». Das Schwere Akute Respiratorische Syndrom Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) war, gemessen an den Maßstäben historischer Seuchen, nicht besonders tödlich. Was beispiellos war, war die Reaktion. Überall auf der Welt kam das öffentliche Leben zum Erliegen, genauso wie große Teile des Handels und des regulären Geschäftsverkehrs. Überall auf der Welt rief diese massive Unterbrechung der Normalität in unterschiedlichem Ausmaß Unverständnis, Empörung, Widerstand, Nichtbefolgung und Protest hervor. Man muss nicht mit der Politik der Kritiker sympathisieren, um die historische Kraft ihres Standpunkts anzuerkennen. Auf eine neue und bemerkenswerte Weise wurde eine medizinische Herausforderung zu einer viel umfassenderen Krise. Zu erklären, wie dies geschehen konnte - nicht als Ergebnis einer verweichlichten und übermäßig auf Schutz bedachten politischen Kultur oder als Resultat einer bewussten Unterdrückungspolitik, sondern infolge struktureller Spannungen innerhalb der Gesellschaften des frühen 21. Jahrhunderts -, wird dabei helfen, die Bühne für das Verständnis der Krise von 2020 zu bereiten.
Es stimmt, dass alte Menschen sterben, aber es kommt darauf an, wie viele und in welchem Tempo und aus welchen Ursachen. Zu jedem gegebenen Zeitpunkt kann diese Rangfolge der Sterblichkeit in Form einer Matrix von Wahrscheinlichkeiten beschrieben werden, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hat und die durch medizinische Möglichkeiten, Gesundheitsökonomie und das Muster sozialer Vor- und Nachteile bestimmt wird.
Global gesehen ist die Geschichte der letzten Jahrzehnte die eines beachtlichen Fortschritts bei der Reduzierung der Todesfälle durch Armutskrankheiten - übertragbare Krankheiten, Krankheiten von Müttern und Neugeborenen, ernährungsbedingte Krankheiten. Dennoch ist es weiterhin so, dass arme Menschen und Menschen in einkommensschwachen Ländern am frühesten und an den am ehesten vermeidbaren Krankheiten sterben. In einem einkommensschwachen Land wie Nigeria, wo die Lebenserwartung bei 55 Jahren liegt, sind 68 % der Todesfälle auf armutsbedingte Krankheiten zurückzuführen. In Deutschland, wo die Lebenserwartung 81 Jahre beträgt, liegt dieser Anteil bei 3,5 %, in Großbritannien bei 6,8 %. Die Vereinigten Staaten liegen dazwischen. Im Jahr 2017 waren die Gesundheitsausgaben pro Kopf in Ländern mit hohem Einkommen kaufkraftbereinigt 49 Mal so hoch wie in Ländern mit niedrigem Einkommen.[1]
Innerhalb der reichen Länder gibt es erschreckende Ungleichheiten bei der Kinder- und Müttersterblichkeit und bei der allgemeinen Lebenserwartung, die entlang von ethnischen und klassenspezifischen Linien verlaufen. Epidemischer Drogenkonsum bei benachteiligten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen, Asthma und Bleivergiftung bleiben unbehandelt. In Deutschland sterben 27 % der Männer in der untersten Einkommensklasse vor dem Alter von 65 Jahren, verglichen mit 14 % in der höchsten Einkommensgruppe. Bei Frauen sind die Unterschiede nur ein bisschen geringer.[2] Im Zweiklassen-Krankenversicherungssystem des Landes ist die Lebenserwartung der 11 % privat Versicherten um vier Jahre höher als die der gesetzlich Versicherten.[3] In den USA, die gemeinhin als das reichste Land der Welt gelten, starben laut einer Studie aus dem Jahr 2009 45.000 Menschen aufgrund einer fehlenden Krankenversicherung.[4] Menschen in einkommensschwachen Gebieten in den USA haben ein doppelt so hohes Risiko, mit Grippe ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, Intensivpflege zu benötigen und zu sterben.[5] Am deutlichsten ist der Unterschied bei armen Menschen über 65 Jahren.
Es wäre zu viel gesagt, dass diese Wahrscheinlichkeiten allgemein akzeptiert sind. Sie sind, auf den ersten Blick, ein Skandal. Sie widerlegen jegliche Vorstellung, dass unsere kollektive Priorität darin besteht, Menschen am Leben zu erhalten. Aber so krass diese Unterschiede auch sind, die Verhältnisse sind zumindest vertraut. Die Wahrscheinlichkeiten ändern sich, aber nur ganz allmählich und im Allgemeinen nur in eine günstige Richtung. Was die Corona-Krise betrifft, ist der entscheidende Punkt, dass zu Beginn des Jahres 2020 die einzigen Infektionskrankheiten, die den Durchschnittsbürger in einem Land oberhalb der hohen mittleren Einkommensschwelle noch plagten, Infektionen der unteren Atemwege und die Grippe waren, und sie waren in der Regel nur für Menschen im fortgeschrittenen Alter gefährlich. In den Vereinigten Staaten waren lediglich 2,5 % aller Todesfälle in einem normalen Jahr speziell auf Grippe und Lungenentzündung zurückzuführen. Rechnet man alle Infektionen der unteren Atemwege hinzu, stieg der Anteil auf 10 % aller Todesfälle.[6] Zusammen machten sie 80 % der Todesfälle durch Infektionskrankheiten aus. HIV/Aids und Durchfallerkrankungen, vor allem C. difficile, waren für den Rest verantwortlich. SARS-CoV-2 erschütterte das Vertrauen in diese Wahrscheinlichkeiten.
Die Überwindung der großen Infektionskrankheiten war einer der bedeutsamsten Triumphe der Zeit nach 1945. Es handelte sich um eine historische Errungenschaft, die auf einer Stufe mit dem Ende des Hungers, der allgemeinen Alphabetisierung, dem Zugang zu fließendem Wasser oder der Geburtenkontrolle stand. Die gesteigerte Lebenserwartung ist die Geheimsoße hinter dem Wirtschaftswachstum.[7] Es ist wunderbar, mehr zu konsumieren. Noch besser ist es, wenn man Jahrzehnte länger lebt, um es zu genießen. Einer Schätzung zufolge würde sich das Wachstum des amerikanischen Lebensstandards verdoppeln, wenn wir die im Laufe des 20. Jahrhunderts erreichte höhere Lebenserwartung richtig mit einberechnen würden.[8] In den 1970er Jahren, als der endgültige Sieg über Pocken und Kinderlähmung in greifbare Nähe rückte, brachten diese Triumphe die Idee des epidemiologischen Übergangs hervor.[9] Infektionskrankheiten sollten fortan der Vergangenheit angehören.
Am größten waren die Fortschritte in den reichen westlichen Ländern. Doch das Erreichen des epidemiologischen Übergangs war ein gemeinsames Bestreben der Moderne. Es war für die Sowjetunion und das kommunistische China genauso relevant wie für den Westen.[10] Tatsächlich passte es als kollektivistisches Projekt, das von staatlichen Stellen geleitet wurde, sogar besser zu deren politischer Vision als zu der des Westens. Das umkämpfte Kuba, mit seinem robusten öffentlichen Gesundheitssystem und seinem übergroßen Programm globaler medizinischer Hilfe, ist ein drastisches Beispiel für diesen Aspekt. Für die kommunistischen Regime gab es keinen Widerspruch zwischen dem Opfern von zig Millionen Leben für den Fortschritt des Sozialismus, auf Zwang beruhenden Geburtenkontrollkampagnen wie Chinas Ein-Kind-Politik und einer massiven kollektiven Anstrengung, Leben zu retten und Infektionskrankheiten zu besiegen.
Aber so bedeutsam dieser Triumph auch war: Fast im gleichen Moment in den 1970er Jahren begann der Kampf gegen Infektionskrankheiten von Zweifeln begleitet zu werden. Die Influenza blieb unbesiegt. Sie ist allgegenwärtig und wird auch als Todesursache gerne unterschätzt. Sie ist alljährlich für einen Anstieg der Sterblichkeit aus allen möglichen Gründen verantwortlich.[11] Das wird als normal betrachtet, weil viele dieser Todesfälle auf andere, unmittelbarere Ursachen wie Lungenentzündung und Herzinfarkt zurückgeführt werden. Die Influenza ist hoch ansteckend, und es gibt auch keinen Intervall zwischen Ansteckung und Infektiosität, was bedeutet, dass Tests und Quarantäne aussichtslos sind. Das Grippevirus mutiert schnell, so dass eine Impfung bestenfalls teilweise wirksam sein kann. Was uns vor dem Massensterben rettet, ist seine...
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