Schweitzer Fachinformationen
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Der Typ heißt Lou, arbeitet bei einem Steuerberater, und das gibt einem zu denken, denn er hat es nicht so mit dem Steuerzahlen und auch nicht mit dem Zählen von Geld. Zumindest nicht, was sein eigenes angeht. Hundert Dollar sind ihm geblieben, an sich gar nicht wenig, aber wenn man die Einsätze des Abends bedenkt, schon. Am Tisch wird hoch gepokert. Es ist das Spiel, das sich Lou allwöchentlich mit den Freunden gönnt und das auf seine Wochenendpartien in den Sälen von Atlantic City, wo das Glücksspiel legal ist, folgt.
Alle haben begriffen, dass Lou krank ist. Jetzt begreifen sie, in welchem Ausmaß.
Der Abend hatte gut angefangen, das Glück hatte sich in die richtige Richtung geneigt, nämlich auf die Seite von Lou. Dann ging es bergab, und er verlor am laufenden Band.
Er kaut an seinem Fingernagel, und ab und zu beißt er ein Stück ab, sodass der Nagel noch ein wenig kürzer wird. Bald wird er ihn bis zum Fleisch abgenagt haben. Lou täte gut daran, an einem anderen Finger als dem Zeigefinger zu kauen, aber den Daumennagel hat er bei den vorhergehenden Spielen aufgebraucht, genauso wie sein Geld. Natürlich könnte er auch am Mittelfinger kauen, doch er will vermeiden, dass seine Kumpel ihn dabei beobachten, wie er den langen Finger in den Mund steckt. Da er mit der anderen Hand die Karten hält, bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Ringfinger zu nehmen. Und das macht er auch. Aber es ist trotzdem lächerlich. Es sieht so aus, als wolle er die Geste des Telefonierens nachahmen. Er ist offensichtlich am Ende. Und aus Mitleid steht einer der Anwesenden auf und sagt: »Letzte Hand, okay?« Die anderen nicken. Widerstrebend nickt auch Lou: »Letzte Hand.«
Der Spieler, der ihm gegenübersitzt, teilt die Karten aus. Lou deckt sie vorsichtig auf, was er sieht, gefällt ihm. Als erfahrener Spieler kann er ein Lächeln unterdrücken sowie die Begeisterung, als er sagt: »Bedient.« Er hat drei Damen und zwei Buben. Ein Full House. Das ist göttliche Vorsehung. Vielleicht schafft er es, mit genauso viel Geld nach Hause zu kommen, wie er hatte, als er sich an den Tisch gesetzt hat. Oder, wenn einer dumm genug ist zu erhöhen, vielleicht sogar ein hübsches Sümmchen einzustecken. Er wirft seine letzten hundert Dollar auf den Tisch.
Der Erste, der passt, steht auf. Die beiden anderen sind offenbar ziemlich dämlich. Einer sagt: »Lass sehen.« Es ist ein Gebrauchtwagenhändler aus Belleville, New Jersey. Er ist nicht reich, aber es fehlt ihm an nichts. Der andere muss jedoch ein Vollidiot sein, denn er erhöht um fünfhundert Dollar. Er ist einer der DeCavalcante-Jungs, seine Verbindung zur Mafia muss ihm zu Kopf gestiegen sein, er will zeigen, wer den Größeren hat. Sein Problem. Lous Problem ist hingegen, dass er die fünfhundert Dollar nicht hat.
Mit den DeCavalcante-Jungs treibt man keine Spielchen. Das weiß Lou, hin und wieder macht er Gelegenheitsjobs für sie, kümmert sich um die Buchhaltung, gibt ihnen Finanztipps, wäscht manchmal Geld. Aber nie mehr als das, denn sie wissen, mit wem er verwandt ist. Einer mit solchen Verwandten kann niemals ein Ehrenmann werden. Na ja, und wenn schon.
Die anderen schauen ihn an und warten darauf, zu hören, dass er am Arsch ist. Auch der Autohändler hat seine fünfhundert Dollar gesetzt. Was nun? Lass gut sein, Lou, denken sie, geh nach Hause, morgen ist ein neuer Tag, vielleicht hast du da mehr Glück. Aber Lou hat nicht die geringste Lust, auf diese Weise zu verlieren, mit diesem Full House auf der Hand, bloß weil ihm die Kohle ausgegangen ist.
Er nagt weiter an seinem Ringfinger. Eigentlich will er das nicht, er weiß, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, aber er kann es einfach nicht lassen. Er muss sich auf etwas anderes konzentrieren als auf die Gesichter der beiden Halunken.
»Mach schon, Lou. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Hast du das Geld oder hast du es nicht? Wenn du es nicht hast« - dabei sehen sie sich an -, »machen nur wir beide weiter.«
»Ich hab's.«
»Und wo zum Teufel ist es?«
»Warte.«
»Ich warte keinen beschissenen Moment länger«, sagt der DeCavalcante-Typ. »Zwei Minuten, und ich hole mir den ganzen Einsatz.«
»Nur die Ruhe«, sagt der Autohändler. »Notfalls spielen wir beide allein weiter.« Der andere zuckt mit den Schultern.
Zwei Minuten, um in den Taschen zu kramen und nachzusehen, ob da noch etwas herauskommt. Lou nimmt den Finger aus dem Mund, greift in seine Hosentasche und fingert seine Brieftasche heraus.
»Was willst du denn da finden? Los, machen wir Schluss.«
»Kümmre dich um deinen eigenen Scheiß.« Lou öffnet das lederne Portemonnaie, das jetzt so krumm und dünn wie ein Zehennagel ist, und kramt darin. Der DeCavalcante-Typ schlägt mit der Hand auf den Tisch, der leicht bebt. Dann schnaubt er verärgert und schüttelt den Kopf. »Was willst du ausspielen, die Karte des Wein- & Spirituosengeschäfts?« Lou sagt nichts und stochert mit den Fingern in den Fächern des Portemonnaies.
Etwas in seinem Gesichtsausdruck hat sich verändert. Er hat eine Idee. Vielleicht ist nicht alles verloren. Vielleicht hat er noch eine Karte auszuspielen, einen Chip auf den Tisch zu werfen. Oder vielleicht ist es auch nur, wie der Typ sagt, die Punktekarte des Spirituosengeschäfts.
Die Jungs sehen sich an: Vielleicht hat er ein paar große Scheine gefunden, und sie haben sich geirrt. Nein, ausgeschlossen. Dann hätte er sie schon längst herausgeholt. Lou ist schnell, und er zeigt auch Leidenschaft, wenn er dabei ist, ins Verderben zu stürzen. Geld hat er keines mehr. Er war ein Mann mit tausend Ressourcen, neunhundertneunundneunzig davon hat er verbrannt. Aber was er noch besitzt, wollen alle, die hier am Tisch sitzen. Lou weiß das. Es ist sein kleiner Schatz. Sein letzter Trumpf ist das Foto seiner Frau. Er nimmt es aus seiner Brieftasche und wirft es auf den Tisch, als wäre es ein Hundertdollarschein, nicht mehr und nicht weniger. Ich werde um sie spielen. Wollen doch sehen, ob es da noch etwas zu lachen gibt.
Die Jungs verstummen. Sie werfen sich fragende Blicke zu. Sie wollen sicher sein, dass sie ihn richtig verstanden haben.
Sie haben sehr wohl verstanden. Sie sehen sich wieder die Karten an, die sie in der Hand halten. Mit seiner Frau als Spieleinsatz wird dieser verdammte Kerl vielleicht einen Flush haben, gar einen Royal Flush. Aber nein, das kann nicht sein. Er hätte sich viel entschlossener gezeigt. Er hätte nicht so lange gezögert und sich nicht die Nägel bis aufs Fleisch abgekaut. Er hat sich Zeit gelassen, zu kalkulieren, und wer kalkulieren muss, steht nicht ganz oben, absolut nicht. Also . entweder ist er ein Meister des Bluffs, oder . er ist völlig am Arsch.
»Und?« Jetzt ist es Lou, der sie bedrängt. Jetzt ist es er, der den Griff des Messers in der Hand hat. »Also, was ist jetzt?«
Schweigen.
»Nehmt ihr an oder nicht?« Die beiden anderen sehen sich noch einmal an, reichen sich das Foto, ihre derben, schmutzigen Pfoten hinterlassen auf dem Gesicht der jungen Frau Fingerabdrücke. Sie mustern sie genau und taxieren ihren Wert in puncto sexueller Befriedigung. Der Autohändler seufzt und nickt zustimmend. Der DeCavalcante-Mann macht Anstalten, die Karten auszuspielen. Doch einen Moment später hebt er die Hand.
»Alle beide«, und zeigt dabei auf sich und den Autohändler.
»Was?« Lou tut so, als würde er nicht verstehen. Er spürt einen kleinen Stoß, als hätten sie unter dem Tisch einen Schubs mit dem Knie ausgetauscht.
»Alle beide«, wiederholt der Typ.
Er will ihn demütigen. Sie verstehen es, sich zu amüsieren, diese Jungs der DeCavalcante-Familie. Ihre Gelüste und ihre Launen, denen sie in den Hinterzimmern ihrer Lokale frönen. Die Demütigung ist Teil des Spiels, egal ob es um Männer, Frauen oder sonst wen geht. Es ist Teil ihres sexuellen Vergnügens.
Wäre er bei klarem Verstand, wäre Lou schon längst nach Hause gegangen. Stattdessen ist er hier und setzt die Würde seiner Frau aufs Spiel im Bann eines Fiebers, das er nicht zu dämpfen vermag. Sie bluffen. Das ist bloß eine Strategie, um ihm den Einsatz zu klauen. Sie wissen, dass sie am Arsch sind, und wollen ihn zwingen aufzugeben. Von wegen!
Lou spielt seine drei Damen...
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