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Ein kleiner Funke kann eine Explosion auslösen. Ein kleiner Funke kann aber auch ein Feuerwerk entzünden.
Wenn mich der Jakobsweg etwas gelehrt hat, dann, dass man das Glück in kleinen Dingen entdecken kann. Seitdem ich das erste Mal in Spanien gepilgert bin, nahm ich auch in Deutschland immer wieder die Pilgermuschel wahr - sie schien überall zu sein. Ich erfreute mich auch an den Entfernungsangaben. Jeder Kilometer mehr nach Santiago erschien mir nicht als Hürde, sondern als ein potentielles Geschenk.
Online entdeckte ich GPS-Tracks, so auch in meiner Wahlheimat Berlin. Nur etwa zwei Kilometer von meiner Wohnung entfernt verlief die alte römische Handelsstraße Via Imperii, die im Mittelalter von Jakobspilgern dankbar genutzt wurde. Aber von einer Markierung des Weges keine Spur.
Am 26. Oktober 2019 entschied ich mich kurzerhand, an die Parteien in meinem Berliner Wohnbezirk zu schreiben. Ich war gerade im Zug, auf der Rückfahrt von einer Dienstreise in eine kleine Stadt in Westdeutschland, in welcher der Jakobsweg wunderbar ausgeschildert war. Da ich keine Lust auf eine Instrumentalisierung des Themas durch die AfD hatte, richtete ich das Schreiben ausschließlich an alle Vorsitzenden der "pro-europäischen Fraktionen". Ich berief mich darauf, dass der Europarat den Zusammenhalt durch länderverbindende Kulturwege seit über 30 Jahren fördert. Und dass dieses Engagement für das gemeinsame Europa wichtiger sei denn je.
Der Jakobsweg wurde am 23. Oktober 1987 vom Europarat zum allerersten europäischen Kulturweg ernannt. In vielen Städten in Deutschland ist dieser Weg inzwischen mit Hinweisschildern ausgewiesen.
Doch ist dies historisch belegt? Ja. Pilger aus West- und Mitteleuropa, so auch Deutschland, gab es nachweislich seit Mitte des 10. Jahrhunderts. Die weite Verbreitung von Jakobspilgern lässt sich anhand von in Gräbern gefundenen Jakobsmuscheln erkennen. Der heilige Jakobus entwickelte sich seit dem 13. Jahrhundert insbesondere im mitteldeutschen Raum zu einem Schutzpatron für christliche Wohltätigkeit. Die Jakobusverehrung spiegelte sich insbesondere im 15. und frühen 16. Jahrhundert in den bildenden Künsten wider. Pilger waren meist auf Handelsrouten unterwegs. Zum einen wegen des Vorhandenseins von Brücken, aber auch der Möglichkeit von Lebensmittelspenden. In den Städten fanden die Pilger eine Herberge, ab dem Spätmittelalter entstanden Gasthäuser für gehobene Ansprüche. Aber auch die private Gastfreundschaft gegenüber Pilgern war aller Pflicht. Zudem gab es vermehrt Jakobusbruderschaften, die Pilger unterstützten und über die Sicherheit und das Nahrungsmittelangebot auf dem weiteren Weg informierten. Die Organisationsdichte steigerte sich im Spätmittelalter zu einem umfassenden Unterstützungsnetzwerk für Jakobuspilger. Allein im Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation existierten etwa 500 Kirchen, die dem heiligen Jakobus gewidmet waren. Im 15. Jahrhundert wurden Hospitäler mit Jakobuspatrozinium unter anderem an der Via Regia in Naumburg, der Via Imperii in Altenburg und der Frankenstraße in Dresden gegründet.
Während der Pilgerboom in Europa nach Santiago ab dem 16. Jahrhundert stetig abnahm, wurde die Bedeutung des heiligen Jakobus in Spanien über die Jahrhunderte weiter aufrechterhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Jakobusgesellschaften auch in anderen europäischen Ländern wiedergegründet. In Deutschland erfolgte dies erst im Jahr 1987 mit Gründung der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft. Im gleichen Jahr erklärte der Europarat den Jakobsweg zur "Ersten Kulturstraße Europas" und rief dazu auf, die Wege nach Santiago auf dem gesamten europäischen Kontinent zu identifizieren und sie mit Hilfe eines vom Europarat vorgeschlagenen Emblems zu kennzeichnen.
Die gelbe stilisierte Muschel auf blauem Grund ist inzwischen auch vielen Nicht-Pilgern bekannt - dank dem Wirken von inzwischen über 30 regionalen Jakobusgesellschaften allein in Deutschland. Die Strahlen der Muschel symbolisieren die Wege, die in Santiago zusammenlaufen.
Die Jakobsmuschel als Symbol war zuvor weitestgehend in Vergessenheit geraten. Pilger wurden in den 1980er-Jahren nur noch als bloße Wanderer gesehen, aber mitunter auch als Randständige der Gesellschaft. Sie wurden eher belächelt. Von dergleichen Spott ist heutzutage nichts mehr zu spüren, in ganz Europa hat sich wieder eine Unterstützungskultur entwickelt.
Ich plädierte in Berlin dafür, dass Tempelhof-Schöneberg Vorreiter werden und als erster Bezirk ein offizielles Jakobswegschild errichten solle. Das Schreiben endete mit dem Appell "Europäischer Zusammenhalt fängt im kommunalen Handeln an. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn bis 23. Oktober 2020 (33. Jahrestag des Kulturweges) eine solche Ausschilderung genehmigt werden könnte."
Einige persönliche Gespräche - und kein Jahr - später, wurde am 11. Dezember 2019 ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen CDU, SPD und Grüne mit dem charmanten Titel "2.940 Kilometer von Berlin nach Santiago de Compostela" einstimmig von allen Fraktionen beschlossen. Dass die Kilometerangabe nicht so ganz stimmte, war nicht schlimm. Aber ich freute mich sehr über den Beschluss, der da lautete: "Die Bezirksversammlung ersucht das Bezirksamt, die Ausschilderung des Jakobsweges von der nördlichen Bezirksgrenze bei der S-Bahnstation Yorckstraße bis zur südlichen Bezirksgrenze zu Brandenburg zu erlauben und zu fördern."
Ich führte nicht nur Gespräche Richtung Politik, sondern auch mit den eigentlich Verantwortlichen von der Jakobusgesellschaft. Hatte ich sie doch - aus Unkenntnis - in ihrer Zuständigkeit und ihrem Engagement übergangen. Aber da sich sowohl die Jakobusgesellschaft Brandenburg-Oderregion e. V. als auch die St. Jakobus-Gesellschaft Berlin-Brandenburg e. V. über Jahre an der Berliner Politik und Verwaltung die Zähne ausgebissen hatten, freute man sich über diesen Fortschritt - wer auch immer dieser Jörg Steinert war. Pragmatisch beschloss man bei unserer ersten Begegnung, mich zum Beauftragten für die Ausschilderung des Jakobsweges durch Berlin zu machen. Nun hatte ich also auch ein offizielles Mandat.
Trotz einstimmigem Beschluss im Bezirksparlament wurde dem Vorhaben nicht nur Sympathie entgegengebracht, was sich in der Aussage "Wir sind hier doch nicht in Süddeutschland" widerspiegelte.
Aber getragen von dem Votum der Bezirksversammlung startete ich ins nächste kleine Projekt - einen Neujahrsspaziergang auf dem Jakobsweg. Bei diesem sollten erste Spenden gesammelt werden. Ich erwartete etwa 20 Personen. Mit 10 oder 15 Personen hätte ich mich aber auch schon zufriedengegeben. Es kamen aber sage und schreibe 150 Menschen. Das kleine Café "Waschküche", in dem wir uns an diesem eisigen Wintertag treffen wollten, fasste etwa 30 Personen. Kurzerhand wurde daher eine Kaffee-Bar im Außenbereich aufgebaut, hier gab es günstigen "Pilger-Kaffee" aus der Pumpkanne für 1 Euro. Und los ging's, mit viel Tamtam und begeisterten Menschen.
Ich schwärmte über das Megaphon von der spürbaren Aufbruchstimmung und der durchgehenden Ausschilderung durch den Bezirk, die nun folge sollte. Zugegeben, ursprünglich war im Brief nur von einem Hinweisschild die Rede. Aber jetzt hatten wir den Fuß in der Tür, und den wollte ich da auch nicht wieder rausnehmen.
Bereits zwei Kilometer später sprach mich eine nette Frau an, die sich als Leiterin der Gartenarbeitsschule am Wegesrand vorstellte. Und deren Außenzaun wenige Monate später ein vier Meter langes Jakobswegbanner zierte.
Nach etwa sieben Kilometern die erste überraschende Anmerkung eines Politikers, der die Jakobsweg-Ausschilderung seit meinem Brief engagiert und mit eigenen bereichernden Ideen unterstützt hatte: "Jörg, du weißt schon, dass wir nicht mehr in Tempelhof-Schöneberg sind, sondern im Nachbarbezirk Steglitz-Zehlendorf." Meine Nachfrage an den Kommunalpolitiker, der die Grenzen seines Bezirks anscheinend genau kannte, bestand aus nur einem Wort: "Wirklich?", begleitet von einem verschämten Lächeln. Über den Weg dazwischen, den ich zugegebenermaßen vorher nur einmal eher oberflächlich erkundet hatte, hatte ich mir bis dahin keine Gedanken gemacht. Dieser Herausforderung wollte ich mich so nähern, wie ich es bei einer Pilgerreise tat, Schritt für Schritt, Etappe für Etappe.
Mir ist ein Virus bekannt, von dem einige, nein sogar viele Menschen gern befallen sind. Wie kann das sein, verbindet man Viren doch mit Krankheiten? Ok, die Existenz dieses Erregers ist schulmedizinisch nicht nachgewiesen. Die Rede ist vom Pilgervirus, der viele Menschen glücklich und mich - im positiven Sinne - sogar süchtig gemacht hat. Auch der allgemeine deutsche Sprachgebrauch verrät, dass Pilgern mit Leidenschaft assoziiert wird. So "pilgern" heutzutage Fans zu Popkonzerten, Fußballspielen und anderen Großevents.
Die Hamburger Jakobuskirche war brechend voll. Pilgerpfarrer Bernd Lohse hatte zum jährlichen Pilgertreffen eingeladen. Pilgerinnen und Pilger aus ganz Deutschland waren angereist. Ich war einer von ihnen. Tags zuvor fand ein ganztägiges Pilgersymposium statt. Die Vorträge zum Thema Pilgern gingen allen Beteiligten tief unter die Haut. Mit nüchterner Wissenschaftlichkeit hatte unter anderem eine Psychologin dargelegt, wie der Jakobsweg während Sinnkrisen helfen kann.
Der Begriff "Krise" stammt vom griechischen Wort "krino" und bedeutet in seiner ursprünglichen Form "Entscheidung". Krisen können...
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