Schweitzer Fachinformationen
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Ohrgeräusche erfolgreich ausblenden
Stress, ein Hörsturz, emotionale Belastungen, Schwerhörigkeit oder häufige Mittelohrentzündungen sind meist die Auslöser von Tinnitus. "Geht das denn nie wieder weg?" ist die bange Frage vieler Betroffener. Aus der Neurowissenschaft weiß man heute, dass die Geräusche nicht im Ohr selbst, sondern im Gehirn entstehen. Nur wenn dieses Organ in die Therapie einbezogen wird, ist eine Linderung möglich. Die selbst betroffene Autorin ist in ihrer Praxis seit vielen Jahren auf die psychologische Beratung von Tinnitus-Betroffenen sowie auf die Tinnitusbewältigung spezialisiert. In diesem Ratgeber bringt sie die bahnbrechenden Erkenntnisse der Hirnforschung verständlich auf den Punkt und zeigt, wie Sie diese ganz praktisch in Ihren Alltag integrieren.
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Plötzlich sind sie da, die Ohrgeräusche. Bei vielen klopfen sie nur leise an, um sich kurz darauf wieder zu verabschieden. Bei anderen klingeln sie Sturm oder werden zum ungebetenen, pfeifenden, brummenden oder zischenden Dauergast. Fast alle Betroffenen reagieren zunächst irritiert und versuchen häufig, die Geräuschquelle - die nur sie selbst wahrnehmen - im Außen zu verorten. Tinnitus löst Angst aus und wirft Fragen auf. Bin ich krank? Was muss ich tun? Was, wenn der bleibt?
Weltweit sind etwa 740 Millionen Menschen von Tinnitus betroffen, berichtet eine 2022 im Journal of the American Medical Association veröffentlichte Metastudie ? [1]. In Deutschland ist es etwa jeder Zehnte und rund 1,5 Millionen Menschen sind von ihrem Tinnitus so beeinträchtigt, dass sie therapeutische Hilfe brauchen. Allerdings stellt der Tinnitus nicht für alle Betroffenen ein gravierendes Problem dar. Ich gehörte, wie vermutlich auch du, liebe Leserin, lieber Leser, zunächst nicht zu dieser Fraktion. Mich haben meine Ohrgeräusche gewaltig genervt. Was ich persönlich alles lernen durfte, bis ich meinen Tinnitus schließlich ad acta legen konnte, erfährst du jetzt.
Genau an meinem zweiunddreißigsten Geburtstag, mitten in der Examenszeit und mit beginnendem Hörverlust, der mir bis dahin nicht aufgefallen war, hörte ich erstmals meine Ohrgeräusche. Bei mir trafen gleich zwei Hauptursachen für Tinnitus aufeinander: anhaltender Stress und Schwerhörigkeit. Beide rangieren als Auslöser für Ohrgeräusche in den Statistiken ganz weit oben. Vielleicht als Laune der Natur setzen sich die Ohrgeräusche bei Schwerhörigkeit oft genau auf die Frequenzen, die wir nicht mehr gut hören können. Tinnitus macht uns jedoch nicht schwerhörig - eine Befürchtung, die ich von vielen Klient*innen immer wieder höre.
Wie wohl unzählige Menschen vor mir suchte ich als Erstes einen HNO-Arzt auf. Er teilte mir mit, dass ich Ohrgeräusche hätte, was ich leicht nachvollziehen konnte, da das Brummen und Zischen laut und vernehmlich in meinen Ohren tönte. Dann hängte er mich an den »Tropf« und verschrieb mir Tebonin zur Durchblutungsförderung. Damals glaubte man noch, Ohrgeräusche würden durch eine Durchblutungsstörung des Innenohrs verursacht. Heute sehen Wissenschaftler Durchblutungsstörungen nicht mehr als Hauptursache der Ohrgeräusche an. Die Haarzellen werden nicht durchblutet, sondern mit Endolymphe, einer kaliumreichen Flüssigkeit, versorgt, so Professor Dr. Gerhard Hesse ? [2]. In medizinischen Studien wurde zudem festgestellt, dass Tebonin, das auch unter dem Namen »Ginkgo Biloba« angeboten wird, bei Tinnitus keinen nachweisbaren Nutzen gegenüber einem Placebo hat ? [3]. Allerdings wusste ich das zu dieser Zeit noch nicht. Ich nahm reichlich Tebonin zu mir. Meine Ohrgeräusche blieben. Dennoch weiß ich nicht, wie es mir psychisch ergangen wäre, hätte man mich ohne etwas nach Hause geschickt.
Anfangs litt ich unter heftigen Schlafstörungen, weil ich die nächtliche Ruhe darauf verwandte, meinen Ohrgeräuschen zu lauschen und mir Sorgen zu machen. Ich gab jedoch dem Radau in meinen Ohren die Schuld daran und war mir nicht bewusst, dass ich selbst mit meinem nächtlichen Lauschen und Grübeln mein Gehirn wachhielt. Längst nicht alle Menschen mit Ohrgeräuschen leiden unter Schlafstörungen.
Auf meine völlige Übermüdung folgten Konzentrationsprobleme bei der Arbeit und ich beschloss einmal mehr: Dieser Störenfried muss verschwinden, aber pronto! Also suchte ich einen zweiten HNO-Arzt auf. Doktor »zwei« sagte zu mir: »Frau Nowak, Sie haben Tinnitus.« Heute ist Tinnitus für viele ein Begriff, vor dreißig Jahren war das noch anders. Hätte er mir gesagt: »Sie haben Krebs«, hätte ich mich wahrscheinlich nicht wesentlich anders gefühlt. Ich war sprachlos und wie betäubt. Leider erfolgte seitens des Arztes keinerlei Aufklärung.
Deshalb wandte ich mich an die Deutsche Tinnitus-Liga und wurde dort Mitglied. Endlich erhielt ich umfangreiche Informationen auf dem damals neuesten Stand der Wissenschaft, was für mich ein Segen war. Aus Angst vor einem chronischen Tinnitus und mit immer neuen Verdachtsdiagnosen und Überweisungen ausgestattet, wanderte ich zunächst weiter von Behandler zu Behandlerin: zahnärztliche Untersuchung, Akupunkturbehandlung, Massagen der Halswirbelsäule, eine homöopathische Behandlung und schließlich eine Klangtherapie nach »Tomatis«, die sehr erfolgreich bei Tinnitus sein sollte. Mir wurden Der kleine Prinz und Beethovens Fünfte Symphonie - speziell für meine Ohrgeräusche aufbereitet und gefiltert - per Kopfhörer ins Ohr gespielt. Beethoven entspannte mich ein wenig, Der kleine Prinz brachte mich zum Lachen. Meine Ohrgeräusche hingegen blieben unbeeindruckt.
Von zahlreichen Behandlungsversuchen müde und arm geworden, hörte ich endlich auf, gegen mein Pfeifen und Brummen anzukämpfen, und überließ mich, ohne mir dessen bewusst zu sein, endlich den natürlichen Selbstheilungsmechanismen meines Körpers. Heute weiß ich: Unser Körper ist ein Wunderwerk mit einem hochkomplexen Wahrnehmungssystem. Dieses Wahrnehmungssystem im Gehirn entscheidet im Bruchteil einer Sekunde, welche der unzähligen Sinneseindrücke, die wir permanent aufnehmen, wir wahrnehmen. Andernfalls würde der Mensch durch die Fülle von Eindrücken in seinem Handeln und Agieren völlig lahmgelegt - vergleichbar einem durch Überlastung abgestürzten Computer.
Unter den richtigen Bedingungen, von denen in diesem Buch die Rede sein wird, kann unser Wahrnehmungssystem im Gehirn die neuen Geräusche im Ohr genauso ausblenden wie alle Körpergeräusche, die uns schon seit unserer Geburt begleiten, etwa unser Atemgeräusch oder Schluckgeräusch.
Ganz schön laut: unsere Körpergeräusche
Starte einen kleinen Versuch und lausche ganz bewusst deinem Schluckgeräusch. Es ist verdammt laut und übertönt mit 30 Dezibel die meisten Ohrgeräusche. Dennoch stört es uns in der Regel nicht. Ein Wald in Stille hat übrigens immer noch 10 Dezibel. In unseren Breiten gibt es keine vollkommene Stille.
Hätte ich bereits früher über dieses Wissen verfügt, wäre mir viel Leid erspart geblieben und ich hätte meine große Angst davor, dass mein Tinnitus chronisch wird, gut in den Griff bekommen. Zudem hatte ich mich viel zu lange geziert und einfach nicht den Mumm aufgebracht, Hörgeräte zu tragen. Zu meiner Verteidigung muss ich erwähnen: Vor dreißig Jahren waren erschwingliche Hörgeräte längst nicht so stylisch und technisch ausgereift wie heute. Meine rasant fortschreitende Schwerhörigkeit zwang mich jedoch schlussendlich dazu, mir Hörgeräte anpassen zu lassen. Sie erleichterten nicht nur die Kommunikation mit meinen Mitmenschen, sondern brachten auch im Hinblick auf meine Ohrgeräusche einen unerwarteten Effekt: Ich konnte Töne und Geräusche aus der Umwelt für meine Verhältnisse jetzt wieder relativ gut hören.
Ich gewöhnte mir an, so oft wie möglich im Wald und an einem nahegelegenen Bach spazieren zu gehen und bei Vogelgezwitscher, Wind und Wassergeplätscher zu entspannen. Es ist ein Geschenk, ein Stück Natur bewusst wahrzunehmen und zu spüren. Meine Spaziergänge in der Natur blieben nicht ohne Wirkung. Schließlich liefen die wohltuenden Naturtöne meinen immer gleich tönenden Ohrgeräuschen den Rang ab und ich genoss die Ausflüge in die Natur in vollen Zügen.
Das Wiedererlangen meiner Hörfähigkeit, nach inzwischen an völligem Hörverlust grenzender Schwerhörigkeit, verdanke ich dem damaligen Oberarzt einer Klinik in Nordrhein-Westfalen. Er hörte auf seine innere Stimme. Einen Tag vor meiner Abreise aus der Klinik schickte er mich zum Hörtest. Die Testregler wurden bis zum Anschlag hochgefahren und plötzlich konnte ich Töne hören. Die Diagnose »Innenohrschwerhörigkeit«, die von vier Ärzten in drei Städten und trotz vieler Hörtests immer wieder übernommen worden war, war eine Fehldiagnose und damit hinfällig. Ich litt an einer operablen Mittelohrschwerhörigkeit, einer Otosklerose ? [4]. Bei meinem ersten Wannenbad nach der Operation schien es mir, als stünde ich unter den Niagarafällen, so laut toste das einlaufende Badewasser in meinen Ohren.
Erst später begriff ich wirklich, welch liebevolle Toleranz und welche enormen Kompensationsleistungen mein Freundeskreis für mich und den Erhalt unserer Beziehung erbracht hat. Meine beste Freundin beispielsweise lief bei den Spaziergängen immer wieder um mich herum, um rechts neben mir zu gehen - auf meinem rechten Ohr konnte ich besser hören. Besuchten wir ein Café, setzten sich meine Freund*innen x-mal um, da ich in der Nähe der plötzlich zischenden Kaffeemaschine oder in der Nähe eines Musiklautsprechers völlig nervös wurde. Trotz aller Bemühungen verlief unsere Kommunikation, wie alle hochgradig schwerhörigen Menschen gut nachvollziehen werden, äußerst kompliziert, schleppend und ermüdend. Ich musste unzählige Male nachfragen und Freund*innen waren gezwungen, unzählige Male zu wiederholen, was...
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