Schweitzer Fachinformationen
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Meine Arbeit entstand aus den Erfahrungen und Einsichten, die ich in meinem Leben gemacht habe. Ich wurde 1914 in Nürnberg geboren - als drittes von vier Kindern. Damals hatten meine Eltern Probleme miteinander. Meine Mutter hatte sich während ihrer Schwangerschaft in einen anderen Mann verliebt, wie ich später herausfand. Drei Tage nach meiner Geburt zog mein Vater in den Krieg. Das Vermögen meines Vaters hielt uns über Wasser. Meine Mutter kannte ich nur aus der Distanz. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich einmal gebadet oder angezogen hätte.
Ein Kindermädchen wurde ins Haus geholt, um sich um mich zu kümmern. Diese Frau zog mich in meinen vier ersten Lebensjahren auf. Ihr Kosename war »Tante Ru«, sie vertrat Mutterstelle an mir und sorgte besser für mich als meine leibliche Mutter. Eines Morgens wachte ich auf, und Tante Ru war verschwunden. Ohne Erklärung, ohne Abschiedsgruß. In mir entstand die Überzeugung, dass meine richtige Mutter mich verlassen hatte, dass ich ein Zigeunerkind sei und die Familie, in der ich lebte, mich aufgenommen hätte. Ich war anders als die anderen und irgendwie passte ich nicht zu ihnen. Von meinem älteren Bruder und meiner Schwester wurde ich geduldet, aber sie beschäftigten sich nicht mit mir. Die Familie nannte mich den »schwarzen Teufel«, denn ich hatte dichtes schwarzes Haar und stritt mit meinen Geschwistern. Ich fühlte mich wie eine Außenseiterin in meiner Familie, und ich sah das Leben aus einer ganz anderen Perspektive. Ich wurde eine aufmerksame Beobachterin von Menschen und Beziehungen. Als Teenager nutzte ich diese gut entwickelte Beobachtungsgabe, indem ich meinen Vater beriet, welche seiner Kunden vertrauenswürdig genug waren, um sich mit ihnen auf Geschäfte einzulassen.
Als Kind hatte ich Asthma bekommen und konnte nur mit Schwierigkeiten atmen. Das heißt, schon früh drehte sich meine Aufmerksamkeit um die Atmung. Als ich älter wurde, nahmen die Atembeschwerden ab, so dass ich ein sehr aktives und freudvolles Teenager-Leben führen konnte. Ich schwamm gern, wanderte, ritt, radelte und fuhr Ski. Am liebsten tanzte ich. Ich hoffte sogar, das Tanzen zu meinem Beruf machen zu können, aber mit 1,75 m war ich zu groß dafür.
Die Machtergreifung durch Hitler und die Nazis brachte mir als Jüdin den Verlust wichtiger Beziehungen, denn die Freunde, die ich hatte, waren nicht-jüdisch und wollten nicht länger mit mir befreundet bleiben. Ich hatte damals einen deutschen Freund, den ich liebte. An einem Tag sagte er, dass er mich liebe, am nächsten, dass er mich nicht mehr treffen könne. All das war schwer für mich, zumal es mir auch verboten war, die Universität zu besuchen, in Kinos und in Restaurants zu gehen. Weil es für mich in Deutschland überhaupt kein Leben mehr zu geben schien, beantragte ich ein Visum für die USA.
Bevor ich Deutschland verließ, wurde meine Mutter wegen eines gebrochenen Beines physiotherapeutisch behandelt. Sie schlug mir vor, mit ihrer Therapeutin zu sprechen. Lucy Heyer lehrte Massagetechniken und Atemübungen, und meine Mutter meinte, ich würde das vielleicht gern lernen. Normalerweise hörte ich nicht auf das, was meine Mutter vorschlug, doch zum Glück ließ ich mich diesmal darauf ein und traf diese Frau. Lucy Heyer war die Ehefrau von Dr. Gustav Heyer (ein Kollege und Schüler von C. G. Jung). Die beiden arbeiteten in München mit einer Gruppe von Leuten, die Massage, Atmung und Entspannung in Verbindung mit Psychotherapie anwendeten. Die Gruppe kombinierte mehrere Methoden und fand heraus, dass auf diese Weise oft weniger Behandlungen notwendig waren als bei der üblichen Vorgehensweise.
Lucy Heyer, 1944
Lucy Heyer bot an, mich zu unterrichten, falls ich Interesse hätte. Sie sagte, ich könne nach München kommen, und sie werde mir zeigen, wie sie arbeitete. Etwa vier Wochen später fuhr ich zu ihr, und sie gab mir meine erste Behandlung. Ich war mit einer schrecklichen Migräne angekommen, aber nach der Sitzung war der Kopfschmerz vorbei. Als sie zum ersten Mal ihre Hände auf mich legte, sagte ich mir: »Das ist meine Arbeit. Die will ich für den Rest meines Lebens ausüben.« Genau das geschah - und ich habe es niemals bereut.
Ich blieb zwei Jahre bei Lucy Heyer, sie lehrte mich alles, was sie wusste. Viele Jahre war ich sehr verschlossen gewesen, aber durch die Arbeit mit ihr begann ich, mich mit mir wohlzufühlen. Ich lernte damals viel über den menschlichen Körper, und ich bewunderte mehr und mehr, wie er aufgebaut war und wie er funktionierte. Dieses Wissen passte zu der psychotherapeutischen Arbeit von Frau Heyers Mann. Ich verstand allmählich, wie das alles ineinandergriff. Die Heyers behandelten ihre Patienten mit Massage und Atemarbeit. Dadurch fanden die Menschen leichten Zugang zu ihren seelischen Problemen. Diese Art der Behandlung war kürzer und wesentlich effektiver.
Nach meinem Aufenthalt bei den Heyers war es Zeit für mich, das Land zu verlassen. Ich hatte zwar geplant, nach Schweden zu gehen, aber ich entschied mich nun erst einmal für England. Mein Bruder war dort Psychiater an der Tavistock-Klinik. Ich hoffte, bei ihm könnte ich ausprobieren, was ich gelernt hatte. Sechs Monate lang arbeitete ich mit verschiedenen Patienten in der Klinik. Seltsames passierte: Die Ärzte schickten mir ihre schwierigsten Fälle, und wenn ich mit ihnen arbeitete, verschwanden deren Krankheitssymptome. So behandelte ich zum Beispiel eine Frau, die an Panikattacken litt, wenn sie aus dem Haus ging. Nach einigen Sitzungen waren diese Attacken verschwunden.
Ein anderer Patient war ein junger Bote, der seine Auftragszettel nicht mehr lesen konnte. Nach einer Sitzung gab ich ihm einen Band mit Gedichten und bat ihn, mir daraus vorzulesen. Er machte das perfekt! Danach begann er, offener mit mir zu sprechen, klagte darüber, wie sehr er seinen Job hasse und dass er viel lieber etwas ganz anderes tun würde. Nach dieser Sitzung konnte er seine Auftragszettel wieder lesen. Die Ärzte fragten mich, wie das möglich geworden sei, und ich konnte es ihnen nicht sagen. Es war ein Problem für die Ärzte, Patienten zu behandeln, deren Beschwerden zwar verschwunden waren, die für die Ärzte aber nicht als geheilt galten. Ich, eine 22-jährige Frau, die so schnell mit Erfolg behandelte, war eine Bedrohung für die traditionell langandauernde Therapie! Deswegen gelang es dann doch nicht, die traditionellen psychoanalytischen Methoden mit der neuen unkonventionellen Herangehensweise zu kombinieren, zumal es keine Theorie gab, die die guten Ergebnisse erklären konnte.
In dieser Zeit in England bekam ich einen Brief von einem Mann, der nach Kalifornien emigriert war. Er schrieb über das Wetter, die Menschen, die Arbeitsbedingungen und wie wunderbar alles sei. Es gäbe nur wenige Einschränkungen und man könne in jedem Beruf arbeiten. Nach all den Entbehrungen in Europa erschien mir das geradezu paradiesisch, und ich beantragte erneut ein Visum. Die Wartezeit auf das Visum, eineinhalb Jahre, verbrachte ich in Schweden, wo ich mich zur Physiotherapeutin ausbilden ließ. Ich wohnte bei meiner Schwester, und wir lebten von dem, was sie verdiente. Es war eine schwierige Zeit, denn ich war illegal im Land und hatte nur ein Empfehlungsschreiben von Lucy Heyer in der Hand. Während der Ausbildung stellte ich fest, dass viele von Lucy Heyers Methoden durch die fortschrittliche schwedische Auffassung der Physiotherapie gestützt und bestätigt wurden. Als Teil der Ausbildung sah ich bei verschiedenen Operationen zu, zum Beispiel beim Einsetzen künstlicher Hüftgelenke, bei Wirbelsäulen- und Schädelchirurgie. In dieser kurzen Zeit lernte ich fortschrittliche und überaus wichtige Arbeiten auf diesem Gebiet kennen.
Um mich zusätzlich sinnvoll zu beschäftigen, fragte ich eine Tanzlehrerin, ob ich bei ihren Kursen zuschauen könne. Ich bot im Austausch dafür Massagen an. Glücklicherweise hatte sie Schmerzen im Knöchel. Ich behandelte sie drei Mal, und es ging ihr besser. Dadurch hatte ich ihr Interesse geweckt. An einem Abend hatte sie einen Auftritt, litt aber unter Hexenschuss. Nachmittags behandelte ich sie - mit Erfolg. Von da an durfte ich in ihre Tanzschule kommen und gehen, wie ich wollte. Ich habe viel Zeit damit zugebracht, den Tänzern und Tänzerinnen zuzuschauen. Der Tanzstil war weder modernes noch klassisches Ballett, sondern einfach eine sehr anmutige Bewegung zur Musik. Ich konnte stundenlang dasitzen und bei den verschiedenen Tänzen zusehen - Kinder, ältere Leute und angehende Profis tanzten. Ich wusste nicht, was es mir bringen würde, aber es machte mir Spaß, und ich genoss das Zuschauen. Erst Jahre später in den USA stellte ich fest, dass ich dabei gelernt hatte, ganz genau wahrzunehmen, wie Menschen sich bewegen und wie ihre Körper dabei aussehen. Ich hatte Kenntnisse erworben, die ich später in meiner Arbeit sehr gut einsetzen konnte.
Schließlich kam mein Visum, und ich steuerte Amerika an. Eigentlich hatte ich geplant, nach New York zu gehen und dort zusammen...
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