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Deutschlands Schwäche und wie sie sich beheben lässt – Carlo Masalas Weckruf
Deutschland hatte sich behaglich eingerichtet in der Welt der Globalisierung – einer Welt, die friedlich zusammenzuwachsen und für uns immer sicherer zu werden schien. Doch diese Welt gibt es spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr. Über ein Zeitenwendchen ist die deutsche Politik bisher dennoch nicht hinausgekommen. Nach einem ersten Schock hat das Land wieder in den Friedensmodus geschaltet.
Carlo Masala zieht eine schonungslose Bilanz und beschreibt, wie wir resilienter werden können – gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Denn ohne kluges, strategisches Handeln werden wir uns in der neuen Weltunordnung nicht behaupten.
Was kann die Bundeswehr, was muss sie können? Wo liegen strukturelle Probleme, und wie bekommt die bisherige Zeitlupenwende mehr Tempo? Was bedeutet der russische Krieg gegen die Ukraine für Deutschland? Wie ist der Angriff zu erklären? Und welche Wege führen zum Frieden? Wohin entwickelt sich das internationale System? Woher rührt die strategische Naivität der Deutschen, und wie können wir uns in der Welt der Zukunft behaupten?
Das sind die Fragen, denen Carlo Masala in diesem Buch im Gespräch mit Sebastian Ullrich und Matthias Hansl nachgeht, und es sind zugleich drängende politische Fragen, auf die nicht nur die Bundesregierung Antworten finden muss, sondern auch die deutsche Bevölkerung. Denn die Abwehrbereitschaft eines Landes bemisst sich nicht ausschließlich an den Fähigkeiten seines Militärs.
Sie ist, gerade in Zeiten der Cyber-Kriegsführung, der Desinformation und der Verwundbarkeit ziviler Infrastruktur, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Viel mehr externe Schocks als in den letzten drei Jahren kann die Bundesrepublik gar nicht erleiden – abgesehen von einem direkten Angriff auf das eigene Territorium. Wieviel dringlicher kann eine Situation sein? Wenn wir jetzt nicht aufwachen, wird die Fallhöhe umso größer sein.
„Eine der wichtigsten Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit.” – Apokalypse und Filterkaffee, Jagoda Marini?„Masala sieht in der Zeitenwende für die Bundeswehr 'Stückwerk'.” – WELT, Thorsten Jungholt„Ein neues Buch, das sich mit den Lektionen beschäftigt, die Deutschland aus dem Ukrainekrieg gezogen hat.” – Augsburger Allgemeine, Christian Grimm„Carlo Masala ist der Glücksfall unter den deutschen Kriegsexperten. Masala argumentiert kenntnisreich und dicht . bietet einen hervorragenden Überblick über den Debattenstand zu diesem Krieg, weil er die Argumente seiner Kritiker mitdenkt.” – Süddeutsche Zeitung, Cathrin Kahlweit
Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr und gefragter Kommentator für deutsche und ausländische Medien sowie häufiger Gast in den großen Polit-Talkshows.
Kapitel 2
Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Wenn Sie am 24. Februar 2022 und in den Wochen danach Bundeskanzler gewesen wären, was hätten Sie anders gemacht als Olaf Scholz?
Die wirklich interessante Frage ist nicht, was ich ab dem 24. Februar anders gemacht hätte. Da haben die Bundesregierung und der Bundeskanzler im Großen und Ganzen die richtigen Maßnahmen ergriffen, auch wenn manches hätte schneller gehen können. Die eigentliche Frage ist: Was hätte man vorher anders machen können, ja müssen? Robert Habeck ist während des Bundestagswahlkampfs im Sommer 2021 in den Donbas gereist und hat Defensivwaffen für die Ukraine gefordert. Bei dieser Gelegenheit ist dieses ikonische Bild von ihm mit Stahlhelm irgendwo an der Front entstanden. Einmal abgesehen davon, dass es weder defensive noch offensive Waffen gibt, sondern einfach nur Waffen, war Habecks Forderung, wie wir heute wissen, richtig. Seit 2014 tobte im Donbas ein von Russland ausgelöster Krieg, und die Ukraine brauchte die Waffen schon damals, um sich dort besser zu verteidigen, bzw. die von russischen Separatisten besetzten Teile zurückzuerobern. Vielleicht wäre die abschreckende Wirkung auf die Russische Föderation größer gewesen, wenn man die Ukraine viel früher mit entsprechenden Waffensystemen ausgestattet hätte. Dann hätten die Russen eventuell realisiert, dass ein Einmarsch in die Ukraine, wie er am 24. Februar 2022 erfolgt ist, möglicherweise viel höhere Verluste nach sich zieht als erwartet. Eine Garantie dafür gibt es nicht. Aber frühzeitige Waffenlieferungen wären eine Strategie gewesen, um diesen Krieg zu verhindern.
Die Reaktion auf Habeck war nicht nur in der SPD, sondern auch in seiner eigenen Partei überwiegend negativ. Er wurde regelrecht zurückgepfiffen.
Zurückgepfiffen ist das richtige Wort. Die Grünen wollten im Wahlkampf nichts riskieren, und Habeck rüttelte an dem parteiübergreifenden Konsens, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Habecks Position war zu diesem Zeitpunkt auch in der deutschen Bevölkerung höchst unpopulär, obwohl die USA in begrenztem Umfang bereits anfingen, die ukrainischen Streitkräfte auszurüsten; die Grünen fürchteten um ihre Wahlchancen. Aber wo machen Waffen überhaupt Sinn, wenn nicht in Krisen- und Kriegsgebieten? Vor dieser Realität hat die deutsche Politik jahrzehntelang die Augen verschlossen. Das dahinterliegende Motiv ist das deutsche Grundproblem mit militärischer Macht. Solange man über das Minsker Friedensabkommen, also auf diplomatischem Weg, in dem Konflikt zwischen Russen und Ukrainern im Donbas vermitteln konnte, waren die Deutschen in ihrem Element, auch wenn die Vereinbarung eine Totgeburt war. Diplomatie und militärische Macht werden bei uns gedanklich voneinander getrennt. Militärische Macht ist demzufolge die Ultima Ratio, das letzte Mittel, wenn alles andere gescheitert ist, kein extremes Mittel im diplomatischen Werkzeugkasten, mit dem man drohen kann, um diplomatischen Initiativen den Weg zu ebnen. Jeder amerikanische Präsident, französische Präsident oder britische Premierminister sagt in schwierigen Verhandlungen mit einem Gegner den berühmten Satz: Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Damit droht er implizit mit dem Einsatz militärischer Macht, auch wenn er sie nicht einsetzen will, weil es ihm um die Erreichung eines diplomatischen Ziels geht. Dennoch lautet die Botschaft: Nehmt den diplomatischen Weg, die Alternative ist schlechter. Dieses Verständnis hatten wir Deutschen nie, sondern wollen über den Einsatz militärischer Macht gar nicht erst nachdenken, solange der diplomatische Instrumentenkasten noch nicht komplett erschöpft ist. Unbewusst hat Robert Habeck an diesem deutschen Tabu gerüttelt, aber seine Intuition war damals, vor dem 24. Februar 2022, richtig: Je stärker die ukrainischen Streitkräfte sind, um ihr Territorium zu verteidigen, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Russische Föderation auf Minsk II ernsthaft einlassen wird. Militärische und diplomatische Logik sind eng miteinander verzahnt, aber das wurde in Deutschland gerne ignoriert.
Allerdings hat Deutschland es auch nicht bloß mit diplomatischen Gesprächsrunden versucht. Angela Merkel hat nach der Annexion der Krim auf europäischer Ebene Sanktionen gegen Russland durchgesetzt, gegen Widerstände des Koalitionspartners SPD, aber auch anderer EU-Staaten. Ist es nicht ein bisschen unfair, wenn der deutschen Politik jetzt teilweise vorgeworfen wird, den russischen Angriff mit ermöglicht zu haben?
Es ist das Verdienst von Angela Merkel, die Sanktionen gegen Russland auf europäischer Ebene immer wieder erneuert zu haben, obwohl andere europäische Staaten auf ihre Aufhebung oder Lockerung drängten, weil ihnen die Geschäfte mit Russland so wichtig waren. Das falsche Signal kam dann aber 2015 ausgerechnet aus Berlin, als die Bundesregierung den Start des Projekts Nord Stream 2 zuließ. Dadurch hat sie den Aggressor - Putins Russland - mit Spezialgeschäften belohnt und ihre Sanktionspolitik ad absurdum geführt. Die Frage war ja schon vorher: Könnte Russland Nord Stream 2 nutzen, um die Ukraine zu umgehen, wenn es kriegerische Absichten gegen das Nachbarland hegt und seine Gaseinnahmen gleichzeitig nicht gefährden will? Zwar hatten die Deutschen mit Russland verabredet, dass eine garantierte Menge an Gas trotz Nord Stream 2 weiter durch die Ukraine fließt - aber was ist eine solche Verabredung schon wert, nachdem Russland die Krim annektiert hat? Fakt ist: Wir haben durch die Genehmigung dieses vermeintlich «privatwirtschaftlichen Projekts» das Signal ausgesendet, dass ein Völkerrechtsbruch, die gewaltsame Verschiebung territorialer Grenzen, kein Hinderungsgrund ist, den Aggressor als normalen Partner in wirtschaftlichen Beziehungen zu behandeln. Das war nicht nur das falsche Signal an die Ukraine, die baltischen Staaten und Polen, sondern auch an die Russische Föderation. Die Annexion der Krim war für uns eine Art Fait accompli. Und trotz des Krieges, den Russland im Donbas weitergeführt hat, sind wir schnell wieder dazu übergegangen, unsere Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Einerseits Sanktionen, andererseits Normalisierung, da stimmt etwas nicht, und das konnte man in Moskau als ermunterndes Zeichen der Schwäche verstehen.
Die Bundesregierung hat gehofft, Russland trotz dieses Völkerrechtsbruchs wieder einhegen zu können.
Die große Illusion der deutschen Politik nach der Wiedervereinigung bestand darin, man könne durch enge wirtschaftliche Kooperation, durch die Schaffung von Interdependenzen, also von gegenseitigen Abhängigkeiten, politischen Einfluss auf die andere Seite ausüben: Wandel durch Verflechtung, wie es bei Frank-Walter Steinmeier hieß, als er noch Außenminister war. Die Logik im Umgang mit Putins Russland war immer: Wir brauchen das Gas, aber die Russen wollen es auch verkaufen, also werden sie es nicht als politische Waffe einsetzen. Denn wenn sie es als politische Waffe einsetzen, machen sie Verluste. In der Natur der Sache liegt doch eher, dass die Russen sich durch die Kooperation langfristig mäßigen - so die Idee.
Die Amerikaner sind im Umgang mit China lange Zeit ähnlich verfahren. Die Vorstellung der Clinton-Administration war, China durch die Integration in die Weltwirtschaft zu «zivilisieren» - und wir haben auch noch Vorteile dadurch, so das Argument, weil der chinesische Markt für uns geöffnet wird. Der Autoritarismus wird sich schon auf lange Sicht verflüchtigen, je stärker die Chinesen in die Strukturen der Weltwirtschaft integriert werden. Je größer die Abhängigkeiten zwischen China und anderen Märkten, desto verlässlicher wird auch die chinesische Außenpolitik. Irgendwann haben die Amerikaner erkannt, dass das ein Wunschtraum ist. Die Chinesen nehmen alle Vorteile, die sie durch die Integration in die Weltwirtschaft haben, und treten nach außen immer aggressiver auf. Seit der Präsidentschaft Obamas sind die USA folglich auf den Kurs umgeschwenkt, den Aufstieg Chinas hinauszuzögern und bestenfalls aufzuhalten.
Aber hätte diese Strategie unter anderen Umständen nicht auch erfolgreich sein können? Oder anders gefragt: Ist wirklich die Grundidee falsch, oder krankte sie nicht vielmehr an einer...
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