Schweitzer Fachinformationen
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Ein neuer Tag beginnt, mein letzter in den Bergen Kasachstans. Die Sterne sind bereits verblasst, die Sonne verbirgt sich noch hinter einer felsigen Barriere. Im Osten erahne ich einen gelblichen Schimmer, er nimmt an Farbintensität zu, breitet sich aus wie eine wässrige Farbe auf einem Aquarell, bis endlich der ganze Himmel hell erleuchtet ist.
Auf einem flechtenbewachsenen Stein hockend - gegen die Morgenkühle habe ich die Fleecejacke untergelegt - schaue ich zu, wie die Dämmerung die Nacht besiegt. Doch es will mir nicht gelingen, mich diesem Geschehen uneingeschränkt zu widmen. Um in Ruhe nachdenken zu können, habe ich mich aus dem Zelt geschlichen, meine Gedanken schwirren jedoch in alle Richtungen davon, werden von Emotionen bedrängt.
Plötzlich nehme ich den herb-süßen Geruch der Kräuter wahr. Wermut vor allem, auch wilder Thymian, Melisse, Beinwell und andere unscheinbare Pflanzen, an den Erdboden gepresst, weiten ihre Spaltöffnungen und verströmen jetzt, in der mit dem beginnenden Tag wärmeren Luft, ihre ätherischen Essenzen.
Mein Blick schweift hinüber zu den Pferden. Sie weiden die spärliche Vegetation ab. Unentwegt fressend nutzen sie die Ruhezeit, ihre Mägen zu füllen. In ihrer Nähe stehen die beiden Zelte. In einem liegen die zwei Kasachen, in dem anderen mein Bruder, neben dem ich diese Nacht kaum Schlaf gefunden habe. Dieses erste gemeinsame Unterwegssein mit ihm ist so ganz anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt und gewünscht hatte.
Der goldene Sonnenball ist emporgestiegen, rollt jetzt über den Felsengrat und lenkt mich von meinen bohrenden Gedanken ab. Was für ein Licht! Es belebt die zuvor graue Steinwelt, bringt sie zum Leuchten. Wie schön ist doch der beginnende Tag! Immer wieder bin ich von Neuem verzaubert, wenn ich draußen in der Natur den Übergang von der Nacht zum Tag erleben kann, wenn das Erscheinen der Sonne alles ringsum verwandelt und das Leben wieder mit frischer Kraft beginnt. Für einen Moment wird auch in mir alles hell und licht, verflüchtigt sich die düstere Erinnerung.
Die Stille wird von einem metallisch klirrenden Laut durchbrochen, der übergeht in einen rauen, irgendwie gepresst klingenden Gesang, halb flötend, halb pfeifend. Es ist ein kleiner Vogel, etwas größer als ein Rotkehlchen. Vögel dieser Art habe ich öfters während der Reise gesehen. Sie heißen Isabellsteinschmätzer und sind in den vegetationsarmen Steppen und Gebirgen Asiens daheim. Farblich angepasst an ihren Lebensraum sind sie am Rücken sandfarben, an Bauch und Brust cremefarben, insgesamt also eher eintönig gefärbt, deswegen auch der Name. Die Bezeichnung Isabell, so nett sie klingt, meint eigentlich einen schmutzigen Weißton. Gleich zwei adelige Frauen, eine Königin und eine Prinzessin, gelten als Namensgeberinnen. Die Königin Isabella von Kastilien soll 1482 geschworen haben, ihr Unterhemd nicht eher zu wechseln, bis Granada von den Arabern befreit sei, was ganze zehn Jahre gedauert hat. Die Farbe ist überliefert, jedoch nicht, wie das Hemd gerochen hat . Etwas weniger lange musste die spanische Prinzessin Isabella, Tochter von Philipp II., warten, bis sie wieder ein frisches Unterhemd anziehen durfte. Drei Jahre, drei Monate und drei Tage trug sie das schmutzige Kleidungsstück, um ihren Schwur nicht zu brechen. Sie war mit dem österreichischen Erzherzog Albrecht von Habsburg verheiratet, der die Stadt Ostende an der Nordseeküste eroberte und den Aufstand der Niederländer niederschlug, die sich von spanischer Fremdherrschaft befreien wollten. Auch das Hemd der Prinzessin war danach nicht mehr weiß. Durch diese beiden Legenden wurde der Name Isabell zu einer Farbe: Hell gefärbte Pferde, Katzen, Hunde und Vögel bezeichnet man als isabellfarben, wie eben auch die Steinschmätzerart, die mich an diesem Morgen erfreut.
Dem Vogel hat sich ein zweiter Isabellsteinschmätzer hinzugesellt. Flink am Erdboden hüpfend knicksen sie nervös mit ihren auffallend langen Beinen auf und nieder und flattern hektisch mit den Flügeln, dabei scheuchen sie Insekten auf. Als Ornithologin bin ich mir sicher, dass ich die Vogelart richtig als Isabellsteinschmätzer bestimmt habe. Erkennungszeichen, außer ihrer Gefiederfärbung und ihrem Verhalten, sind die auffallend schwarz-weiß gezeichneten Schwanzfedern.
Irgendwo zirpt eine Heuschrecke ihr gleichförmiges Lied. Die wärmenden Strahlen der Sonne haben den Tieren nach der kalten Nacht in dieser rauen Bergwelt wieder Leben eingehaucht. Gern würde ich bleiben, einfach hier sitzen, schauen und beobachten, die Welt um mich wahrnehmen und versuchen, meine Gedanken doch noch zu bündeln und eine Antwort auf meine Frage zu finden: Warum ist diese Reise so anders verlaufen als erwartet?
Doch ich muss meine Suche nach Erklärungen auf später verschieben, denn inzwischen sind meine Begleiter aus ihren Zelten gekrochen. Sie beginnen, diese abzubauen und zu packen. Wir müssen uns beeilen, von hier wegzukommen. Es wird kein Frühstück geben, nicht einmal Tee oder Kaffee. Seit gestern haben wir kein Wasser mehr, und das in einer Höhe von fast 4000 Metern, wo man eigentlich besonders viel trinken sollte, um nicht höhenkrank zu werden. Meine Stimmung wird schlagartig mies, als mir wieder bewusst wird, wie verantwortungslos sich die Kasachen während unserer Reise verhalten haben.
Die beiden Zelte, Schlafsäcke, Matten, Kocher und die spärlichen Reste der Verpflegung werden in den praktischen und geräumigen Satteltaschen verstaut und die vier Pferde damit beladen. Als ich schon auf meinem Pferd sitze, sehe ich, wie Aslan, der ältere Kasache, eine leere Zwei-Liter-Plastikflasche unter einen Wachholderbusch schiebt.
Dort wird sie nun so gut wie unzerstörbar für unbestimmte Zeit die ursprüngliche Bergwelt verunreinigen. Warum macht er das? Er könnte sie doch mitnehmen - leer wiegt sie so gut wie nichts - und sie an einem der nächsten Bäche füllen. Dann hätten unsere beiden Führer eigenes Wasser und müssten sich nicht aus meiner Flasche bedienen, wie gestern Nacht, als ein Liter für drei Männer reichen musste, nachdem sie den ganzen Tag nichts getrunken hatten. Ich war bei den Zelten geblieben, während mein Bruder und unsere beiden Begleiter eine anstrengende Tour hinter sich gebracht hatten. Ich öffne den Mund, will protestieren. Warum ich es dann doch nicht tue? Wie nach jeder Reise bin ich traurig, wenn sie vorbei ist. Dieses Gefühl lähmt und hindert mich, Stellung zu beziehen. Mir fehlt einfach die Kraft aufzubegehren.
Eine ausgesetzte Felsüberquerung lenkt mich vorerst von meinem Ärger ab, eine wirklich anspruchsvolle Strecke. Wieder einmal denke ich: Was für geländegängige Pferde wir haben! An ihren Hufen haben sie Eisen mit Spikes, die geben ihnen auf dem felsigen Untergrund zwar etwas Halt, allerdings ist der Grat kaum einen Meter breit, und er fällt rechts und links steil in die Tiefe. Selbst für einen trittsicheren Menschen wäre diese Klettertour schwindelerregend, wie beschwerlich muss es erst für die Pferde sein, beladen mit Reitern und Gepäck.
In den Wochen, die wir im Alatau unterwegs sind, habe ich gelernt, meinem Reitpferd zu vertrauen, und so sitze ich ruhig und sicher im Sattel und bewundere, wie die Pferde die gefährlichen Schwierigkeiten meistern. Endlich haben wir den Felsgrat überwunden und queren einen schütter bewachsenen Grashang. Wie schade, dass wir bald, in wenigen Stunden schon, im Camp ankommen werden. Dann ist mein Ausflug in Kasachstans Gebirge unwiderruflich vorbei. Dabei hatte ich mich gerade auf diese wilde Bergwelt so sehr gefreut. Wehmut durchflutet mich. Wie hat eigentlich alles begonnen? Warum habe ich mich für diese Reise zusammen mit meinem Bruder Holger entschieden?
Holger ist der Jüngste von uns vier Geschwistern, fast vierzehn Jahre jünger als ich. Bisher hat Holger seine Reisen mit seiner Frau unternommen. Früher, bei Wanderungen in den Bergen, waren auch seine beiden Söhne dabei, die inzwischen erwachsen sind und eigene Pläne haben.
Mein Bruder hat Forstwirtschaft studiert. Seine Passion ist die Jagd. Unser Vater, der ebenfalls ein leidenschaftlicher Jäger war, hat uns beide, seine Älteste und seinen Jüngsten, schon als Kinder mit der Jagd vertraut gemacht. So erlebte ich durch ihn bereits damals die Nähe zur Natur. Dass er Jäger war, habe ich nie infrage gestellt. Bei ihm wie bei meinem Bruder und anderen Jägern, die ich kenne, waren und sind die starke Verbundenheit zur Natur und der respektvolle Umgang mit ihr ausschlaggebend für die Jagdleidenschaft.
Cornelia, die Frau meines Bruders, akzeptiert die große Jagdleidenschaft ihres Mannes, schließlich hat sie ihn doch so kennengelernt. Als wäre es ein symbolisches Zeichen gewesen, so erzählte Cornelia mir, kreuzte direkt bei ihrem ersten Treffen eine Rotte Wildschweine ihren Weg. So erfuhr sie gleich zu Beginn, dass sie jemanden liebt, der als bester Wildschweinschütze gilt und für seine Jagderfolge ausgezeichnet wurde. Ihr gemeinsames Leben wurde von Anfang an durch die Jagd bestimmt. Bei Holgers früheren Jagdreisen hat sie ihn stets begleitet. Da allerdings gab es feste Unterkünfte bei Gastfamilien oder in Pensionen. Mit Pferden durch ein wildes Gebirge zu reiten, mit Zelt von Ort zu Ort zu ziehen, danach stand ihr nicht der Sinn.
So kam ich ins Spiel. Ich wusste, dass Holger sich seit Langem wünschte, einmal im Leben die anspruchsvolle Jagd auf Steinböcke zu bestehen, und witterte die Chance, dieses einmalige Erlebnis mit ihm zu teilen. Bedenken, dass es für mich zu strapaziös sein könnte, hatte ich nicht, ist es doch seit Jahrzehnten mein Beruf, in den unwirtlichsten Gegenden unserer Erde unterwegs zu sein. Allerdings war ich da immer allein, mindestens ein halbes Jahr oder länger. An einer geführten...
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