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Die Renaissance in Italien als erster Abschnitt der europäischen Moderne ist ein folgenreiches Konstrukt des 19. Jahrhunderts. Ob es sich dabei um eine Entdeckung oder eine Erfindung handelt, das heißt, ob und, wenn ja, wie man diese Epoche bestimmen und auf welchen Zeitrahmen man sie festlegen kann, darüber streiten Historiker bis heute lebhaft. Eine Einigung ist nicht in Sicht. Das Fehlen von Konsens schlägt sich am augenfälligsten in den stark voneinander abweichenden Datierungen nieder. Hier präsentiert so gut wie jeder Autor eigene Ansätze. «Maximalisten» stecken die Grenzen der Renaissance zwischen 1250 und 1650 ab; «Minimalisten» reklamieren meist nur den Großteil des 15. und die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts für «ihre» Renaissance. Skeptiker schließlich ebnen diese zu einer bloßen Episode im großen Fließen europäischer Geschichte zwischen 1000 und 1800 ein. Doch eine solch radikale Bestreitung der Epochentauglichkeit ist eher selten. Meistens wird der Begriff «Renaissance» aus Gewohnheit, als liebgewonnene, nützliche oder zumindest vertraute Konvention verwendet.
In krassem Gegensatz zum eher gedämpften Gebrauch in der historischen Wissenschaft ist in Belletristik und Medien ein sehr blutvolles Bild der italienischen Renaissance verbreitet: als Morgenröte sich selbst entfaltender, kühn zu neuen geistigen und geographischen Horizonten aufbrechender Individuen beiderlei Geschlechts mit ausgeprägter Neigung zu sex and crime. Diese Renaissance, für die Cesare und Lucrezia Borgia, amoralische Sprösslinge Papst Alexanders VI., als Prototypen in Anspruch genommen werden, hat sich als völlig immun gegen jedwede Bestreitung durch historische Fakten erwiesen und wird auch - siehe die Auflagenziffern historischer Romane, die um das Jahr 1500 in Venedig oder Rom spielen - unangefochten von solchen Widerlegungsversuchen weiterblühen. Daraus darf geschlossen werden, dass diese virtuelle Welt gebraucht wird - als Kontrastfolie zu einer bürokratisierten, ereignislos-vorhersagbaren Gegenwart; als eine Gegenwelt, in die man unerfüllte Erwartungen projizieren kann; als Beweis, zu was der Mensch, der nach dem klerikal beherrschten finsteren Mittelalter endlich von Sündenbewusstsein und künstlich eingepflanztem schlechtem Gewissen befreit ist, im Guten wie im Bösen fähig ist. Mit einem Wort: Die virtuelle Renaissancewelt wird als Überlebenshilfe in einer Überzivilisation gebraucht, die das Individuum zur bloßen Nummer degradiert. Diese Funktion erfüllte der Mythos Renaissance im Übrigen schon im Fin de siècle mit seiner grassierenden Renaissance-Mode, vor allem in der Literatur - man denke etwa an Heinrich Manns Roman Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy von 1903.
Dass sich die mit wissenschaftlichen Methoden erschließbare «wirkliche» Renaissance in Italien anders, vielschichtiger, spannungsreicher darstellt, ist ein Gemeinplatz; dass sie in diesem Licht zugleich spannender hervortritt - auch das gilt es im Folgenden zu belegen. Aus diesem - kühnen - Anspruch erklärt sich der Aufbau dieses Buches. Auf einen knappen Abriss zu den Wegen, Geschicken und Thesen der Renaissance-Forschung in den letzten anderthalb Jahrhunderten folgt der Versuch einer ebenso kurzen kritischen Bestandsaufnahme: Welche Erkenntnisse zu Staat, Gesellschaft, Kultur und Mentalitäten haben sich in welchem Maße als haltbar erwiesen? Und welches Bild der Renaissance in Italien lässt sich, auf diesem kleinsten, mehr oder weniger gemeinsamen Nenner aufbauend, entwerfen? Das am Ende dieser Einführung in Kurzform vorgestellte Epochentableau soll danach zu einem ausführlicheren Querschnitt durch die verschiedenen Aspekte und Lebenswelten der Zeit erweitert werden. Dabei werden Abschnitte zur politischen, diplomatischen und militärischen Geschichte der italienischen Staatenlandschaft vorangestellt, auf die Erläuterungen zu den verschiedenen politischen Systemen und ihren Führungsschichten folgen. An sie schließen sich Beschreibungen und Erklärungen von Höfen und höfischen Gesellschaften an. Diese leiten zum nächsten Themenbereich Mäzenatentum, Propaganda und Bilderwelten über, der in vielfältiger Weise mit dem nachfolgenden Kapitel zu den vorherrschenden kulturellen Strömungen, zu Weltbildern von Eliten und einfachen Leuten verknüpft ist. Am Ende steht ein Ausblick auf die Ausstrahlungen Italiens ins übrige Europa der Zeit.
So umfassend dabei auf den neuesten Forschungsstand zurückgegriffen wird, so bleibt doch der Hinweis in eigener Sache angebracht, dass ein Versuch der Synthese und Neubestimmung der italienischen Renaissance bei allem Bemühen um ein ausgewogenes Urteil immer auch subjektiv eingefärbt ist. Offenbar reicht diese ein halbes Jahrtausend entfernte Zeit stärker in unsere Gegenwart hinein als rein chronologisch näher liegende Epochen, geht es dabei doch mehr oder weniger verborgen auch um die Moderne als Ganze und um ihr Produkt - um uns.
Um die Moderne als Ganze ging es bereits 1860, als mit Jacob Burckhardts Kultur der Renaissance in Italien ein einprägsames, suggestives, ja bezwingendes Bild der ersten Phase der europäischen Neuzeit zwischen Alpen und Ätna vor das Auge des gebildeten europäischen Publikums trat. In seinem thesenhaft angelegten Querschnitt durch alle Bereiche des öffentlichen und privaten, äußeren und inneren Lebens der Großen wie der Kleinen tritt die Renaissance in Italien, zwischen Ende des 13. und Mitte des 16. Jahrhunderts datiert, unvergleichlich lebendig und zugleich zutiefst doppeldeutig hervor. Durch nostalgische Beschwörung herangerückt, aber ebenso durch moralisches Grauen auf Distanz gehalten, vereinigt sie Licht und Schatten der gesamten Moderne in sich, die sie stürmisch einleitet. Die Welt entzaubernd, unerschrocken nach dem Wesen des Faktischen forschend, hebt sie alle überkommenen Legitimationen auf und löst damit die ununterbrochene Reihe der Revolutionen bis heute aus.
Hinter der Farbenpracht von Burckhardts Bilderbogen steht somit ein in sich geschlossenes kausales Modell, das eine unaufhaltsame Kettenreaktion erklärt: die Entdeckung des Ichs und der Welt, daraus resultierend die Auflösung vorher verbindlicher Weltbilder, Subjektivierung als Folge objektivierender Welterforschung, durch alle Schichten hindurch und daher mit einschneidenden Konsequenzen für den Alltag in allen seinen Schattierungen. Der Durchbruch zur Moderne aber vollzieht sich vorzeitig in Italien, weil hier zum einen die Membran zwischen Gegenwart und Antike rasch durchstoßen wird und zum anderen die feudale Ordnung schwach und aufgesetzt ist und somit Platz bietet für das große Experiment, für eine neue Politik als Kunst der Macht: Der Staat als Kunstwerk wird zum Laboratorium des neuen Menschen. Denn die seit dem späten 13. Jahrhundert siegreich ausgreifende Einzelherrschaft, die aller überkommenen Rechtfertigungen und Regeln spottende Tyrannis machtvoller Individuen, zieht sich in einer unerbittlichen Schule des Erfolgs skrupellose Machtmenschen, devote Machtdiener, aber auch deren modernen Gegentypus, den Machtverächter, heran. Von so viel Amoralität angeekelt, tritt dieser den Rückzug ins Privatleben an und bildet als Kunstmäzen oder Literat den neuen Geist der Individualität weiter aus. Im Anspruch des Einzelnen auf schrankenlose Selbstentfaltung lebt, so Burckhardt, die Renaissance in den europäischen Revolutionen der Folgezeit stetig gesteigert fort - und mit ihr die unheimliche Dialektik von Individualität und Machtstaat, der allein die heillos konkurrierenden Ansprüche der Individuen zu bändigen vermag und diese zugleich zu einer gestaltlosen Masse herabdrückt.
Diese Thesen lösten neben nationalistischen Debatten darüber, welches Land das Erstgeburtsrecht der Renaissance für sich in Anspruch nehmen dürfe, auch andere Seltsamkeiten aus (etwa die hitzige Diskussion über den «heidnischen» Charakter der Zeit). Lässt man diese Auseinandersetzungen außer Acht und resümiert stattdessen die (vor intellektuellen Exzessen allerdings auch nicht immer geschützten) seriösen, bis heute fortwirkenden «revisionistischen» Ansätze der Forschung, so setzt die Kritik zuerst an Burckhardts Bild des Mittelalters an. Seinem idealtypischen Konzept einer vorindividuellen, von verbindlichen kollektiven Glaubens- und Weltvorstellungen bestimmten Zeit stellten europäische Mediävisten ein entschieden moderneres Bild entgegen. Belege für Individualität, Naturforschung und vor allem intensive Wiederentdeckungen des Altertums im Mittelalter wurden gesucht und...
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