Schweitzer Fachinformationen
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Jede Kunstgeschichte beschäftigt sich mit Fragen der Gestaltung. Allerdings birgt eine summarische Darstellung, wie sie hier vorgenommen werden muss, die Gefahr, komplexe und historisch sowie regional diverse ästhetische Prinzipien zu reduzieren und zu essentialisieren. Dass sich dieses Kapitel dennoch einigen wichtigen ästhetischen Strategien afrikanischer Künste widmet, hat mit der wechselseitigen Bedingtheit von formaler und materieller Gestaltung und Werkbedeutung zu tun, anhand derer sich Konventionen erkennen und herausstellen lassen. Selbst wenn eine Kunst um ihrer selbst willen in den afrikanischen Gesellschaften nicht existierte, bedeutet dies keinesfalls die Inexistenz ästhetischer Kriterien. Vielmehr manifestier(t)en sich diese als ein komplexes System, in dem sich gestalterische und moralische Aspekte überschneiden. Ein Beispiel dafür ist die Yoruba-Maxime iwalewa, die wörtlich übersetzt «Charakter ist Schönheit» bedeutet. Künstlerische Werke, die als galten, waren zugleich auch ethisch in dem Sinne, dass sie moralische Werte der Gemeinschaft verkörperten. Auch auf Edo, das im Königtum Benin gesprochen wird, beurteilt der Begriff mosee nicht nur fertige Werke als schön oder ausgewogen, sondern auch als moralisch richtig. Die Wirkmächtigkeit eines Artefaktes, seine Fähigkeit mit der spirituellen Sphäre in Verbindung zu stehen, kann ebenfalls zum ästhetischen Maßstab werden - denn Objekte spiel(t)en eine zentrale Rolle in der Kommunikation mit Geistern, Gottheiten, Ahnen und anderen unpersönlichen Kräften.
Mit der Frage nach einer nicht-westlichen Ästhetik und ihren Kunstbegriffen verbindet sich das Thema der (individuellen) Künstlerschaft. Nicht immer und überall existierte ein allgemeiner Begriff als Bezeichnung für professionelle Kreative, die über ein spezielles technisches und gestalterisches Wissen verfügten. Stattdessen wurden die konkreten künstlerischen Felder wie die Weberei, die Bronzegießerei oder die Keramikkunst begrifflich direkt angezeigt. Die Berücksichtigung des Gender-Aspekts verweist bereits auf die spezialisierte und zwischen den Geschlechtern arbeitsteilige Organisationsweise: In den meisten Fällen war das Weben eine männliche, die Töpferei eine weibliche Tätigkeit. Genauso vielfältig wie Handwerkerinnen und Handwerker ausschließlich oder nur nebenbei künstlerisch tätig waren, gestalteten sich auch die Ausbildungswege. Während etwa bei den Yoruba ein strukturiertes und von Meister-Bildhauern geprägtes Lehrverhältnis vorherrschte, erfolgte die handwerkliche Ausbildung anderswo eher informell. Künstler genossen einen sehr unterschiedlichen Status: Sie waren geschätzt wegen ihres technischen Vermögens, galten als große Innovatoren, da sie im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft mobiler waren und über weitreichende Klienten-Netzwerke verfügten. Sie zählten zu den agilsten sozialen Gruppen und Erneuerung und Kreativität gehörten entgegen manchen europäischen Vorannahmen zu ihrem Selbstverständnis. Im Yoruba wurden Künstler als are charakterisiert: reisende Individuen, Wanderer, Fremde; das privilegierte Idiom des künstlerischen Ausdrucks, ja die Existenzweise der Künstler, sollte ein ständiger Aufbruch sein. Künstler, so zitiert Olabiyi Babalola Yai (1998) ein oriki-Gedicht, seien am besten, wenn sie buchstäblich nicht zu Hause seien. Bei den Bamana genossen Bildhauer, Schmiede, aber auch Färberinnen wegen ihres Umgangs mit agentiellen und transgressiven Werkstoffen einen ambivalenten Status, der ihnen streng kodifizierte Verhaltensweisen auferlegte und sie vom Rest der Bamana-Kultur unterschied. Neben den Künstlerinnen und Künstlern waren an der ästhetischen Genese eines Objektes weitere Personen beteiligt: Auftraggeber, rituelle Spezialisten, die das Werk aktivierten, und schließlich die Nutzer und Nutzerinnen. Als Kunstpatrone fungierten politische Führer oder Gruppen, einzelne Familien oder Individuen. Mehrfach ist belegt, dass Künstlerinnen und Künstler nicht nur für die eigene Gesellschaft, sondern auch für benachbarte Gruppen oder Reiche arbeiteten und auch äußerst flexibel auf die neuartigen Anfragen eines sich seit der Wende zum 20. Jahrhundert etablierenden Marktes für Kunst aus Afrika reagierten.
Als einer der ersten Wissenschaftler interessierte sich Hans Himmelheber für die Schöpfer der Kunstwerke. Der in Hamburg geborene und in den 1930er Jahren zeitweilig in die USA emigrierte Kunsthistoriker kam in Paris mit Plastiken aus Afrika in Berührung. Zurück in Deutschland, betätigte er sich nicht nur im Kunsthandel, sondern war auch der erste Kunstwissenschaftler, dessen Arbeiten auf empirischen Forschungen in der heutigen Elfenbeinküste und auf ausführlichen Gesprächen mit mehreren Künstlern basierten. Zeichnerisch und fotografisch dokumentierte er die einzelnen Etappen des bildhauerischen Werkprozesses. Seiner Zeit voraus war er auch deshalb, da er Vorstellungen von Naturalismus und Mimesis als Konstrukte der westlichen Kunstgeschichte erkannte und stattdessen nach in afrikanischen Gesellschaften geltenden Ähnlichkeitskonzepten suchte. Beispielsweise wies er für die Bildhauerei der Dan nach, dass beim Schnitzen nach einem lebenden Vorbild physische Ähnlichkeit nur sehr bedingt angestrebt war. Wollte man diese erreichen, hätte man fotografische Verfahren bevorzugt; stattdessen wurde der individuelle Status durch markante emblematische Details vermittelt. Abgesehen von seiner kolonialistisch-paternalistischen Sprache bestand Himmelhebers Verdienst darin, gezeigt zu haben, dass das ästhetische Feld keinesfalls so begrenzt war, wie es lange Zeit von außen postuliert wurde. Er registrierte etwas, was er als eines Bildhauers umschrieb und was heute mit dem Begriff der Künstlerhandschrift bezeichnet würde. Auch notierte er die Namen aller von ihm befragten Künstler und wies nach, dass diese oft weit über ihr eigentliches Umfeld hinaus bekannt waren. Damit widerlegte er die vorherrschende Annahme, Künstler und Künstlerinnen würden ausschließlich anonym arbeiteten und durch starre Traditionen eingeschränkt werden. Einige wenige Zeitgenossen, darunter der belgische Ethnologe Frans Olbrechts, versuchten ebenfalls individuelle Bildhauer und ihre Handschriften zu identifizieren. Wo dies nicht namentlich gelang, behalf sich die Kunstgeschichte mit der notdürftigen Einführung von Meistertiteln auf Basis von Stilmerkmalen, die, wo immer möglich, mit mündlichen Überlieferungen abgeglichen wurden. Angelehnt an die damals üblichen kunsthistorischen Methoden, führte Olbrechts die Bezeichnung für eine Gruppe von Werken ein, als deren Charakteristika er unter anderem gelängte Gesichter und Hände erkannte. Auf diese Weise avancierten etwa die von Karyatiden gestützten Amtssitze (Abb. 13)und eine Reihe weiterer Arbeiten des mittlerweile wahrscheinlich als Ngongo ya Chintu identifizierten nicht nur zu den bekanntesten, sondern auch teuersten Ikonen der Luba-Kunst (heutige Demokratische Republik Kongo, DRK). So wichtig jene Studien waren und sind, so mitunter ambivalent sind die mit einer Ent-Anonymisierung einhergehenden Verschiebungen, spielen sie doch der Wertschöpfungskette des Kunstmarkts direkt in die Hände.
13 Hocker mit weiblicher Karyatidenfigur von Ngongo ya Chintu (ehemals «Meister von Buli»), 19. Jahrhundert, DRK, Holz, Metallbolzen 61 cm, Metropolitan Museum of Art, New York
14 Eine Gesichtsmaske von Gabama a Gingungu, DRK, erworben vor 1930, Holz, Raffia, 22,9 cm, Africa Museum Tervuren
Obwohl die allerwenigsten Künstlerinnen und Künstler ihre Werke signierten, bedeutete dies im Umkehrschluss nicht, dass sie in ihren Gesellschaften unbekannt blieben. Vielmehr scheinen es forschungstechnische Gründe zu sein, die die Leerstelle erklären: Erst spät reifte die Einsicht in die Problematik sogenannter Kollektivsubjekte, die aus individuellen Akteuren und Akteurinnen anonyme Angehörige homogener Gruppen machten. Wo aber, wie im Falle der Künste der Pende im zentralen Kongo, gezielt nach Namen und Biografien gefragt wurde, war es möglich, Bildhauer wie beispielsweise Gabama a Gingungu (ca. 1890-1965) zu identifizieren. Ihm werden nicht nur die Einführung zahlreicher neuer Maskengenres und - da er ein über seinen Tod hinaus aktives Atelier begründete - die Professionalisierung der Bildhauerei zugeschrieben (Abb. 14)....
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