Schweitzer Fachinformationen
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2. Aktion
»So können wir die Welt nicht mehr retten, indem wir nach den Regeln spielen. Weil die Regeln geändert werden müssen.«1
Greta Thunberg
Seit dem 20. August sitzt Greta Thunberg jeden Tag vor dem schwedischen Parlament. Seit dem zweiten Tag nicht mehr allein. Immer wieder setzen sich Unterstützer*innen dazu. Greta ist nicht gerade gesprächig. Ihr Autismus schützt sie vor Small Talk. Das bedeutet nicht, dass diese Unterstützung Greta nichts bedeutet. Ganz im Gegenteil: Ursprünglich wollte die schwedische Schülerin bis zur Parlamentswahl am 9. September 2018 streiken. Einen Tag zuvor entschließt sie sich, ab sofort jeden Freitag zu streiken. Für ihren Tweet an diesem 8. September hat sie sich einen neuen Hashtag überlegt: #FridaysForFuture.
Die Bewegung wird Tag für Tag größer, stärker, bekannter. Greta wird eingeladen, an der 24. UN-Klimakonferenz Anfang Dezember in Kattowitz teilzunehmen und dort zu sprechen. Der Kofferraum des Elektroautos ist voller Dosen Baked Beans.2 Vater Svante und Greta fahren nach Polen. Ein Waffeleisen haben sie auch dabei. Greta ist in der 21. Woche ihres Schulstreiks und mittlerweile weltweit bekannt. Nicht nur in Schweden, sondern bis nach Australien hat sie Schüler*innen zum Klimastreik bewegen können.
In der Stadt Kattowitz tragen viele Menschen bereits zwei Jahre vor der Coronapandemie Atemschutzmasken. Sie schützen sich vor dem Feinstaub der Kohlekraftwerke. Etwa 5000 Menschen sterben in Polen jedes Jahr an den Folgen der durch Feinstaub verursachten Krankheiten. Am 2. Dezember 2018 steht die damals 22-jährige Luisa Neubauer in einem ehemaligen Bergwerk im polnischen Kattowitz. Luisa ist als junge Beobachterin der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen hier. Es ist die 24. UN-Klimakonferenz - mit rund 30 000 Teilnehmer*innen aus fast 200 Ländern. Regierungschef*innen, Minister*innen, Diplomat*innen, Nichtregierungsorganisationen, UN-Delegierte. Hier in Kattowitz wird zwei Wochen lang in vielen einzelnen Sitzungen und Veranstaltungen über das Klima gesprochen. Nicht alles kann die Jugenddelegierte Luisa beobachten, viele Türen bleiben verschlossen. Ihr Ausweis ist gelb, damit kommt sie nicht in die Räume, in denen verhandelt wird. Polizist*innen und freiwillige Helfer*innen bewachen die Türen. Luisa und eine weitere Jugenddelegierte probieren es an mehreren Stellen. Keine Chance.3
Es ist der 9. Dezember 2018, Tag acht der Konferenz. In Deutschland hat vor zwei Tagen in Bad Segeberg der erste Fridays-for-Future-Streik stattgefunden. In Kattowitz sprechen Greta und Svante Thunberg auf einer Podiumsveranstaltung der Organisation Scientists Warning. Luisa Neubauer sitzt im Publikum. Sie meldet sich für eine Frage, möchte wissen, was wir über individuelles Verhalten hinaus noch tun können, um die Klimakrise aufzuhalten. Nach der Veranstaltung geht Luisa auf das schwedische Mädchen zu. Vater Svante steht der Schweiß auf der Stirn. Medienvertreter*innen aus der ganzen Welt wollen einen Augenblick mit seiner Tochter. Das ist nicht völlig neu für Svante und Greta, nach den Entwicklungen der vergangenen Monate. Aber in Kattowitz sind alle auf einmal da. Luisa Neubauer bietet ihre Hilfe an. Fortan organisiert sie Gretas Presseanfragen und begleitet sie und Svante auf der Konferenz. Am 12. Dezember 2018 hält Greta eine Rede auf dem Klimagipfel in Kattowitz, die sich sehr schnell über klassische, aber vor allem über die sozialen Medien verbreitet:
»Als im August dieses Jahres die Schule begann, setzte ich mich vor dem schwedischen Parlament auf den Boden. Ich habe für das Klima gestreikt. Einige Leute sagen, ich sollte stattdessen in der Schule sein. Einige Leute sagen, ich sollte studieren, um Klimawissenschaftler zu werden, damit ich >die Klimakrise lösen kann<. Die Klimakrise ist jedoch bereits gelöst. Wir haben bereits alle Fakten und Lösungen. Und warum sollte ich für eine Zukunft studieren, die bald nicht mehr möglich ist, wenn niemand etwas unternimmt, um diese Zukunft zu retten? Und was bringt es, Fakten zu lernen, wenn die wichtigsten Fakten für unsere Gesellschaft eindeutig nichts bedeuten? Heute verbrauchen wir jeden Tag 100 Millionen Barrel Öl. Es gibt keine Politik, um das zu ändern. Es gibt keine Regeln, um dieses Öl im Boden zu halten. So können wir die Welt nicht mehr retten, indem wir nach den Regeln spielen. Weil die Regeln geändert werden müssen.«4
Wir wollen hier nicht denselben Fehler begehen wie viele Medien, die sich oft auf die Form, die Umstände und das Persönliche konzentrieren - also auf alles bis auf den Inhalt. Dies ist kein Buch über die Klimakrise. Und doch: Wie könnte es kein Buch über die Klimakrise sein, wenn wir über Aktivismus sprechen? Wenn wir fragen: Wie kann ich was bewegen?
Bereits vor Kattowitz mobilisiert Luisa Neubauer junge Menschen in Deutschland. Sie postet Beiträge zur Klimakrise. Unter #youth4climate. An diesem 12. Dezember 2018 benutzt sie erstmals den Hashtag #FridaysForFuture. Zwei Tage später streiken wieder Schüler*innen fürs Klima. Diesmal schon in mehreren deutschen Städten. In den kommenden Wochen entstehen die ersten regionalen Gruppen von Fridays for Future in Deutschland.
Greta Thunberg beschreibt sich mittlerweile auf Twitter als »15-jährige Klimaaktivistin mit Asperger«. Zwei Jahre später sprechen wir mit Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit über Greta: »Für mich ist damit nichts begriffen, sie allein politische Aktivistin zu nennen. Am Ende ihres Lebens wird da noch so viel mehr sein als eine Aktivistin. Ich spüre einen derart emotionalen Mangel bei diesem Begriff. Es gibt eine Art von politischen Triebkräften, die einem das Label anheften, um nicht mehr groß mit einem zu tun haben zu müssen. Ich erlebe diesen Begriff des Aktivismus oder auch des politischen Aktivismus in erster Linie als etwas, das im Grunde abwerten soll. [.] Aber die Künstler, die dürfen ein wenig verrückt sein, und die Aktivisten, die dürfen ein bisschen kämpfen, in einem gesellschaftlichen Becken, mit dem man noch so halbwegs klarkommt.«5
Aktionskunst
Philipp Ruch möchte nicht Aktivist genannt werden. Er ist politischer Aktionskünstler und »von Hause aus politischer Philosoph«, wie er sagt.6 Mit dem Kollektiv »Zentrum für Politische Schönheit« führt er seit 2009 Aktionen durch, die große mediale Aufmerksamkeit hervorrufen: mit »künstlerischen Interventionen« für »humanitäre Themen«. Philipp Ruch ist ihr Gründer und künstlerischer Leiter.
Ihre erste Aktion heißt »Die Re-Formation der Geschichte«. Sie ist angelehnt an Martin Luther, der seine Thesen zur Reformation an die Wittenberger Schlosskirche genagelt haben soll. Das Zentrum für Politische Schönheit verkündet nun in einem »Thesen-Anschlag auf den Deutschen Bundestag« seine grundsätzlichen Vorhaben. Die erste der zehn Thesen lautet: »In jedem Menschen steckt eine tiefreichende Sehnsucht nach dem Schönen.«7 Außerdem wollen die Aktionskünstler*innen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auf eBay verkaufen.
2015 präsentiert Philipp Ruch seine politischen Ideen in einem Manifest. Dort fordert er einen »hartnäckigen Humanismus«. OnlinePetitionen kritisiert er als »platonisch«. Aber was bedeutet »politische Schönheit«? »Ich behaupte, dass der Mensch ein Wesen mit einem angeborenen Instinkt für Schönheit ist. Und das bedeutet, dass er eigentlich zu jeder Zeit und in jeder Minute ein Bewusstsein davon in sich trägt, ob das, was er tut, schön ist oder hässlich.«8
Philipp Ruch geht es um das richtige Handeln: »Das Zentrum für Politische Schönheit ist der radikale Flügel des Humanismus«, heißt es wortgewaltig auf dessen Homepage, »eine Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit. Wir verschränken die Macht der Phantasie mit der Macht der Geschichte.«9
Wir kennen es schon länger, das hässliche Gesicht oder die Fratze als Sinnbild des Rechtsextremismus, Terrorismus, Populismus: Im Holocaust hat Deutschland sein hässlichstes Gesicht gezeigt. Es ist die Grundüberzeugung des Zentrums, dass wir nicht nur aus der Geschichte lernen, sondern vor allem auch handeln müssen: Politische Schönheit stellt sich einer hässlichen Politik entgegen.
So befasst sich das Zentrum für Politische Schönheit meist nicht mit politischer Schönheit, sondern mit dem Gegenteil. Mit den »Säulen der Schande« erinnert es an das Massaker von Srebrenica, auch an die Mitschuld der westlichen Welt und der UN, die den Völkermord tatenlos geschehen ließen. Die acht Meter hohen und 16 Meter breiten Buchstaben, die mit 16 744 Schuhen gefüllt wurden, auch mit Schuhen der 8372 Opfer, ergeben die Buchstaben UN.
2014 bewirbt das Zentrum für Politische Schönheit die »Kindertransporthilfe des Bundes«: Um 55 000 Kinder aus Syrien vor dem Krieg zu retten, werden Pflegefamilien in Deutschland gesucht. Ein vollständiges Konzept steht hinter der Großkampagne. Als Absenderin ist das Bundesfamilienministerium angegeben. Es gibt sogar eine Hotline, wo sich bereits innerhalb der ersten beiden Tage über 1000 Familien melden, um ein syrisches Kind aufzunehmen.
Zum 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer greifen die politischen Aktionskünstler erneut das Thema Flucht auf. Die Kreuze zum Gedenken an die Berliner Maueropfer am Ufer der Spree neben dem...
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