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Ein Foto, entstanden Mitte November 1986, kurz vor Sommeranfang, die beste Reisezeit im subsaharischen Afrika. Es war ein denkwürdiger Besuch am 17. und am 18. November 1986 in Burkina Faso. Erstmals seit 14 Jahren lässt sich mit François Mitterrand wieder ein Staatspräsident der ehemaligen Kolonialmacht in Ouagadougou sehen. Weitere Stationen sind Guinea, Togo, Mali, drei damals immer noch mit Frankreich eng liierte, in neokolonialer Abhängigkeit gehaltene Länder von »Françafrique«, dem französischen Hinterhof auf dem afrikanischen Kontinent.
Dort ist diesmal alles anders. Gut drei Jahre zuvor hat eine Revolution begonnen und das Land verwandelt, und das nicht nur vom Namen her. Das koloniale »Obervolta« wurde abgelegt, der Begriff »Land der Gerechten« (auch: »Land der Aufrechten«), wie Burkina Faso übersetzt heißt, etablierte sich schnell, der Staatspräsident persönlich, ein leidenschaftlicher Musiker und Motorradfahrer, komponierte die Hymne, neue Fahne und Wappen wurden kreiert - roter Stern auf gelbem Grund, aufgeschlagenes Buch, mit einer Kalaschnikow gekreuzte Feldhacke. Sie stehen symbolisch für einen außerordentlichen, dem Zeitgeist widersprechenden Aufbruch einer ganzen Gesellschaft. Dem französischen Präsidenten jedenfalls kann es nicht gefallen, allein: Man sieht es ihm nicht an.
Dunkle Sonnenbrille, luftiger Sommeranzug, Schlips und Kragen natürlich, ein ungewohnt wirkender heller Hut mit Krempe nach Westernart - der sonst so hölzerne Mitterrand gab sich betont lässig, und beim abendlichen Festbankett würde er seinen burkinischen Amtskollegen Thomas Sankara gar um die Schulter fassen, als sei er ein väterlicher Freund des Revolutionärs. Jedenfalls zeigte er sich jovial, ließ sein Redemanuskript beiseite und antwortete auf Sankaras Ansprache, als habe er durchaus Verständnis für dessen offene Kritik an der ehemaligen Kolonialmacht. »Ich finde, dass er bei manchen Urteilen die Impulsivität der Jugend und das Verdienst eines Staatschefs hat, der sich für sein Volk ganz und gar aufopfert. Ich bewundere seine großen Qualitäten, aber er urteilt zu streng; meiner Meinung nach geht er weiter, als er sollte.«1
So Mitterrand, und man fragt sich im Nachhinein, ob die in seiner Formulierung durchschimmernde Nachsicht mit Sankaras klaren Worten bei Tisch mehr mit dem Respekt vor der Aufrichtigkeit seines Kollegen zu tun hatte und ihn möglicherweise an seine eigene Zeit als junger Mann erinnerte, der in der Résistance gegen die deutschen Okkupanten kämpfte. Oder ob es ihm einfach immer noch schwerfiel, seine Rolle einzunehmen als Vertreter einer neokolonialen Politik, die auf dem afrikanischen Kontinent laviert, um die Interessen der »Grande Nation« zu wahren - eine Haltung, die sich jedoch letztlich nicht mit den Zielen der burkinischen Revolution vereinbaren lassen würde, wie ihm wohl bewusst gewesen sein dürfte. Darüber hinaus ist der Sozialist Mitterrand auch im eigenen Land unter Druck, und mittlerweile gezwungen, sich mit der bürgerlichen Regierung von Premier Jacques Chirac zu arrangieren. Beides lässt nicht zu, Schwäche zu zeigen, und passt nicht so recht zur Lage.
Zudem hatte Jacques Chirac höchstpersönlich, als er ein halbes Jahr zuvor Premierminister wurde, Jacques Foccart (1913-1997) als seinen Berater für Afrika in den Élysée-Palast zurückgeholt - »Monsieur Africa«, wie dieser genannt wurde, höchstpersönlich. Thomas Sankara war dessen Intimfeind. Foccart hatte bereits seit dem »Afrikanischen Jahr« 1960, als 17 Kolonien, darunter 14 französische, formal unabhängig wurden, unter den Präsidenten Charles de Gaulle und bis 1974 Georges Pompidou als deren »Graue Eminenz« in Sachen des frankophonen Teils Afrikas gearbeitet.
Seine Hauptanliegen waren es, nicht nur diesbezügliche »Ambitionen des Ostblocks«2 zu bekämpfen, sondern französische Interessen in Politik und Ökonomie zu sichern und vor den absehbar bevorstehenden Umbrüchen zu schützen - egal auf welchen Wegen und mit welchen Methoden, notfalls auch mittels militärischer Interventionen. Foccart, der neokoloniale Fädenzieher: Präsident Pompidou wurde beispielsweise während eines Staatsbesuchs in Gabun 1972 von einem Reporter gefragt, ob es wahr sei, dass Frankreich hinter all diesen Staatsstreichen steckte. Dessen Antwort lautete knapp: »Fragen Sie Foccart«.3
Und Mitterrand selbst hatte bereits Jahre zuvor gegenüber Sankara und anderen afrikanischen Staatschefs demonstriert, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen ist, wenn es um jene prinzipiellen Interessen geht, denen er unterliegt. Oder hat er bei seinem jetzigen Auftritt in Ouagadougou verdrängt, dass er im Mai 1983 seinen afrikapolitischen Berater Guy Penne hierher entsandt hatte, besorgt wegen Sankaras Aufstieg zum Premierminister damals? Der hatte »Bösewicht« Gaddafi eingeladen und sich auch sonst mit manchem antikolonial oder gar antiimperialistisch eingestellten Politiker ausgetauscht: dem Mosambikaner Samora Machel, Fidel Castro, Maurice Bishop aus Grenada, Daniel Ortega aus Nicaragua, dem Präsidenten der Volksrepublik Benin Mathieu Kérékou; der Ghanaer Jerry Rawlings war sein Freund - und allesamt waren sie in den Augen Frankreichs mindestens unsichere Kantonisten oder gar Parteigänger der anderen Seite. Auch seine offen gezeigten Sympathien für die Palästinenser, Südafrikaner, Namibier und deren Befreiungsbewegungen gaben Paris zu denken.
Penne führte seinerzeit in Ouagadougou Gespräche - und kurz darauf wurden Sankara und seine als links bekannten Gefährten Henri Zongo und Jean-Baptiste Boukary Lingani verhaftet. Ein fürwahr merkwürdiger Zufall. Für Sankara stand bereits damals fest, dass beides, Pennes Mission und die Festnahmen, zusammenhing. Er hat das Mitterrand auch, noch im selben Jahr nach seiner Befreiung und der folgenden Augustrevolution (Révolution d'août), auf der Afrika-Konferenz in Vittel Anfang Oktober 1983 gezeigt: Keine 24 Stunden nachdem er in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober in Ouagadougou das Umgestaltungsprogramm des Revolutionsrates vorgestellt hatte, verweigerte er in Vittel demonstrativ seine Teilnahme am Bankett mit François Mitterrand und Guy Penne.
Jetzt, als Gastgeber ihrer Begegnung drei Jahre später, hat er in durchaus freundlichem Ton und keinesfalls mit aggressivem Gestus seine Kritik an Frankreich und Konsequenzen daraus vorgetragen. Sankara, ein begnadeter Redner, der auch »Afrikas Che Guevara« genannt wurde, zeigte Rückgrat und legte eine diplomatische Glanzleistung hin. Freundlich und doch klar nuanciert, von seinen eigenen Erfahrungen mit dem vormaligen »Mutterland« geprägt und doch unaufgeregt, forderte er von der immer noch größten ausländischen Macht in Afrika offen Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in Südafrika und Angola ein.
»In diesem Zusammenhang verstehen wir nicht, Herr François Mitterrand, wie es sein kann, dass Banditen wie Jonas Savimbi (Chef der angolanischen Rebellentruppe UNITA, die mit Unterstützung der CIA und des südafrikanischen Apartheidregimes gegen die MPLA-Regierung Angolas kämpfte) und Mörder wie Pieter Botha (zunächst Premier, ab 1984 Staatspräsident des südafrikanischen Apartheidregimes) durch das schöne, saubere Frankreich reisen durften. Ihre Hände sind befleckt, an ihren Füßen klebt Blut. Und alle, die diese Taten zugelassen haben, tragen die volle Verantwortung, hier und anderswo, heute und für immer.«4
Während einer Pressekonferenz mit Mitterrand tags darauf versuchte dann eine Reporterin der katholischen Tageszeitung La Croix, Sankara wegen dessen Kontakten zu realsozialistischen Staaten unter Druck zu setzen. Diese würden doch »Fragen aufwerfen«. Sankara blieb sachlich: »Ich war in Moskau, Kuba und auch anderswo. Ich war nicht nur in diesen Ländern. Wir pflegen nämlich hervorragende Beziehungen mit diesen Ländern und ihren politischen Führern.«5
Der neben Sankara sitzende Präsident Frankreichs blickte seinen Nachbarn von der Seite an, zornig wie es schien, wandte sich dann ab. Sankara fuhr fort: »Wir planen Projekte, die für unsere Entwicklung wichtig sind. Wir suchen dafür Partner. Wenn uns ein näher gelegenes Land die weite Reise nach Moskau ersparen will, sehen wir darin kein Hindernis. Mir hat noch niemand Hilfe angeboten, die ich abgelehnt hätte. Was mir fehlt, ist eine Concorde, für die andere offenbar Geld haben.« Nun musste Mitterrand tatsächlich etwas schmunzeln, was er zu verbergen versuchte, indem er eine Hand vor den Mund schob.
Oder trog der Schein, und Frankreichs Präsident verbarg seinen Ärger über die Aussage Sankaras, die er als neuerliche Provokation auffassen müsste? Unterstützung aus dem Ostblock war ein No-Go für ihn, das war Sankara spätestens seit Vittel 1983 bekannt. Dort hatte Mitterrand schließlich mehr oder weniger offen gedroht und die versammelten afrikanischen Staatschefs ermahnt. »Was ich Ihnen aus meiner persönlichen Einschätzung heraus sagen möchte: Ich halte es nicht für klug, wenn jeder Konflikt und jedes Problem auf diesem Planeten die Ost-West-Krise noch weiter schürt.«
In dem empfehlenswerten, aufschlussreichen Dokumentarfilm »Thomas Sankara, l'homme intègre« von Robin Shuffield6 sind zwei Redeausschnitte von dem Treffen ausgewählt, die den Eindruck erwecken könnten, es sei in Ouagadougou zu einer ultimativen Zuspitzung gekommen, und in der Konsequenz habe Frankreich Sankara abgehakt, dessen Beseitigung beschlossen und nunmehr voll und ganz auf dessen vermeintlichen - und früher auch tatsächlichen - Freund Blaise Compaoré...
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