Schweitzer Fachinformationen
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Kulturgeschichte der Nutzpflanzen.
Wie Pflanzen nicht nur unsere Ernährung, sondern unser gesamtes Zusammenleben beeinflussen.
Wer denkt bei historischen Ereignissen schon an Pflanzen? Etwa bei der Entstehung von Imperien, bei Völkerwanderungen oder Hungersnöten? Kommt uns die Kartoffel in den Sinn, wenn wir an die Industrialisierung denken? Nach der Lektüre dieses Buches vielleicht schon! Auch biologische Fakten kommen nicht zu kurz, von der Kakaopflanze, die eine spezielle Mücke zur Bestäubung benötigt, bis hin zur Geschichte der Banane, die einst Kerne hatte und nun nur noch Klone macht. Durch Auslese und Züchtung haben wir bestimmte Pflanzen im Laufe der Jahrhunderte verändert, aber auch sie haben uns verändert - als Menschheit und als Gesellschaft.
Ein Ausflug für Wissensdurstige in die Welt der Pflanzen, die uns täglich schmecken.
Pflanzen haben Imperien auferstehen und wieder zugrunde gehen lassen. Sie haben Völkerwanderungen hervorgerufen, Lebensräume geschaffen und zerstört. Sie haben uns verändert, als Menschheit und als Gesellschaft, und wir haben sie verändert, durch Züchtung und Auslese. Die Geschichte der Nutzpflanzen ist eine der Sklaverei und der Ausbeutung, aber auch des Wissens und des (Über)Lebens. Sie ist voller faszinierender Zusammenhänge, an die wir oft gar nicht denken, wenn wir den Kühlschrank öffnen, ein belegtes Brötchen beim Bäcker holen oder im Supermarkt durch die Regale schlendern. Aber woher wissen wir, was wir essen können und was nicht? Aus welchen Früchten sich Getränke brauen lassen und welche Blätter oder Stängel bekömmlich sind? Immerhin sind von den 250.000 blühenden Pflanzen auf der Erde nur ungefähr 3.000 essbar. Knapp 150 davon bauen wir in großem Stil an. Der größte Teil unserer Nahrung basiert sogar auf nur circa 20 Nutzpflanzen.
Vieles von dem, was wir über unser Essen wissen, wissen wir als Menschheit, nicht unbedingt als einzelne Person. So wie wir wissen, wie man Autos oder Spülmaschinen baut. Das bedeutet nicht, dass ich selbst ein Auto bauen könnte, aber als Menschheit können wir das. Genauso ist es mit dem Essen. Unser Wissen darüber ändert sich ständig. Manches kommt hinzu, anderes gerät in Vergessenheit. Wir lernen neue Nahrungsmittel kennen, finden heraus, wie man sie anbaut und was wir daraus Leckeres kochen, brauen, braten oder backen können.
Als Studentin war ich einmal Teil eines EU-Projekts zur Völkerverständigung. Für eine Woche reiste ich mit einer Gruppe deutscher Studierender nach Poznan in Polen. Dort trafen wir Gruppen aus der Ukraine, Belarus, Moldawien und Polen. Es gab kaum Programm. Wir redeten viel, machten Teambuilding, tranken und aßen. Jeden Tag kochte eine Gruppe ein typisches Gericht aus ihrer Heimat. Wir Deutschen hatten uns nach langer Diskussion gegen Kartoffelpuffer und für Frikadellen und Lauchcremesuppe entschieden. Die Kartoffelpuffer gab es dann von den Ukrainer*innen. Mit Knoblauchzehen statt mit Apfelmus. Auch die Pol*innen waren der Meinung, dass Kartoffelpuffer für ihr Land typisch seien. Ausgerechnet ein Gericht aus Kartoffeln, die erst vor knapp 350 Jahren aus Südamerika nach Europa gekommen waren! Zuerst galten sie als Teufelszeug, weil ihre Blüten, Beeren, Blätter, eigentlich alle oberirdischen Pflanzenteile hochgiftig sind. Sechs Generationen nach ihrer Ankunft waren mehrere europäische Länder davon überzeugt, dass Kartoffeln für ihre Küche typisch seien. Eine Freundin von mir hat sogar ihre Tochter nach ihrer Lieblingskartoffelsorte Annabel benannt.
Wer schon einmal in ein anderes Land gezogen ist, weiß, wie viel lokales Wissen es über Essen gibt. Als mein Freund Alfredo im Juni von Mexiko nach Deutschland zog, schwärmten ihm alle vor, wie lecker Rhabarber sei. Überall gab es Rhabarberkuchen und -kompott. Also ging er zum Markt und kaufte sich ein paar grüne Stangen. Zu Hause biss er herzhaft hinein, ohne sie zu schälen. Und ohne Zucker. In seinem Mund zog sich alles zusammen. Es schmeckte bitter. Und sauer. Alfredo fand es fürchterlich. Er konnte den Hype um Rhabarber absolut nicht nachvollziehen. Wir hatten vergessen, ihm zu sagen, dass wir die Pflanze zum Ende der Saison nicht mehr roh essen, weil sie zu viel Oxalsäure enthält, dass wir sie schälen, die Blätter entfernen, sie zuckern und am besten backen oder einkochen. Für uns selbstverständlich. Alfredo lernte es auf die harte beziehungsweise auf die saure Art.
Auf ähnliche Weise haben wir Menschen über lange Zeit gelernt, was wir essen können, welche Pflanzenteile giftig sind, welche wir erst kochen oder einlegen müssen und wie wir daraus die verschiedensten Speisen und Getränke zubereiten. Nicht nur das. Wir haben im Laufe der Jahrtausende Pflanzen so abgewandelt, dass sie weniger giftig sind, mehr Ertrag bringen, in Tausenden Metern Höhe oder auf salzigen und überfluteten Böden wachsen können. Dass sie bei Wind nicht umkippen, in der Hitze Mexikos gedeihen oder im kühlen Skandinavien. Wir haben Pflanzen ausgewählt und so stark an unsere Bedürfnisse angepasst, dass sie mit ihren Vorfahren nicht mehr viel gemeinsam haben. Eine gewaltige Leistung, die kaum gewürdigt wird - weil sie uns nicht bewusst ist.
Wichtige Erfindungen kennt jede*r: die Dampfmaschine, die Eisenbahn, Autos, das Internet, Penicillin. Kaum jemand denkt an Mais, dem wir beim Wachsen zusehen können, an Reispflanzen, die Stürmen standhalten, oder an Weizen, der gegen eine bedrohliche Pilzerkrankung resistent ist. Dabei bilden diese Erfindungen, also die gezielte Auswahl und Veränderung von Pflanzen, erst die Grundlage unserer Lebensformen. Die Erfolge in der Züchtung von Pflanzen und in der Landwirtschaft ermöglichten uns Menschen, die Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu richten. Erst als wir weniger mit Nahrungssuche beschäftigt waren, konnten wir Städte bauen, Bewässerungssysteme anlegen, Schrift und Mathematik erfinden, uns Kunst und Musik widmen.
Wir waren mit der Züchtung von Pflanzen und anderen Erfindungen in der Landwirtschaft so erfolgreich, dass heute in Europa sehr wenige Menschen ausreichen, um genug Essen für alle hier zu produzieren. In Deutschland arbeiten nur knapp zwei Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft. Das bedeutet für die meisten von uns, dass die Herstellung unseres Essens von unserem täglichen Leben sehr weit weg ist. Viele wollen keine "hochgezüchteten" Sorten und lehnen Pestizide und Dünger ab. Unser Essen soll "natürlich" sein. Wenn wir an Natur denken, sehen wir vor unserem inneren Auge Bilder von grünen Wiesen, Wäldern und einsamen Bergseen. Was vor unserem inneren Auge nicht auftaucht, sind Zyankali, Salmonellen und COVID-19. Vieles von dem, was in der Natur vorkommt, ist giftig und gefährlich. Ein Freund hat mich mal gefragt, was er essen könne, das "ganz natürlich" sei. "Leider nichts", lautete meine Antwort. Nichts von dem, was wir essen, ist natürlich. Nichts kam so in der Natur vor. Alles wurde von uns Menschen ausgewählt, verändert, gezüchtet und verarbeitet. Und das ist nichts Schlechtes.
Mit diesem Buch will ich unser Menschheitswissen über die Pflanzen, die wir essen, trinken, züchten und anbauen, für jede und jeden von uns greifbar machen. Von den wichtigsten 20 Nutzpflanzen habe ich für dieses Buch jene elf ausgewählt, die wir im deutschsprachigen Raum hauptsächlich zu uns nehmen. Jedes Kapitel ist einer Pflanze und ihrer Geschichte gewidmet. Wir reisen in die Vergangenheit, wandern auf der Seidenstraße, fliegen zu den tropischen Inseln Indonesiens und in den Fruchtbaren Halbmond der arabischen Halbinsel. Wir klettern auf die Hochebene der Anden, nehmen Bäume (und solche, die nur scheinbar welche sind) unter die Lupe, buddeln Wurzeln aus und stampfen über Äcker.
Ich bin in den vergangenen 25 Jahren um die halbe Welt gereist, um mehr über unsere Nutzpflanzen zu erfahren. Mein Wissensdurst hat dabei vor allem zwei Gründe. Zuallererst: Essen ist meine Leidenschaft. Jahrelang bin ich nur in Länder gereist, die eine interessante Küche hatten, zum Beispiel nach Indien, Italien oder Malaysia. Vor jeder Reise recherchiere ich auch heute noch, was ich wo essen kann. Ich lese Blogs und Artikel, befrage Freunde und Bekannte. Ich schlendere über Märkte, futtere an Straßenständen, quetsche mich in winzige Restaurants und lasse mir in Küchen die Zubereitung zeigen. Der zweite Grund ist meine Faszination für Mechanismen, die unser Leben auf der Erde ermöglichen. Im Biologiestudium lernte ich das feine Zusammenspiel unseres Erbguts mit unseren Zellen, unserem Gehirn, unseren Muskeln und Organen kennen. Und die Photosynthese, mit der Pflanzen aus Luft und Wasser Energie herstellen. Das ist ein Trick, den wir Menschen zwar nicht beherrschen, aber ausgleichen, indem wir Pflanzen essen.
Nach meiner Doktorarbeit in Genetik am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung forschte ich an Melonen, Tomaten, Bananen und Reis. Meine Arbeit führte mich nach Indonesien, Vietnam, Indien, Tansania, Kenia, Uganda, in den Senegal, nach Mexiko und Kolumbien. Immer mehr interessierte ich mich nicht nur für das Essen selbst, sondern auch dafür, woher es kommt, wie es angebaut wird und wie es schließlich auf unseren Tellern landet. Ich begann davon zu erzählen: auf Twitter, in Blogartikeln, bei Wissenschaftskongressen oder beim jährlichen "Pint of Science". Das ist eine Veranstaltung in einer Kneipe, wo ich über meine Forschung an Bananen sprach, während die anderen Bier tranken. Dort durfte ich erleben, dass sich auch meine Zuhörer*innen für das Thema begeistern konnten - und das (hoffentlich) nicht nur wegen des Bieres.
Dieses Buch vereint also meine drei großen Leidenschaften: Entdecken, Essen und Erzählen. Ich schaue auf unsere Nutzpflanzen mit den Augen einer Biologin. Viele biologische Prozesse sind mit unserer Ernährung eng verknüpft. Zum Beispiel die Art, wie Pflanzen Energie gewinnen und speichern - manche als Zucker, andere als Stärke. Oder wie sich Pflanzen vermehren. Manche klonen sich, andere befruchten sich selbst, wieder andere brauchen kleine Helferchen beim Sex. Ihren Nachkommen, den Samen, geben Pflanzen ein leckeres Energiepäckchen mit, das wir uns gerne schnappen.
Ich beantworte in diesem Buch wichtige Fragen wie: Was ist eigentlich Gluten? Enthält Dinkel davon weniger als Weizen? Machen Kartoffeln dick? Und nicht zuletzt: Warum ist die Banane krumm? Neben den biologischen Prozessen der Pflanzen schauen wir uns die verschiedenen...
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