291. Ausgangspunkt
- Deutschland verliert seine Wettbewerbsfähigkeit
und damit seinen Wohlstand - massiv. - Die Digitale Transformation zeigt: Wir können uns nicht darauf zurückziehen, dass »der Staat« oder »die Wirtschaft« sich schon darum kümmern werden.
- Jede:r Einzelne muss etwas tun und bei sich anfangen. Selbstwirksamkeit und Eigeninitiative sind gefordert!
Vor über 30 Jahren haben wir begonnen, unsere Gesellschaft und unsere Unternehmen digital zu transformieren. Zum Vergleich: Es hat nur 20 Jahre gedauert, um die Pyramiden von Gizeh (2580-2560 v. Chr.) zu errichten.
WAS HABEN WIR ERREICHT?
Was ist in Deutschland in Bezug auf die Digitalisierung in dieser Zeitspanne passiert? Nicht genug, denn Deutschland liegt im internationalen Vergleich derzeit im unteren Mittelfeld. Ein paar Zahlen hierzu: Deutschland liegt auf
- Platz 13 von 27 EU-Mitgliedstaaten, also im Mittelfeld der EU-Länder, mit einem Digitalisierungsgrad von 50 bis 55 Prozent laut dem Digital Economy and Society Index (DESI) der EU-Kommission (2023)1
- 30Platz 23 von 64 Staaten weltweit, hinter Ländern wie den Niederlanden, den VAE, Belgien oder Österreich, in dem World Digital Competitiveness Ranking der renommierten Business School IMD aus dem Jahr 2022 (wobei die Einzelwertung für technische Fähigkeiten uns auf dem 52. Platz von 63 führt - erinnert eher an den Eurovision Song Contes als an »deutsche Ingenieurskunst« oder ein stolzes »Made in Germany«!)2.
- Platz 17 unter den G20-Staaten, und das mit einem Rückgang der relativen Wettbewerbsposition zwischen 2018 und 2021, gemäß dem Digital Riser Report der Hochschule ESCP. Wörtlich: »(.) Germany dropped enormously in terms of its relative competitive position.«3
- »Platz 1« erzielt Deutschland allerdings in der Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW aus dem Jahr 2022, und zwar hinsichtlich der Größe des Verlustes in Attraktivität des Wirtschaftsstandorts innerhalb der letzten 15 Jahre - und zwar noch vor Großbritannien (trotz Brexit)4
Einschub 1: Abbildung: Veränderung der Rangplätze im Länderindex seit dem Jahr 2006
Quelle: Berechnungen von Calculus Consult
Das heißt also, wenn wir das Absinken Großbritanniens dem Brexit zuschreiben, haben wir das Gleiche - und noch einen Prozentpunkt mehr - geschafft, obwohl wir in der EU geblieben sind. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
31ES GEHT UNS NICHT GUT!
Ich weiß, dass Viele das nicht hören wollen. Aber genau das ist ein Grund für diese beklagenswerte Position und muss deshalb so klar herausgearbeitet werden. Ich habe das, seit ich mich mit Transformation beschäftige, also bald 20 Jahre lang, beständig selbst erlebt bzw. mit eigenen Ohren gehört: Dass man unangenehme Weisheiten hierzulande nicht hören will. Stattdessen suhlt man sich in den Erfolgen der Vergangenheit. Klassischer »Vogel Strauß«. Ein schönes Sprichwort, das ich in meinen Gesprächen häufig anbringe, ist Folgendes:
Wem die Götter Schlechtes wünschen,
dem senden sie 30 Jahre Erfolg.
Die Reaktion darauf ist meistens ein herzliches Lachen - vermutlich ein Weglachen.
Die Tatsache, dass die Zeiten des deutschen Erfolges vorbei sind, muss erstmal akzeptiert werden. Sonst kommen wir nicht voran - das sagt schon die Binsenweisheit »Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung!«. Wir dürfen diesen Befund, diese klare Datenlage, nicht länger ignorieren, sondern sie als Beschreibung der Realität akzeptieren und zur Grundlage für unser Handeln machen. Dafür sind die interessengeleiteten Jubelmeldungen von Verbänden und Politik nicht gerade hilfreich. Wie wäre es also mit etwas mehr echten Impulsen zum Aufbruch, statt der Pflege ach so zarter Egos?
Danach müssen wir uns fragen: Woran liegt dieses Defizit? Wer oder was ist die Ursache? Und wie können wir es besser machen? Das sind die Themen, denen ich in diesem Buch nachgehe. Denn es geht um unsere Zukunft.
In der Folge des Digitalisierungsdefizits hat Deutschland nämlich auch an Wohlstand eingebüßt. Nehmen wir hier nur mal, als einen von mehreren Indikatoren, die Entwicklung des realen Bruttoinlandsproduktes, wie es alljährlich von der OECD ermittelt wird:
32Einschub 2: Abbildung: Entwicklung des realen Bruttoinlandsproduktes weltweit (2008-2025, inkl. neuster Prognose der OECD für Deutschland)5
Während Deutschland nach dem vorletzten Schock, der Finanzkrise 2008/2009, stark zurückkam, wendete sich das Blatt ab 2014. Bis kurz vor der Corona-Krise konnten wir im Vergleich zu den 17 Ländern der Eurozone noch einigermaßen mithalten, seit der Corona-Krise hingegen liegt unsere Heimat im Wachstum des realen BIPs deutlich unter dieser Gruppe (die übrigens global betrachtet ihrerseits Schlusslicht ist). Das setzt sich auch in den Prognosewerten bis 2025 fort.
Natürlich kann man jetzt wieder die Glaubwürdigkeit dieser und jener der oben genannten Studien anzweifeln, sich auf die Definition der Kennzahlen stürzen und die Abgrenzung der Grundgesamtheit kritisieren. Doch eigentlich wissen wir doch, dass das im Großen und Ganzen stimmt - oder? Warum dann Energie verschwenden mit solchen Haarspaltereien?
UND WIR TUN: NICHTS!
Bislang sind - wie auch aus diesen Daten ersichtlich - keine großen Bemühungen erkennbar, diesen Rückstand aufzuholen. Im Gegenteil, in den letzten Jahren war der Trend eher - sagen wir mal vorsichtig - »misslich«:
Nach dem Digitalisierungsindex 2023 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz stagniert die Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland 33weiterhin, bzw., wenn man genau hinschaut, geht sie sogar leicht zurück: »Der deutschlandweite Indexwert beträgt 108,6 Punkte im Jahr 2023 im Vergleich zu 110,5 Punkten im Jahr 2022«. Nach einem starken Anstieg im Jahr 2021 (corona-bedingt) bewegt sich Deutschland seitdem seitwärts:
Einschub 3: Abbildung: Entwicklung des deutschlandweiten Digitalisierungsindex' in den Jahren 2020-20236
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft
Die Analyse der Veränderung der einzelnen, dem Index zugrundeliegenden Kategorien ergibt leider keinen klaren »Schuldigen«: 2023 kommt es sowohl bei den unternehmensinternen Kategorien als auch bei den externen Rahmenbedingungen zu einem Rückgang der Digitalisierung mit -1,0 bzw. -2,6 Punkten.
Besonders erschreckend: Unter den unternehmensinternen Kategorien nehmen vor allem die umsatz- und zukunftsrelevanten Teilbereiche ab:
- Forschungs- und Innovationsaktivitäten: 3,0 Punkte Rückgang
- Geschäftsmodelle: 3,1 Punkte Rückgang
- Produkte: sagenhafte 15,4 Punkte Rückgang im Jahr 2023!
In den unternehmensexternen Kategorien setzt sich vor allem die negative Entwicklung des Humankapitals fort: Im Jahr 2023 verliert diese Kategorie 16,9 Punkte, was der stärkste Rückgang unter allen Kategorien ist. Dies hat mit der sich weiter vergrößernden Fachkräftelücke in Digitalisierungsberufen zu tun. Ein weiterer Grund, warum ich dieses Buch schreibe!
Ein anderer interessanter Datenpunkt: Dieser Rückgang ist hausgemacht! Denn schon 2021 ermittelte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), dass Deutschland bei Investitionen in IT der überwiegenden Mehrheit der führenden Volkswirtschaften hinterherhinkt.
34Einschub 4: Abbildung: IT-Investitionen bezogen auf das BIP im internationalen Vergleich7
Quelle: OECD
In einfachen Worten: Wir predigen Wein und trinken Wasser. Oder: Wir reden viel und machen wenig. Ist es ein Zufall, dass diese Investitionsschwäche zeitlich zusammen fällt mit dem Beginn des dauerhaften Rückstands Deutschlands beim Wachstum des realen BIPs, den wir oben gesehen haben?
DAS KANN UNS NICHT ZUFRIEDEN STELLEN!
Mittelfeld in der Digitalisierung, Schlusslicht im Wohlstandsaufbau - das kann doch nicht sein, oder? Ich erinnere nur an »Exportweltmeister«, »made in Germany«, »Wirtschaftswunder«! Das ist doch die Positionierung, die wir in der Welt haben wollen und unser Anspruch an uns selbst!
Die Wirtschaft hat aber nun eine neue Dimension: Digitalisierung. Folgerichtig müssen wir diesen Anspruch auch auf die Digitale Transformation anwenden. Wie wäre es mit »Digitalisierungsweltmeister«, »digitized in Germany« oder »Transformationswunder«? Hört sich gut an, oder?
Dazu kommt: Die nächste, noch viel größere Stufe der Digitalen Transformation 35hat bereits angefangen: die Transformation durch Künstliche Intelligenz, also die »KI-Transformation«.
Unterschiedlichste Studien zeigen schon erhebliche Vorteile für Unternehmen, die KI nutzen:
- 18 %-ige Steigerung in Schlüsselbereichen wie Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterproduktivität (IDC Studie,...