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Seit sie als Kind "Shrek" gesehen hat, träumt Lotta Lubkoll von einem Esel, mit dem sie auf Wanderschaft gehen kann. Als ihr Vater an Krebs erkrankt und kurz darauf stirbt, wird ihr klar, dass man solche Träume nicht aufschieben sollte. Nach Monaten der Vorbereitung wandert sie also von München aus immer Richtung Süden - gemeinsam mit ihrem Esel Jonny.
80 Tage, 600 Kilometer durch die Alpen und viele Abenteuer später erreichen die beiden die Adriaküste. Unterwegs lernt Lotta, geduldig mit ihrem schleichenden Jonny zu sein, sie bekommt ihre panische Angst vor der Dunkelheit in den Griff und begegnet inspirierenden Lebensentwürfen. Doch am allerwichtigsten: Jonny und Lotta werden ein eingeschworenes Team, das sich von nichts aufhalten lässt.
Lotta Lubkoll, geboren 1993 in Coburg, ist ausgebildete Schauspielerin. Außerdem arbeitet sie in einem Waldkindergarten, leitet als Erlebnispädagogin Ferienfreizeiten, unternimmt Wald-, Natur- und Abenteuertage mit Kindern, produziert pädagogische Videoclips, übt sich als Regieassistenz am Filmset und macht zusätzlich eine Ausbildung zur Wildnis- und Survivaltrainerin. Neben Reisen, Skaten, Klettern und Kitesurfen schraubt sie an ihrem selbst ausgebauten Bus, in dem auch Esel Jonny seinen Platz hat. Gemeinsam leben die beiden auf einem Aussiedlerhof am Starnberger See.
Eigentlich begann alles damit, dass ich als Kind den Film »Shrek« geschaut habe. Sofort habe ich mich in den Esel dieser Geschichte verliebt. Er ist tollpatschig, liebenswürdig, lustig, aufgedreht und einfach zu komisch. Außerdem hat er mir leidgetan, weil er von den anderen nicht ernst genommen wird. Es ärgerte mich, dass Esel häufig nur als »stur und dumm« bezeichnet werden und als beleidigender Ausdruck herhalten müssen: »Du sturer Esel!« Ich war schon damals der festen Überzeugung, dass der Esel noch mehr draufhat und bestimmt nur missverstanden wird. Der Film weckte in mir den Wunsch, eines Tages einen solchen Esel als Kumpel zu haben.
Über zehn Jahre später schwirrte mir dieser heimliche Wunsch noch immer durch den Kopf. Ich war nach dem Abitur nach München gezogen und steckte mitten in einer Schauspielausbildung. Während meiner Arbeit im Kletter- und Boulderzentrum Freimann scherzte ich über diesen Traum mit Serah, meiner Freundin und Arbeitskollegin. Ich war mittlerweile 22 Jahre alt und hatte die romantische Zukunftsvorstellung von einem eigenen Aussiedlerhof mit meinem zukünftigen Mann, vielen Tieren, Kindern und genug Platz für einen Esel.
Wie ich auf die Idee kam, mit meinem Esel wandern gehen zu wollen, frage ich mich bis heute. Ich denke, dass es mit dem Wunsch zu tun hatte, meine Komfortzone zu verlassen. Ich steckte mir selbst schon immer gerne Ziele, von denen ich nicht sicher war, ob ich sie wirklich erreichen würde.
Als ich Serah hinter dem Tresen mit meiner etwas verrückten Idee vollquatschte, reagierte sie richtig begeistert und meinte: »Ja, das musst du machen. Warum nicht jetzt?« Da ich mitten in meiner Ausbildung steckte und zu dem Zeitpunkt weder im Besitz von Geld noch Zeit, noch einem Haus mit Garten und Platz für einen Esel war, hatte sich die Sache schnell geklärt. Eigentlich war ich sogar ganz froh, noch eine »Ausrede« zu haben. Aber irgendwann würde ich meine Idee umsetzen! Irgendwann . Es mussten erst noch ein paar Jahre vergehen, in denen ich mal mehr und mal weniger mit diesem Gedanken spielte, bis ich endlich anfing, meinen Traum in die Tat umzusetzen.
Es begann Ende August 2015 mit einer völlig unerwarteten und schrecklichen Nachricht. Mein Papa lag mit heftigen Magenbeschwerden im Krankenhaus. Nach einigen Untersuchungen stand die Diagnose fest: Magenkrebs - unheilbar. Der Arzt ging von einer Lebenserwartung von drei Monaten bis drei Jahren aus. In jedem Fall würde Papa bald sterben.
Ein Moment der Stille.
Ich hielt den Atem an. In mir stellte sich eine Art Tunnelblick ein, an dessen Ende ich mir immer wieder bewusst zu machen versuchte, dass mein Papa sterben würde. »STERBEN. Mein Papa stirbt. Was heißt das überhaupt genau? Er ist dann TOT - mein Papa. Einfach weg«, sagte ich mir immer wieder selbst, um es zu realisieren. Meine Mama - meine Eltern lebten schon lange getrennt -, mein kleiner Bruder Kalle und ich saßen zu Hause auf der Couch und sprachen stundenlang kein einziges Wort. In der Nacht wachte ich mit panisch kribbelnden und zitternden Armen und Beinen auf und musste mich am Tag darauf mehrmals übergeben. Mein Körper befand sich in einer Art Schockzustand.
Als ich meinen Papa im Krankenhaus besuchen wollte, musste ich immer wieder in dem Gang vor seinem Zimmer umkehren, weil ich meine Emotionen nicht unter Kontrolle bekam. Ich stand im Gang und heulte Rotz und Wasser. Wie würde ich ihn nur ansehen? Wie sollte ich reagieren und mit ihm sprechen? Wie musste es ihm wohl gehen? Diese Gedanken stachen wie ein Messer in mein Herz. Er musste am Boden zerstört sein. Und was sollte ich nur ohne meinen Papa machen?
Doch als ich sein Zimmer betrat, saß er lächelnd auf dem Bett und schrieb Stichpunkte für sein Testament auf einen Zettel: »Hey, Lottchen! Schön, dass du da bist. Möchtest du mein Motorrad haben? Dann schreibe ich das gleich mit auf.« Ich schaute ihn überrascht an, und sofort kullerten mir wieder die Tränen aus den Augen. Das muss eine Art Verdrängungsprozess sein, dachte ich. Doch in der Tat nahm er sein Schicksal mit großer Fassung hin und versuchte, es uns und sich selbst so leicht wie möglich zu machen, indem er plante, was in seiner Macht stand. Mein Papa war in dieser Zeit so stark, dass ich ihn dafür nur bewundern kann. Er machte eine Chemo, um den Krebs schrumpfen und die Lebenserwartung steigen zu lassen. Er hat so viel gekämpft, und meine Familie und ich, wir waren immer an seiner Seite. Ich nahm ihn in den Arm, wenn er weinen musste, und ertrug seine verzweifelten Wutanfälle, wenn er mit seiner Kraft völlig am Ende war. Meistens war er aber einfach gefasst und ließ sich seine Angst nicht anmerken. Wir telefonierten fast jeden Tag, und ich versprach ihm, sofort zu ihm zu fahren und für ihn da zu sein, wenn er mich brauchte. Egal wann. Schließlich sind meine Eltern auch immer für mich da gewesen. Ich sah es als meine Aufgabe, etwas davon eines Tages zurückzugeben.
Über mehrere Monate schaffte er es, sich noch um fast alles allein zu kümmern, doch an einem Montagmittag im Februar, während meines Unterrichts in der Schauspielschule, führten wir ein Telefonat, nach dem ich wusste, dass es nun Zeit war, ganz bei ihm zu sein. Er sagte, dass er nicht garantieren könne, dass er am Wochenende, wenn ich zu ihm fahren wollte, noch da sein würde. Ich ließ mich sofort auf unbestimmte Zeit vom Unterricht befreien, fuhr nach Hause und war nun Tag für Tag an seiner Seite.
Sicher hätte das jeder aus unserer Familie gemacht, doch ich war die Einzige, bei der es schnell und unkompliziert möglich war. Mein großer Bruder hatte seine Familie mit zwei Kindern, meine Mama arbeitete Vollzeit im Schichtsystem im Krankenhaus, und mein kleiner Bruder war zu jung, um all das vollständig zu realisieren. Auch ich funktionierte nur, als wäre ich ferngesteuert.
Papa und ich besprachen gemeinsam seine Beisetzung, und er schrieb mir seine Liedwünsche auf. Ich bezog immer wieder das Bett, wenn er sich erbrochen hatte, und drückte beim Arzt literweise Wasserablagerungen aus seinem Bauch, die sich durch den Krebs und die Metastasen gebildet hatten. Ich begleitete ihn zur Palliativstation, wo das Morphium passend eingestellt wurde, und stützte ihn auf dem Weg zur Toilette, wenn er es alleine nicht mehr schaffte. Zuerst bekamen ihn »keine zehn Pferde« in einen Rollstuhl, doch schon nach kurzer Zeit war er dankbar für das »geniale Ding«, wie er sagte. In der Nacht stützte ich seinen Kopf, wenn er sich übergeben musste, und hielt ihm einen kleinen Schwamm an seinen Mund - eigentlich um diesen auszuwaschen, aber er saugte daran, um ein wenig seinen Durst zu stillen, denn das normale Trinken wurde zu anstrengend. Ich beruhigte ihn, wenn er Angst bekam, und nahm im Schlaf seine Hand, stets darauf vorbereitet, dass diese kalt und starr werden könnte. Einmal saßen wir gemeinsam im Zimmer und weinten, doch an allen anderen Tagen ging ich dafür raus. Ich weinte mich in der Toilette oder an der frischen Luft aus, bis ich wieder genug Kraft hatte, um für Papa stark zu sein.
Das alles mag sehr negativ und anstrengend klingen, doch es gab auch wunderschöne und wertvolle Augenblicke, die all die schrecklichen Momente in ihren Schatten stellten. Die Familie wuchs in dieser Zeit enger zusammen denn je, und wir verbrachten viele intensive Stunden miteinander. Ich war unendlich dankbar für jeden Tag, jede Stunde und jede Minute, die wir noch mit meinem Papa verbringen durften. Es war nicht mehr selbstverständlich, sondern wie ein großes Geschenk, dass er noch da war. Jeden Tag, an dem ich aufwachte, machte ich mich darauf gefasst, dass heute der Tag sein könnte, an dem ich mich verabschieden musste und ihn zum letzten Mal sah, und jedes Mal, wenn das nicht der Fall war, war ich dankbar dafür, dass mein Papa auf dem Bett saß und mich angrinste. Besonders die Momente, in denen wir zusammen lachten, wurden unbezahlbar. Wenn die Schwestern auf der Palliativstation ihn fragten, ob er denn keine Angst habe, lächelte er sie nur gefasst an: »Nein, Angst hab ich nicht. Neugierig bin ich.«
Ich unterschrieb eine Patientenvollmacht, und somit übergab Papa die Verantwortung für das weitere medizinische Vorgehen in meine Hände. Am Ende war er kaum noch ansprechbar. Er schlief mit halb geöffneten Augen und laut röchelndem Atem. Ab und zu schreckte er auf, riss die Augen weit auf und rief nach mir. Ich setzte mich an sein Bett, beruhigte ihn, und schon war er wieder weg.
Zu dieser Zeit übernachtete ich auf einem Klappbett neben ihm in seinem Zimmer auf der Palliativstation, und ich begann mir zu wünschen, dass Papa endlich bald sterben könne. Ein sehr seltsamer Wunsch, den man jemandem, den man liebt wirklich nur wünscht, wenn man sieht, dass er so sehr leidet, dass der Tod inzwischen eine Erlösung für ihn wäre. Er wollte so gerne zu Hause sterben, doch der Arzt beteuerte, dass ein Transport in seinem Zustand leider nicht mehr möglich sei.
Am Morgen des 9. März 2016 saß Papa plötzlich fit, wie Tage zuvor nicht, in seinem Bett und strahlte mich mit einem klaren Blick an: »So, Lottchen, heute gehen wir heim.« Er zwinkerte mir verschmitzt zu, und ich zwinkerte zurück: »Okay, heute gehen wir heim, Papa.« Sofort machten die Pfleger, meine Mama, Kalle und ich alles möglich, damit Papa in wenigen Stunden mit mir nach Hause durfte. Es mussten Medikamentenlisten erklärt, ein Pflegebett bestellt und aufgebaut, ein Rollstuhl besorgt, ein Infusionsständer geliehen und ein Krankentransport organisiert werden. Papa bedankte sich freudestrahlend, indem er mich vom Rollstuhl aus umarmte und mir ein dickes Bussi auf die Backe drückte.
In dieser Nacht starb Papa zu Hause, im Beisein all seiner Liebsten, während wir neben ihm auf Matratzen schliefen. Seine...
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