Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
KAPITEL 1
«Die erste Nachricht über den Ausbruch des Krieges [kam] vom polnischen Rundfunk um sechs Uhr morgens. Ungefähr um diese Zeit hörte man die ersten Knalle der polnischen Flakartillerie. Gleichzeitig erschienen auf dem blauen sonnigen Himmel zahlreiche weiße Rauchfahnen. Auf den Straßen blieben die Leute stehen und stritten miteinander, ob der Krieg schon ausgebrochen sei oder ob es nur Übungen seien. Gegen neun Uhr war allen klar, dass Polen angegriffen wurde.» (Stefan Fulde, Warschau 1939)[1]
«Die Frauen waren sich einig, dass die Angriffe aus der Luft schlimmer und schlimmer geworden seien. Erst waren sie aufregend gewesen, dann lästig, nun aber stellten sie eine ernsthafte Bedrohung dar . In Gedanken versunken stach die Frau mit der Handarbeit ihre Nadel immer entschlossener in den Stoff und zog den Faden energischer an. Der kleine Junge wurde weniger liebkost und erhielt schneller einen Klapps. In das Gespräch der Frauen mischten sich schrillere Töne. Eine alte Frau mit viel Lebenserfahrung sagte es zuerst: Marc de Champagne und nichts bringt mich dazu, die zurückzulassen.> Die anderen Frauen schauten sie erstaunt an, erstaunt, dass sie die erste war, die den Gedanken ausgesprochen hatte . Alle Frauen waren zu einer wohlüberlegten Entscheidung gekommen . Am Morgen des 13. Juni [1940] waren sie ruhig und bei gesundem Verstand aufgestanden und bis zum Abend würden sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach den geschlagenen Truppen auf dem langen Weg in den Süden angeschlossen haben.» (Douglas Cooper, britischer Kunstsammler, über die Stimmung in Frankreich Mitte Juni 1940)[2]
«Bereits am 22. Juni [1941] bombardierten die faschistischen Flugzeuge ein Brennstofflager und beschossen die Häuser in unserer Stadt [Ljubar/Ukraine]. Es brach eine Panik aus. Nur wenige konnten sich evakuieren lassen, denn dazu brauchte man ein Fahrzeug, Geld und die Erlaubnis[,] von der Arbeit wegzubleiben. Viele flohen zu Fuß. Doch sie kehrten bald wieder zurück, denn deutsche Fallschirmspringer versperrten ihnen den Weg.» (Jefim Sacharow-Saidenberg über den deutschen Einmarsch in seinem Heimatort)[3]
-
Überall in Europa begann der Zweite Weltkrieg als «Blitzkrieg»: Polen kapitulierte im Herbst 1939 nach nur fünf Wochen, Frankreich stellte im Frühsommer 1940 die Kämpfe ähnlich schnell ein. Dänemark war zuvor binnen weniger Tage «friedlich» besetzt worden. Kaum länger dauerte die Unterwerfung der Niederlande und Belgiens. Allerdings gingen ihr schwere Bombardements voraus, wie sie die Luftwaffe auch in Polen geflogen hatte. Norwegen leistete dagegen mehr als zwei Monate zum Teil erbitterten Widerstand, bevor es im Juni 1940 die Waffen streckte. Die Kämpfe in Jugoslawien und Griechenland im Frühjahr 1941 dauerten erneut nur wenige Tage bzw. Wochen. Dann war nicht nur das Festland, sondern als letzte der Inseln auch Kreta Anfang Juni 1941 in den Händen deutscher (und italienischer) Verbände.[4]
Auch das Baltikum erlebte einen schnellen Vormarsch der deutschen Truppen, die nach zweieinhalb Wochen Litauen und Lettland eingenommen hatten und tief in Estland standen. Gleichzeitig war die nördliche Hälfte von Belarus besetzt, die Hauptstadt Minsk bereits am 28. 6. 1941 erobert worden. Auch das etwa zweihundert Kilometer weiter östlich liegende Mahiljou sowie Wizebsk waren bald in deutscher Hand. Das russische Smolensk, das als Tor nach Moskau galt, fiel kurz darauf. Leningrad wurde am 8. September eingeschlossen, Mitte des Monats die ukrainische Hauptstadt Kyjiw besetzt, im Oktober Charkiw im Osten der Ukraine erobert. Das Muster schien sich überall zu wiederholen: Begleitet von starken Luftangriffen auf die großen Städte, rückten deutsche Verbände unaufhaltsam vorwärts.[5]
Auch wenn im Herbst und Winter 1941 der deutsche Vormarsch zum Stocken kam, weil sich das Ostheer in der Offensive verbraucht hatte, hatten zuvor, zumal in den großen Städten, Menschen unmittelbar erleben müssen, welche katastrophalen Begleiterscheinungen der Luftkrieg mit sich brachte. Er war die militärtechnische Neuerung. Während im Ersten Weltkrieg der technische Entwicklungsstand den Einsatz von Flugzeugen noch begrenzt hatte, revolutionierten sie im Zweiten Weltkrieg die Kriegsführung: Flächenbombardements von Städten kalkulierten mit Tausenden von Toten und hoben die Unterscheidung zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung auf.[6]
Allein in Polen wurden mehr als 150 Städte und Ortschaften von der deutschen Luftwaffe zerstört, vor allem Warschau seit dem 10. September 1939 systematisch bombardiert. Dabei jagten Tiefflieger gezielt Menschen und schossen auch auf die Flüchtlingsströme, die dem Inferno entkommen wollten. In der Stadt wüteten mehr als 250 Brandherde, und Leichen lagen stundenlang auf den Straßen, weil sie wegen der Dichte der Angriffe nicht geborgen werden konnten. Bald schon waren die Friedhöfe überfüllt, so dass die Toten in Grünanlagen beerdigt werden mussten.[7]
Die Wucht dieser Erfahrung war ungeheuer. Halina Regulska hielt am 24. September in ihrem Tagebuch fest: «Über uns tobt die Hölle. Ein Flugzeug nach dem anderen fällt im Sturzflug über uns her. Und jedes Mal scheint es uns, diesmal trifft es uns. In dieser Todeserwartung steht einem das Herz schier still.»[8] Von ähnlichen Erfahrungen berichtete auch Mirjam Bolle ihrem Verlobten in Palästina aus dem bombardierten Amsterdam: «Morgens um fünf Uhr: Luftalarm. Du weißt nicht, was das heißt. Es ist, als wimmerte die Stadt. Wir standen auf und stellten uns mit einem Köfferchen in der Hand in den Flur. Ich kann nicht beschreiben, wie ich in diesen Tagen gewesen bin. Ich war vollkommen durcheinander, und . [bin auch später] . nie so fassungslos gewesen, wie in dieser ersten Zeit. Samstagmorgen [gemeint ist der 14. 5. 1940, TT] stand ich zufällig vor dem Fenster im Schlafzimmer. Ein Flugzeug näherte sich, und ich sah, wie eine Bombe fiel . Die Bombe schlug auf dem Blauwburgwal ein, und die Trümmer flogen umher. Das Heulen dieser Bombe war unbeschreiblich. Danach war ich völlig aufgelöst. Ich konnte nicht mehr essen, war leichenblass und zitterte den ganzen Tag. Innerhalb weniger Tage war ich so abgemagert, dass mir mein Gürtel einfach so von den Hüften rutschte. Mittags ging ich zu Freddy und Juul . Glaubst Du mir, lieber Leo, dass ich mich fast nicht auf die Straße traute? Ständig gab es Luftalarm, und ich hatte Todesangst, in einen Schutzkeller zu müssen - denn das ist Vorschrift bei Luftalarm -, und das schien mir das Schlimmste, was es geben konnte. Dann saß man wie eine Ratte in der Falle.»[9]
Diese Angst war nicht unbegründet: Nachdem die deutsche Luftwaffe am 14. Mai 1940 Rotterdam bombardiert hatte, versuchten Menschen verzweifelt, Angehörige aus verschütteten Kellern und Treppenaufgängen zu bergen und Verletzte aus den Flammen zu retten. Doch wie in Warschau auch fehlte es an Löschwasser und Transportkapazitäten; teilweise war die Rauchentwicklung so stark, dass die Helfer sich nicht orientieren konnten. Wo ihnen dies möglich war, warteten oft genug grauenvolle Anblicke auf sie: «Ich ging zum alten Süßwarenlanden in der Kruisstraat. Das erste, was ich sah, waren ein paar Beine, die aus dem Schutt eines Wohnhauses herausragten. Da habe ich natürlich angefangen, daran zu ziehen. Als ich sie aus dem Schutt befreit hatte, sah ich, dass die Frau noch lebte. Etwa sechs oder mehr Menschen habe ich noch gefunden. Die waren aber alle tot . Die härtesten Fälle waren Menschen, die unter dem Schutt begraben lagen, die Schädel zerschmettert oder die Beine weg.»[10] Am Ende waren allein in Rotterdam achthundert Opfer zu beklagen, 24.000 Wohnungen zerstört, und 80.000 Menschen - mehr als zehn Prozent der Bevölkerung - hatten ihre Bleibe und ihren Besitz verloren. Dem Bombenhagel und den Bränden waren außerdem rund 7000 Fabriken, Geschäfte und Cafés, 70 Schulen,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.