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Der Slowene, die Slowenin - falls es ihn oder sie überhaupt gibt - ist bestenfalls ein(e) Scheinheilige(r). Slowenen sind meist pflichtbewusst, vor allem, wenn es darum geht, das System, die Gesetze, den Chef legal auszutricksen. Wir arbeiten, rühmen uns gern der eigenen Arbeit und verstehen als Teil dieser Arbeit auch das Jammern über das Arbeiten. Der Slowene/die Slowenin trinkt, ohne jemals zuzugeben, dass es ihm oder ihr schadet. Er beziehungsweise sie feiert gern, um dabei heftig mit anderen in Streit geraten zu können. Vor allem in der Familie ist das ein beliebter Sport, und es gibt nichts Größeres und Wichtigeres für einen Slowenen, für eine Slowenin als die Familie, auch wenn er oder sie es nie so offen zeigen würde wie ein Italiener oder eine Griechin.
Er flucht - aber meistens auf Serbisch oder Englisch, slowenische Flüche kennt er fast keine, zumindest keine deftigen; dafür hat er eine Doppelmoral verinnerlicht, die ihn untertänig und hochnäsig zugleich erscheinen lässt. Dem Balkan und dem Ostblock gegenüber fühlt er sich überlegen, obwohl sich ein solches Gefühl nicht aus Realität speist, sondern aus Vorurteilen. Und ebenso wird er schnell still, wenn der Westen spricht. Oder er wiederholt brav, was eben gerade gesagt wurde. Das Hauptziel ist, wenig vom Eigenen nach außen dringen zu lassen, der Welt nichts Schlechtes über sich zu verkünden, strahlend und zugleich verkannt dazustehen, ohne Grund und Effekt. Das verleiht ihm eine gewisse Steifheit und Verkrampftheit im Umgang mit Fremden. Er leidet unter dem Druck, immer einen Besseren vorspielen zu müssen, obwohl er eigentlich nicht weiß, wozu und warum. Es ist dieser Drang in ihm, ein Besserer als er selbst zu sein. Eine unerfüllbare Aufgabe, die ihn oft ratlos und fremd an der Seite stehen lässt. Er ist der geborene Außenseiter im eigenen Land.
Deshalb verreist er so gerne und so oft er nur kann. Anderswo wird er zum fröhlichen Menschen, zum Weltenbummler, wissbegierig, innovativ und schlau. Wo immer Sie in der Welt hinreisen sollten, Sie werden nicht weniger als einen (aber auch kaum mehr als zwei) Slowenen antreffen. Ich habe Slowenen auf dem Machu Picchu sprechen gehört, auf Feldern nahe Sapporo und in Tungusien. Auch die touristischen Daten sprechen dafür, im Durchschnitt reist der Slowene öfter und weiter als andere Mitteleuropäer. Er muss reisen, denn er ist auf der Flucht. Und gerade diese Flucht macht seine Existenz im eigenen Land nicht nur ertragbar, sondern ab und zu sogar zu einem Genuss. Bei offener Käfigtür bleibt er lieber freiwillig eingesperrt zu Hause, erkennt die Schönheit, die ihn umgibt, genauer und lernt sie zu schätzen.
Was wir Slowenen im Vergleich zu anderen slawischen Brüdern und Schwestern nicht mögen, sind Verkleinerungsformen. Die russischen und polnischen Verniedlichungen der brutalen Realität haben nie den Weg in die slowenische Sprache gefunden. Man ist klein, man betont es immer wieder, auch wenn es unangebracht und unnötig ist. Wenn man auf den Straßen Ljubljanas den Fremdenführern zuhört, ist jedes zweite Wort small, smaller, smallest. Man will es also selbst erledigen, allen im Voraus sagen, okay, hier haben Sie es nicht mit einem Schwergewichtler zu tun, das ist kein Land mit achtstelliger Einwohnerzahl - aber bitte sehr, zeigen Sie Respekt und machen Sie das Ganze nicht noch peinlicher, als es ist. Also keine Diminutive, kein zusätzliches Verkleinerungs-Origami und keine Verniedlichung im Sprachgebrauch. Denn für Verkleinerungen ist man dann doch wieder zu stolz und bemüht sich, alles so herzurichten, wie die ganz Großen es tun.
Zugleich ist die Seelenrezeptur, die der Slowene in sich trägt, nicht logisch flach zugeschnitten wie beim südlichen Nachbarn und noch weniger so barock verschnörkelt wie beim nördlichen.
Die Portugiesen kennen Saudade, in Brasilien gibt es diesem Gefühlszustand zu Ehren sogar einen Feiertag. Die Deutschen kennen von der Romantik her hoch gepriesene Sehnsuchtsgefühle, und es bedurfte eines Schweizer Doktors, um den Nostalgiebegriff zu schmieden. Alle bezeichnen besondere Seelenzustände, ganz eigene Formen eines melancholischen Zustands der Nichtganzheit, der Unerfüllbarkeit.
Ähnlich ist es bei den Slowenen, die sich ihren Seeleninnenraum durch das Hrepenenje-Gefühl ins Unermessliche erweitert haben. Denjenigen, die hrepenenje fühlen, schwebt ein schwer oder ganz unerfüllbares Konkretes vor Augen, das aber nur um ein viel tieferes Ungenügen kreist. Am besten, man liest den slowenischen Prosagroßmeister Ivan Cankar, in dessen Werk es vom Hrepenenje-Gefühl des Unerreichbaren nur so wimmelt. Die Interpreten haben sich lange damit auseinandergesetzt, ob hrepenenje in den Romanen, Dramen und Prosaskizzen Ivan Cankars eher ein körperliches Verlangen ist, den Gefühlszustand eines heimlich Gottsuchenden bezeichnet oder gar ein soziale Befreiung anpeilendes Gefühl ist. Dass man es nicht festmachen kann, ist schon der erste geglückte Versuch, die hrepenenje der Slowenen zu verstehen, also zu verstehen, dass man nicht alles verstehen kann. Man kann ihn auch nicht restlos verstehen, denn der Slowene, so gewieft und in sich verbissen er auch sein mag, versteht sich selbst nicht. Wenigstens nicht ganz. Das Ganze ist nie vor seinen Augen ausgebreitet, in seiner Seele bleibt immer etwas verhüllt, ein Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit in der Welt und im Kosmos, das ihn in diese hrepenenje zurückzieht.
Wenn er aus dem Käfig der hrepenenje ausbricht, dann sieht er vor sich eine Welt, die ihn nicht unbedingt bemerkt. Das will er ändern, was er oft außerordentlich tollpatschig anstellt, denn er stellt nicht das zur Schau, was er ist und was er kann, sondern eher sein Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit.
Nehmen wir zum Beispiel die Heuharfe. Heuharfen, aus Holz gezimmerte und überdachte traditionelle Einrichtungen zum Heutrocknen, findet man nicht nur in Slowenien, doch prägen sie woanders kaum so markant das Landschaftsbild wie im nordwestlichen Landesteil. Die Slowenen lieben ihre Heuharfen, man fühlt sich zu Hause, wenn man, aus dem Auto blickend, die Alpen durch die Heuharfen hindurch wie auf Notenlinien wahrnimmt, als wollte die Landschaft nun sagen, dass sie nichts anderes als eine Symphonie ist. In den frühen Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, als Slowenien als selbstständiger Staat aus Jugoslawien hervorging und man versuchte, die internationale Sichtbarkeit des Landes zu erhöhen, verschickte man ein paar dieser Heuharfen ins Ausland. So kam es dazu, dass eine von ihnen auch unweit der britischen Houses of Parliament in Victoria Tower Gardens aufgestellt wurde und mit der traditionellen Süßspeise Potizza, die von trachtengekleideten Slowenen verteilt und von slowenischer Volksmusik begleitet wurde, für Verblüffung bei den Einwohnern Westminsters und den vorbeigehenden Touristen sorgte. Heute sieht man das Objekt, das das neu gegründete Land Slowenien auf der Weltkarte platzieren sollte, im botanischen Garten in Cambridge stehen, wo es auch gut hinpasst.
Mit der eigenen Unsichtbarkeit ringen wir Slowenen noch immer. Die richtigen Verse beziehungsweise Slogans sollten dabei behilflich sein. Dem einst auch im zerfallenden Jugoslawien politisch wackeren »Slowenien, mein Land«-Slogan, der durch den unter den Menschen sehr beliebten Landesslogan »Auf der sonnigen Seite der Alpen« ausgewechselt wurde, folgte vor einigen Jahren der Globalisierungsslogan »I feel sLOVEnia«. Man möchte also Liebe signalisieren (aber auch nicht zu viel) und was man dabei fühlt. Hrepenenje hat da keinen Platz, ist zu ungreifbar, zu wenig aggressiv, zu sophistisch für Plakatwerbung und die Tourismusindustrie.
Seit jeher waren die Slowenen ein Völkchen außergewöhnlicher Charaktere, von der Bora in alle Ecken der Welt verweht. Nehmen wir nur das letzte Jahrhundert. Meist kennt man Slowenen als Mitläufer an der Seite von beliebten und auch weniger beliebten historischen Figuren; ich meine jetzt nicht nur Melania Trump an der Seite von Donald oder den jugoslawischen Chefideologen Edvard Kardelj an der Seite Titos (der mütterlicherseits auch Slowene war). Slowenen waren immer wieder Konstrukteure, Künstler, Sportler, Erfinder und Erbauer, Menschen, die ihre Imagination mit Ehrgeiz und harter Arbeit verbanden. Der Architekt Viktor Sulcic, der das Stadion der Boca Juniors in Buenos Aires baute, der Architekt Joze Plecnik, der den Burgkomplex von Prag für Masaryk umgestaltete, der Maler Zoran Music, der im Grand Palais ausstellte, der Komponist ...
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