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Hans Baumgart war ein gefürchteter Vollstrecker. Mit seiner Wendigkeit, seiner Durchsetzungsfähigkeit im Strafraum und seinem harten, präzisen Schuss bereitete der Stürmer des Sport-Club Freiburg den Torhütern und Defensivspielern der gegnerischen Mannschaften oftmals große Probleme. Dies bekam auch der 1. FC Nürnberg zu spüren, als er am 12. Februar 1928 im gerade neu eröffneten Wintererstadion in der Relegationsrunde zur Ermittlung des dritten Teilnehmers an der Endrunde um die süddeutsche Meisterschaft gegen den Sport-Club Freiburg antrat. Die hochfavorisierten Nürnberger, die im Jahr zuvor zum fünften Mal Deutscher Meister geworden waren und bekannte Spielerlegenden wie Nationaltorwart Heiner Stuhlfauth in ihren Reihen hatten, taten sich unerwartet schwer gegen den Underdog aus Südbaden. Nachdem der Sport-Club überraschenderweise mit 1:0 in Führung gegangen war, glich Nürnberg zwar schnell wieder aus. Doch wollte den Gästen der Führungstreffer trotz großer Überlegenheit, die sich in drei vergebenen Elfmetern ausdrückte, nicht gelingen. Gegen Mitte der zweiten Halbzeit wurde die Partie immer ausgeglichener, der Sport-Club bot immer stärker Paroli. Die Spannung war mit Händen zu greifen, als sich in der 80. Spielminute SC-Läufer Messmer am linken Flügel durchsetzte und zum frei stehenden Baumgart in die Mitte des Strafraums passte. Dieser ließ Stuhlfauth mit einem "Saftschuss"1 keine Chance. Es war der siegbringende Treffer. Der Triumph über den amtierenden Deutschen Meister war nichts anderes als eine Sensation. So empfanden es auch die 6.500 Zuschauer: Sie trugen die SC-Spieler, allen voran den Siegtorschützen Baumgart, auf den Schultern vom Platz.2
15 Jahre später erwies sich Hans Baumgart erneut als Vollstrecker - als Vollstrecker von zwei Todesurteilen.3 Als Leiter des KZ-Außenlagers Karlshagen I bei Peenemünde auf Usedom, das der Kommandantur des berüchtigten KZ Ravensbrück unterstellt war, erhielt er vom Kommandanten des KZ Ravensbrück den Befehl, zwei französische Lagerinsassen zu töten. Sie hatten sich in der französischen Résistance betätigt, waren aber gefasst und vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt worden. In einer Sommernacht 1943 weckten Baumgart und ein Wachmann der SS um 22 Uhr die beiden französischen Häftlinge German Charpentier und Jean Jager unsanft aus ihrem Schlaf und führten sie gewaltsam aus ihrer Häftlingsbaracke ab.4 Kurze Zeit später wurden die beiden auf Anweisung Baumgarts durch den Lagerarzt mittels einer Benzininjektion getötet.
Zuvor hatte der gebürtige Freiburger, der 1931 als Lehrer in den Staatdienst eingetreten und nach Löffingen gezogen war, eine bedeutende Karriere in der SS gemacht.5 Baumgart, der nach seinem Weggang nach Löffingen Vereinsmitglied des Sport-Club blieb6 und - auch in der Zeit nach 1945 - in engem Kontakt zum Verein stand7, war der SS am 7. April 1933 gleichzeitig mit seinem Beitritt zur NSDAP eingetreten.8 Nach Ausbruch des Krieges stieg er als Angehöriger der Waffen-SS rasch auf: Nach der Teilnahme an einem "Verwaltungsführerlehrgang" für SS-Wachpersonal 1942 und der Beförderung zum SS-Untersturmführer erhielt er im Mai 1943 die Aufsicht über das Lager in Karlshagen.9 Dort bewährte er sich aus Sicht der SS so gut, dass er im November 1944 in das KZ Kaufering in Oberbayern abkommandiert wurde. In diesem Außenlager das Konzentrationslagers Dachau mussten viele Jüdinnen und Juden bis Kriegsende schwerste Zwangsarbeit leisten, bei der viele umkamen.10
Nach dem Krieg wurde Baumgart 1947 verhaftet und vor dem französischen Militärgericht in Rastatt angeklagt, das sich mit Kriegsverbrechen von ehemaligen Nationalsozialisten befasste, die in der französischen Besatzungszone wohnhaft waren. In der Verhandlung mochte das Gericht Baumgarts zeittypischer Ausflucht, dass er nur den Befehl aus Ravensbrück ausgeführt habe, nicht folgen: Er trage für dieses "verabscheuungswürdige Verbrechen" eine schwere Verantwortung, denn er habe sich zu dessen Verwirklichung zur Verfügung gestellt, ohne den Versuch unternommen zu haben, dem Befehl zu widerstehen oder dessen Ausführung aufzuschieben. Überdies sah es das Gericht als erwiesen an, dass die schweren Misshandlungen, die in den Lagern von Peenemünde und Kaufering begangen wurden, in seine Verantwortlichkeit als Vorgesetzter der Lager gefallen waren. Weitergehende Vorwürfe wie die Tötung weiterer Lagerhäftlinge oder die Selektion besonders geschwächter und nicht mehr arbeitsfähiger Häftlinge durch Todesspritzen konnten ihm zwar nicht nachgewiesen werden. Dennoch verurteilte ihn das Militärgericht am 17. Dezember 1948 zu lebenslanger Zwangsarbeit.11 Nach vorzeitiger Begnadigung kam er am 5. Mai 1955 wieder frei.
Hier der vielumjubelte Siegtorschütze gegen die hochfavorisierten Nürnberger, dort der unbarmherzige KZ-Lagerkommandant, der ein zentrales Rädchen im Getriebe des nationalsozialistischen Mordapparats war und den Tod von mindestens zwei Lagerinsassen verantwortete: In der Person Baumgarts spiegelt sich beispielhaft das Doppelgesicht des deutschen Vereinsfußballs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider. Einerseits bot der Fußball Millionen von Menschen eine willkommene Ablenkung von ihren Alltagssorgen und führte - ob innerhalb des Vereins oder auf den Zuschauerrängen - Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten zusammen. Andererseits hatte sich der aufstrebende Fußballsport schon frühzeitig in den Dienst der Politik gestellt und bereits vor dem Ersten Weltkrieg seinen herausragenden Wert für die - auch militärisch gedachte - Körperertüchtigung und Erziehung zur Wehrhaftigkeit im Dienst der deutschen Nation herausgestrichen. Für die Zeit des Nationalsozialismus galt das erst recht: Allzu viele Vereine hatten sich 1933 nach der Machtübernahme durch die NSDAP schnell von ihren jüdischen Mitgliedern getrennt und sich für die Propagandazwecke der nationalsozialistischen Diktatur einspannen lassen. Spätestens mit den Jahren 1933 bis 1945, wenn nicht schon vorher, hatten der scheinbar unpolitische Fußballsport und seine Protagonisten jegliche Unschuld verloren.12
Inwiefern gilt diese Beobachtung auch für den SC Freiburg? Dies herauszufinden war das Ziel der folgenden Studie, die der Sport-Club im Dezember 2022 beim Geschichtsbüro der Verfasser in Auftrag gegeben hat. Konkreter Anlass war die Veranstaltung "Schwierige Zeiten: Der SC in der Zeit des Nationalsozialismus" in der Reihe "19:04 - Zeit für Geschichte" mit Referaten von Sporthistoriker Lorenz Peiffer und Vereinsarchivar Uwe Schellinger im Januar 2020.13 In der Studie stehen folgende Fragen im Zentrum: Wie ist das Verhalten der Funktionäre und Spieler des Vereins in den Jahren der NS-Diktatur zu bewerten? Inwiefern wurde der SC Freiburg zum Spielball der Ideologie, und welche Rolle spielte er selbst im Spannungsfeld von Fußball und Politik? Handelten die Vereinsakteure eher proaktiv oder eher aus der Defensive heraus, weil das Regime den Verein unter Druck setzte? Welches waren die Motive für das Mitmachen im "Dritten Reich"? Stand die ideologische Identifikation mit der Programmatik des Nationalsozialismus oder die Anpassung zum Zweck der Selbstbehauptung des Vereins im Vordergrund? Schließlich: Wie kann der Fall des SC Freiburg vergleichend in das Gesamtbild des deutschen Vereinsfußballs der NS-Zeit eingeordnet werden?
Die Quellenlage zur Beantwortung dieser Fragen erwies sich nur bedingt als zufriedenstellend. Wie bei vielen anderen Fußballvereinen machte sich insbesondere das Fehlen einer Mitgliederkartei und der Protokolle der Mitgliederversammlungen schmerzhaft bemerkbar.14 Immerhin konnte noch auf zahlreiche Exemplare der Ende 1923 begründeten Vereinszeitschrift zurückgegriffen werden, wenngleich auch diese nicht lückenlos überliefert ist; die Ausgaben für die Jahre 1935 bis 1938 bis zur Eingliederung des Sport-Club in die Freiburger Turnerschaft 1844 fehlen sogar gänzlich.15 Ebenso konnte auf einige Forschungen rekurriert werden, die der Verein in den letzten 20 Jahren zu bestimmten Personen, Ereignissen und Orten der Klubgeschichte in der Zwischenkriegszeit unternommen hat. Hier sind vor allem der Aufsatz von Malte Oberschelp in der Vereinschronik des Jahres 200416 und die Beiträge von Uwe Schellinger zu nennen, die dieser in der Stadionzeitung "Heimspiel" und in anderen Publikationsforen veröffentlichte.17 Allerdings blieben diese Forschungen bisher auf einzelne Aspekte beschränkt.18
Die erheblichen Lücken in der vereinsinternen Überlieferung konnten jedoch durch mehrere externe Bestände zumindest zum Teil gefüllt werden. Im Staatsarchiv Freiburg wurden vor allem die Entnazifizierungsakten wichtiger Spieler und Funktionäre ausgewertet - sofern diese existierten beziehungsweise sich aus den vorhandenen Daten ermitteln...
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