Schweitzer Fachinformationen
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»Sollen wir es wirklich wagen?«, hatte ich meinen Mann mehr als einmal gefragt. Schon lange brauchten wir einen Urlaub. Der Druck der letzten Wochen lag schwer auf unseren Seelen. Wir brauchten Abstand, mussten raus aus unserem Alltag. Raus aus der Provinz Bethlehem. Die Mauern und Zäune, die unser Zuhause umgeben, verlassen. Mal ein bisschen Freiheit genießen. Wenigstens für ein paar Tage. Doch wohin sollten wir fahren? »Außer Jericho gibt es in den palästinensischen Gebieten nichts!«, überlegten wir gemeinsam. »Und da ist es viel zu heiß!« »Wir fahren an den See Genezareth!«, entschied Johnny. »Das ist der einzige Ort, an dem wir ein bisschen entspannen können!«
Mit klopfendem Herzen fuhr ich in Richtung Checkpoint. Eigentlich darf ich mit meinem Visum nicht nach Israel. Als Ehefrau eines Palästinensers habe ich in diesem Land weniger Rechte als jeder Tourist. »Hoffentlich werden wir nicht kontrolliert!«, wiederholte ich zum tausendsten Mal, während wir uns dem Kontrollhäuschen näherten. Das Auto vor uns wurde gestoppt. Ich sah, wie der Fahrer seinen Ausweis durch die offene Scheibe reichte. Die junge Soldatin schaute sich das Papier ausgiebig an und redete dann händefuchtelnd mit den Insassen des Fahrzeugs. Die Sekunden kamen mir wie eine Ewigkeit vor. »Warum dauert das so lange? Was passiert, wenn sie uns anhält?« Ich konnte die Anspannung kaum noch ertragen. »Johnny, ich habe Angst!« Flehend schaute ich zu meinem Beifahrer hinüber, als könnte er mich aus dieser brenzlige Lage retten. »Du brauchst keine Angst zu haben!«, versuchte mein Mann mich zu beruhigen. »Es wird alles gut!« Endlich bekam der Fahrer vor mir seine Papiere zurück und setzte sich in Bewegung. Auch ich fuhr langsam los und versuchte so zu wirken, als wäre es für mich die allergrößte Selbstverständlichkeit, diesen Checkpoint zu passieren. Mit freundlichem Lächeln winkte mich die Soldatin durch die offene Schranke. Behutsam fuhr ich über die Straßenschwelle und atmete auf. Geschafft! Wir hatten es tatsächlich geschafft! Das weite, offene Land lag uns nun zu Füßen. Jetzt werden wir alles Schwere für ein paar Tage hinter uns lassen und einfach nur unsere Freiheit genießen!
Schon mehr als dreißig Jahre ist die Provinz Bethlehem nun mein Zuhause. Hier in der Stadt Beit Jala lebt Johnnys Familie seit über 400 Jahren als orthodoxe Christen. »Wir gehören zur Urgemeinde!«, erzählte Johnny mir stolz, als wir uns im Jahr 1987 in Deutschland kennenlernten. Ich hatte damals keine Ahnung von Land und Leuten. Ich interessierte mich weder für Israel noch wusste ich, wer die Palästinenser sind. Doch ich verliebte mich Hals über Kopf in Johnny und kam auch nicht mehr von ihm los, als er den ganzen Nahostkonflikt mit in unsere Beziehung brachte. Ich wusste einfach: Das ist der Mann meines Lebens! Seine Begeisterung für Jesus faszinierte mich. Mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich auf dem richtigen Weg. Das änderte sich auch nicht, als Gott ihn zurück in seine Heimat nach Bethlehem rief. Ich folgte ihm, weil es für mich das einzig Richtige war.
Doch ich hatte auch die Worte meines Vaters im Ohr. »Wer sich mit den Feinden Israels verbündet, der stellt sich gegen Gott!« Das war etwas, was ich auf keinen Fall wollte. Ich wollte mich nicht gegen Gott stellen und ich hatte auch nichts gegen Israel. Doch sind die Palästinenser wirklich Israels Feinde? Sind sie nicht vielmehr Brüder? Haben sie nicht denselben Vater? Ich wusste es nicht. Für mich war nur wichtig, dass mein Mann ein Nachfolger von Jesus ist. Sollte das nicht ausreichen? Sind wir nicht durch Jesus auf der Seite Gottes? Ich begann, die Bibel mit ganz anderen Augen zu sehen. Viele Geschichten wurden lebendig in diesem Land. Doch es kamen auch Fragen auf, die unbeantwortet blieben.
Es war auf jeden Fall spannend, im Land der Bibel zu leben. Unsere Wohnung war nur zwei Kilometer von der Geburtskirche entfernt. Besonders um die Weihnachtszeit schaute ich oft von unserem Esszimmerfenster auf das Panorama von Bethlehem und dachte mir: »Was für ein Vorrecht, in derselben Stadt zu leben, in der Jesus geboren wurde!« Bethlehem war jetzt mein Zuhause. Heimweh nach meiner Heimat in Norddeutschland kannte ich nicht. Ich wusste, dass Gott mich an diesen Platz gestellt hatte, und das war mein größtes Glück.
Die ersten Jahre in Beit Jala waren nicht leicht. Wir hatten bereits vier kleine Kinder, als wir im Jahr 1992 hier ankamen, und die füllten meinen Alltag eigentlich komplett aus. Doch es kam vieles Neue auf mich zu. Ich musste mich an die Kultur gewöhnen und die arabische Sprache lernen. Unser Haus war immer voll. Johnny hatte viele Freunde und Verwandte, die uns jetzt besuchen kamen. Sie wollten wissen, warum er mitten in der Intifada (Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Militärbesatzung) mit seiner Familie in dieses Land gekommen war. »Warum bist du nicht in Deutschland geblieben?«, fragten sie ihn verständnislos. »Gott hat mich hierhergesandt. Er möchte, dass ich euch sage, wie man ein neues Leben durch Jesus finden kann«, erzählte Johnny seinen Besuchern dann. Er berichtete ihnen, wie er in Kanada zum Glauben gekommen war und wie Gott sein Leben seitdem verändert hatte. Die Leute hörten interessiert zu. Doch viele suchten ihr neues Leben lieber irgendwo im Ausland als in der Bibel. Wer die Möglichkeit dazu bekam, wanderte aus. Vor allem junge Leute sahen für sich keine Zukunft mehr in ihrer Heimat. Der politische Konflikt beherrschte das ganze Leben.
Auch für mich war es befremdlich, was ich in dieser Zeit erlebte und hörte. Die Provinz Bethlehem war von israelischem Militär besetzt. Jeden Tag sahen wir Soldaten mit Maschinengewehren Patrouille fahren. Manchmal kam es zu Schießereien. Menschen kamen ums Leben. Es gab Streiktage, an denen keiner zur Schule oder zur Arbeit ging und alle Geschäfte geschlossen blieben. Die wirtschaftliche Lage war sehr schwierig. Man wusste nie, was der nächste Tag bringt, und an allem gab man der Besatzungsmacht die Schuld.
Doch ich sah die israelischen Soldaten nicht nur als Feinde. Ich sah auch die Menschen hinter ihren Uniformen. Junge Männer und Frauen, die versuchten, ihre Pflicht zu tun. Bestimmt hatten auch sie manchmal Angst, wenn sie in den palästinensischen Gebieten unterwegs waren. Auf der einen Seite verstand ich den Konflikt. Die Lebensbedingungen der Palästinenser waren alles andere als gut. Ich verstand ihren Kampf um Anerkennung und Freiheit. Doch ich verabscheute auch die schrecklichen Attentate und war erschüttert über die vielen unschuldigen Opfer. Wie erleichtert war ich, als die Intifada im Herbst 1993 endete und sich das Leben in unseren Gebieten langsam wieder normalisierte.
In den darauffolgenden Jahren ging es uns richtig gut. Wir hatten ein Auto, mit dem wir Ausflüge nach Jerusalem und in die nähere Umgebung machten. Es gab keine Grenzen und keine Checkpoints. Man setzte sich einfach hinters Steuer und fuhr los. Unser missionarischer Dienst in der Stadt wuchs. Wir mieteten Räume und begannen mit einer Teestubenarbeit, die wir Beit Al Liqa' (dt. Haus der Begegnung) nannten. Wir übernahmen eine Kindertagesstätte, gründeten einen Jugendkreis und hatten überfüllte Kinderstunden. In den Sommerferien führten wir Kindercamps in unserem kleinen Zentrum durch. Die Arbeit platzte aus allen Nähten und schon bald dachten wir über größere Räumlichkeiten nach. Im Jahr 2000 kauften wir ein Grundstück mitten in Beit Jala und legten hier als erstes einen Kinderspielplatz an. Unser Zentrum wurde schon bald die Seele der Stadt genannt.
Als wir dann im Herbst 2000 mit dem Bau des neuen Zentrums beginnen wollten, brach die zweite Intifada aus. Wieder ging alles den Bach hinunter. Wir erlebten richtigen Krieg. Kugeln und Raketen flogen uns um die Ohren. Es waren furchtbare Jahre. Doch mitten in dieser schweren Zeit erlebten wir Gottes Segen wie niemals zuvor. Wir bauten ein vierstöckiges Gebäude als neue Heimat für das Beit Al Liqa', halfen vielen Menschen in Not und setzten uns überall ein, wo wir konnten. Dabei brachten wir uns oft selbst in Gefahr. Wir erlebten die Brutalität der israelischen Besatzungsmacht und sahen die fürchterliche Gewalt der selbst ernannten palästinensischen Freiheitskämpfer.
Durch unseren unermüdlichen Einsatz in der Intifada gewannen wir das Vertrauen vieler Menschen. Nach Ende des Krieges wuchs unsere Arbeit in rasantem Tempo. Wir kauften mehr Land und bauten weitere Gebäude. Neue Arbeitsbereiche und Mitarbeiter kamen hinzu. Gott schenkte uns viele offene Türen. Heute beherbergen wir in unserem Zentrum eine Kindertagesstätte mit knapp hundert Kindern, wir haben wöchentliche Programme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Im Sommer führen wir Kindercamps mit über 100 Kindern durch. Unser Garten und der Innenspielplatz sind beliebte Treffpunkte für viele Familien. Wir haben Sportaktivitäten und ein Gästehaus. All diese verschiedenen Bereiche und Entwicklungen in unserer Arbeit machen uns sehr viel Freude. Auch wenn es manchmal zu viel für uns wird, beflügelt der Segen, den wir erleben, uns immer wieder aufs Neue und lässt uns zur Höchstform auflaufen.
Doch es gab in all den Jahren auch viele Probleme. Eines davon war mein Visum. Obwohl ich mit einem Palästinenser verheiratet bin, bekam ich keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Immer wieder musste ich bei den israelischen Behörden einen Antrag auf Visumsverlängerung stellen. Oft wurde dieser Antrag aber gar nicht bearbeitet. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als das Land...
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