Schweitzer Fachinformationen
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Silvester 2004 verbrachte meine Familie auf einer Huskyfarm im sächsischen Erzgebirge. Eine urige Gaststube mit Kamin, ein paar gemütliche Pensionszimmer und eine Zwingeranlage mit 40 Hunden - gelegen auf einem kleinen Berg, mitten im dichten Fichtenwald, mit meterhohem Schnee im Winter und der kühlen Waldluft im Sommer: mein kleines Paradies. Die charakterstarken, flauschigen Vierbeiner hatten es mir direkt angetan. Zwischen meinem zwölften und 16. Lebensjahr verbrachte ich so viel Zeit wie möglich bei den feuchten Schnauzen und herzlichen Eigentümern. Ich reinigte die Zwinger, kuschelte und kämmte, führte die älteren Hunde aus und nahm nach einer Weile auch mit dem Schlitten an Gaudi-Turnieren teil. Meine Eltern waren froh, mich in der Ferienzeit gut beschäftigt zu wissen, und jedes Mal kam ich körperlich ausgelastet, fröhlich und mit lustigem Dialekt wieder zurück nach Hause. Die Hunde wurden zum wichtigen Teil meiner kleinen Welt und der Wald Zuflucht und Heimat. Mit 16 wurde mir meine Thüringer Heimatstadt dann aber endgültig zu eng und ich ging nach Erfurt, um dort mein Abitur an einer Kunst- und Gestaltungsschule zu machen. Ich zog schnell in meine erste eigene Wohnung, kellnerte nach der Schule und stand plötzlich auf eigenen Beinen. Ich wollte meine freie Zeit lieber urban als abgeschieden verbringen, lang feiern statt früh aufstehen und ließ mich einige Jahre nur noch sporadisch auf der Farm blicken.
Meine Reiselust beschränkte sich bis dahin auf Familienurlaube, Pauschalreisen mit Partnern oder Städtetrips mit Freundinnen. 2012 zog ich nach Leipzig, um erst klägliche zwei Semester Architektur und im Anschluss zähe drei Jahre Immobilienwirtschaft zu studieren. Nach meinem dualen Studium wollte ich unbedingt für ein paar Monate ins Ausland. Mein Praxispartner, ein Leipziger Bauträger und Projektentwickler, bot mir jedoch an, mich direkt im Anschluss an den Bachelorabschluss zu übernehmen. Wir einigten uns auf eine dreimonatige unbezahlte Auszeit. Nun keimte der Wunsch in mir, an meine einstige Leidenschaft, die Arbeit mit Schlittenhunden, anzuknüpfen. Kurz entschlossen heuerte ich auf einer Farm in Nordnorwegen mit 80 Hunden an, wo ich drei Monate verbringen wollte, um die Hunde für die anstehende Wintersaison zu trainieren. Ab Ende Dezember würden die Tiere mit Touristen auf Expeditionen gehen, bis dahin sollten sie aus der Sommerpause geholt und fit gemacht werden. Am Tag der Exmatrikulationsfeier war ich bereits abgereist - Wintermantel statt Abendkleid. Das erste Mal verabschiedete ich mich für eine so lange Zeit von meiner Familie und erlebte die Zerrissenheit zwischen der Lust auf Abenteuer und der Furcht vor dem Unbekannten. Der erste Flug allein, zunächst nach Oslo, dann in einer winzigen Maschine nach Bardufoss, wo der »Flughafen« aus ein paar Gittern und Blechhäuschen besteht. Mit einem viel zu vollgepackten Rollkoffer stolperte ich im Oktober 2016 in meine erste Reise, die eigentlich gar keine sein sollte.
Schnell entpuppte sich die Anstellung als Albtraum. Ich liebte die Hunde, aber sie waren schlecht sozialisiert, kaum erzogen und untereinander extrem aggressiv. Mit meinen beiden Kollegen verstand ich mich gut, aber der Chef ließ sich nur selten beim Training blicken und seine Frau hatte mich aus irgendeinem Grund zu ihrem persönlichen Opfer auserkoren. Nach den ersten Tagen bei Sonnenschein im goldenen Oktober fielen die Temperaturen rapide und die Tage wurden rasant kürzer. Kurz nach meiner Anreise zeigte mein Chef zur Mittagszeit gen Sonne, die sich mühsam über den nahen Bergkamm hievte: »Genieße es, bis April sehen wir die Sonne hier nicht mehr.« Dass die Tage kurz und die Nächte lang sein würden, war mir bewusst gewesen. Aber der alles erhellende, rettende Schnee blieb aus. In trostloser, dunkler Abgeschiedenheit konnten wir bei der Arbeit nur zwei bis drei Stunden täglich die Stirnlampe abnehmen, wenn ein wenig Tageslicht ins Tal drang.
In kürzester Zeit nahm ich zehn Kilogramm zu. Kein Wunder, denn die einzigen Lichtblicke waren die Einkaufsfahrten in den eine Stunde entfernten Ort, wo wir uns mit Süßigkeiten eindeckten, und meine Touren mit der Hunde-Rentner-Truppe. Beim Haupttraining waren wir immer mit zwei oder drei Wagengespannen unterwegs, jedoch hörten die Hunde schlecht und waren auch während der Fahrt aggressiv zueinander. Diese eigentlich wundervolle Tätigkeit in der atemberaubend weiten norwegischen Natur wurde zum puren Stress. Das Rentner-Gespann mit den entspannten, älteren Hunden durfte ich jedoch allein ausfahren, und während wir im Schneckentempo über das Fjell krochen, heulte ich oft bittere Tränen, um meine ganze Frustration rauszulassen. Zurück auf der Farm musste ich immer damit rechnen, von der Frau des Chefs gepiesackt zu werden oder wieder einen Hierarchiekampf in den Zwingern schlichten zu müssen, wobei wir uns alle regelmäßig Bisswunden einfingen. Ich war todunglücklich. Sollte es das sein? War das die Auszeit, nach der ich mich so lange gesehnt hatte? War all das vielleicht einfach eine richtig dumme Idee und ich sollte schleunigst wieder in meinen bequemen, sicheren Bürostuhl schlüpfen? Ich wusste, dass meine Firma auf mich wartete und sich über eine frühzeitige Rückkehr gefreut hätte. Eine Freundin schrieb mir: »Ach Spatz, komm doch einfach wieder heim.«
Aber so einfach war es nicht. Ich war noch nicht fertig. Ich wollte und konnte nicht hinnehmen, dass dies die Erfahrung gewesen sein sollte, die ich mir verdient, erarbeitet und erträumt hatte. Was nun? Damals hatte ich nicht den Mut, meinen Chef mit meiner Unzufriedenheit zu konfrontieren und ihn um eine Änderung der Arbeitsbedingungen zu bitten. Stattdessen hatte ich Angst vor solch einem Gespräch und den absehbaren Beschimpfungen seiner Frau. Ich wollte mich am liebsten heimlich davonstehlen und irgendwo neu anfangen. Aber wir waren über eine Stunde vom nächsten Ort und der nächsten Bushaltestelle entfernt. Es war mittlerweile Ende November und ich sah mich nicht mit meinem Rollkoffer durch dieses kalte, dunkle Niemandsland trampen. Ich schrieb meinem damaligen besten Freund Christian, einem Leipziger Fotografen: »Hey, du wolltest doch schon immer mal Nordlichter fotografieren, oder?« Er antwortete: »Wann und wo soll ich dich abholen?« Nur ein paar Tage später rollte er tatsächlich in einem winzigen japanischen Hybrid-Auto, das er in Oslo gemietet hatte und das für diese Region völlig ungeeignet war, auf unseren Hof. Schluchzend fiel ich ihm um den Hals. Mein Chef und seine Frau waren übers Wochenende verreist und so packten wir in Ruhe meine Taschen, um am nächsten Morgen den ganzen Weg zurück nach Süden anzutreten. Meinen beiden Teammates hatte ich ein paar Tage zuvor von meiner Abreise berichtet. Sie waren überrascht und nicht ganz glücklich über die bevorstehende höhere Arbeitsbelastung, konnten meine Entscheidung aber nachvollziehen. Eine knappe Umarmung besiegelte den Abschied. Mit Tränen in den Augen wuschelte ich noch mal alle Hunde durch. Trotz ihrer teils schwierigen Persönlichkeiten waren sie mir ans Herz gewachsen. Vor allem meinen Lieblingshund Blue, einen Alaskan Husky, konnte ich nur schweren Herzens zurücklassen. Nicht zum ersten Mal erlebte ich die besondere Verbindung zwischen Mensch und Tier und wusste insgeheim, dass ich trotz allem wieder mit Schlittenhunden arbeiten wollte. Im Auto schrieb ich meinem Chef eine kurze Mail, in der ich mich für die besondere Erfahrung bedankte, für die Umstände entschuldigte und erklärte, dass es einfach nicht der richtige Ort für mich gewesen sei. Als das Mail-Symbol aufblinkte, schlug mir das Herz bis zum Hals. Ich rechnete mit schlimmsten Vorwürfen und Anklagen. »Okay. Alles Gute«, lautete die knappe Antwort. Ich war irritiert, aber erleichtert. An der Packstation im Ort holten wir noch das Paket ab, das mir meine Familie zur Unterstützung gesendet hatte: ein paar aufmunternde Zeilen, ein Adventskalender mit Familienbild und ein Glas Nutella. Wir löffelten es noch am gleichen Abend leer.
Über die Plattform Workaway, auf der Hosts verschiedenste Arbeiten gegen Kost und Logis anbieten, fand ich eine Schaffarm nah am Rondane-Nationalpark, die helfende Hände suchte. Zwar hatte ich keine Ahnung von Schafen oder Farmarbeit, aber ich konnte anpacken und störte mich an keiner Aufgabe, die mit Tieren zu tun hatte. Ich sollte direkt anfangen und so fuhren wir in Rekordzeit ganze 1.300 Kilometer nach Süden. Mein bester Freund hatte es sich nicht nur zur Aufgabe gemacht, mich »aus den Fängen der bösen Waldhexe zu retten« und sicher am neuen Arbeitsplatz auszuladen, sondern es gelang ihm auch, mich aus meiner emotionalen Kälte und Zurückgezogenheit zu locken und mir wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Wir sangen lauthals im Auto, aßen Unmengen Pizza und er plauderte in seiner gutmütigen, geduldigen Art einfach munter über Gott und die Welt. Als wir nach einigen langen Fahrtagen in Sollia an meinem neuen Arbeitsort ankamen, war ich schon fast wieder im Lot und freute mich...
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