Schweitzer Fachinformationen
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Im ersten Kapitel wird das Themenfeld der psychosomatischen Störungen mit einem Fallbeispiel eingeleitet, auf das über den ganzen Ratgeber hinweg immer wieder zurückgegriffen wird, insbesondere im Selbsthilfe-Teil. Es handelt sich um Frau Engel. Anschließend erkläre ich Ihnen wichtige Eckpunkte des Fallbeispiels und gebe einige Tipps im Umgang mit diesem Ratgeber.
Frau Engel gebar im Alter von 30 Jahren ihren Sohn nach einer schwierigen Schwangerschaft per Kaiserschnitt. Noch während der Schwangerschaft begann die häusliche Gewalt, die nach der Geburt des gemeinsamen Kindes weiterging. Die frischgebackene Mutter war verängstigt. Sie erkannte, dass ihr Unrecht angetan wurde, doch benötigte es mehrere Vorfälle häuslicher Gewalt, ehe sie sich traute, die Polizei zu rufen. Diese trennte das Ehepaar. Das Baby blieb bei Frau Engel, und der gewalttätige Ehemann wurde des Hauses verwiesen. Im Anschluss kam es zu mehreren Gerichtsterminen. Der Vater wollte das Baby gänzlich zu sich nehmen, Frau Engel, die bis zu diesem Zeitpunkt die Hauptbezugsperson gewesen war, wehrte sich.
Somit war Frau Engel in rascher Folge einer Reihe von lebensverändernden Ereignissen ausgesetzt: Sie war Mutter geworden, hatte häusliche Gewalt erlebt, es gab mehrere Gerichtstermine. Hilflosigkeit, Ohnmacht und Einsamkeit stellten sich ein. Sie wurde zur Alleinerziehenden, das Baby schlief nie durch, es kam zu finanziellen Problemen, ihre Eltern wohnten weit weg und konnten sie bei all dem nicht unterstützen. Sie hatte eine fordernde Arbeitsstelle, Freunde zogen sich zurück, ihren Interessen ging sie nicht mehr nach und so weiter.
Mehr und mehr stellten sich körperliche Probleme ein. Frau Engel litt an Schlafstörungen, war dadurch ständig müde und fühlte sich stets am Rande des Zusammenbruchs. Ihr Haar wurde dünn, und trotz ihres jungen Alters zogen erste graue Strähnen durch ihre dunkelbraune Mähne. Sie verlor an Gewicht. Mit ihren 176 Zentimetern magerte sie auf 55 Kilogramm ab. Schließlich fing sie sich einen Infekt ein. Die Nase lief, der Hals war rau, das Sprechen schmerzte. Die Erkältung war hartnäckig und blieb über mehrere Monate.
Frau Engel wusste kaum mehr, wo ihr der Kopf stand. Sie war ein Schatten ihrer selbst. Schließlich suchte sie wegen des hartnäckigen Infekts ihren Hausarzt auf. Der Arzt erkannte die Not der jungen Frau und schrieb sie krank. Er riet ihr, die kommenden Wochen bei ihren Eltern zu verbringen. Zunächst sträubte sich Frau Engel, da ihr Verhältnis zu den Eltern schon immer angespannt gewesen war. Schließlich kam sie dem ärztlichen Rat nach. Ihre Eltern unterstützten sie bei der Betreuung des Säuglings, und Frau Engel konnte mehr und mehr durchatmen - sprichwörtlich. Sie konnte sich hinlegen und ausruhen. Da ihre Mutter einige Nächte übernahm, konnte Frau Engel sogar einige Male durchschlafen. Innerhalb von zehn Tagen war der Infekt überstanden.
Frau Engel hatte sich in eine massiv belastende Lebenssituation manövriert. Was für jemanden als Belastung gilt, ist subjektiv. Das heißt, dass die individuelle Bewertung eines Ereignisses oder einer Lebenssituation entscheidend ist, ob etwas als belastend wahrgenommen wird oder nicht.
Dieser Situation ausgesetzt und ohne Strategien, diese bewältigen zu können, entwickelte Frau Engel eine Reihe psychosomatischer Symptome. Zur Rekapitulation: Sie war chronisch müde und erschöpft, litt an Schlafstörungen, verlor an Gewicht, es wuchsen graue Haare, sie war über mehrere Monate hinweg erkältet. Ein Hoch auf den Hausarzt, der erkannt hat, dass nicht (nur) der Schnupfen zu behandeln ist, sondern dass Frau Engel auf anderer Ebene der Unterstützung bedurfte. Vor allen Dingen benötigte sie körperliche Erholung und die Unterstützung der Eltern. Der Hausarzt schrieb Frau Engel krank und schickte sie zu ihren Eltern.
Wichtig ist hier, dass die körperlichen Symptome nicht simuliert waren. Psychosomatische Symptome sind echte, körperliche Symptome. Von psychosomatischen Störungen betroffene Personen sind keine Simulanten. Doch die ausschließlich körperliche Behandlung von psychosomatischen Störungen greift zu kurz. Psychosomatische Störungen verlangen, eine Ebene tiefer zu gehen.
Was war bei Frau Engel los? Sie litt an zerstörten Träumen, an einer existenziell bedrohlichen Lebenssituation, an Überforderung und an purer Einsamkeit. Die alleinige Behandlung der körperlichen Symptome hätte hier nicht gereicht.
Psychosomatische Symptome sind quasi Alltagsprobleme. Jede und jeder leidet hie und da an psychosomatischen Beschwerden. Manchmal fällt dies nicht weiter ins Gewicht, manchmal schon. In all den Jahren als Psychologin lernte ich viele Personen mit psychosomatischen Beschwerden kennen. Doch um diese kennenzulernen, hätte ich weder ein Studium der Psychologie gebraucht, noch hätte ich Psychotherapeutin werden müssen: Psychosomatik ist unter uns und wir alle begegnen ihr tagtäglich.
Übrigens darf ich Frau Engel betreffend entwarnen: Zwar wurde sie noch über Jahre hinweg vom rasch geschiedenen Mann im Sinne von Stalking geplagt. Dennoch nahm das Leben von Frau Engel eine wunderbare Wendung zum Guten. Sie führte diese durch eine Reihe schlauer Entscheidungen herbei, die unter anderem in Kap. 10.4 beschrieben sind.
Mit diesem Fallbeispiel begrüße ich Sie herzlich zu einer Reise rund um die Welt der Psychosomatik. Wenn Sie dieses Buch in Ihren Händen halten, sind Sie eventuell selbst von psychosomatischen Symptomen betroffen. Vielleicht wurde die Möglichkeit, dass Ihre körperlichen Symptome psychisch verursacht oder mitbedingt sein könnten, soeben an Sie herangetragen oder Sie zweifeln schon eine Weile an der körperlichen Verursachung Ihrer Beschwerden. Vielleicht sind Sie davon überzeugt, dass psychische Gründe für Ihre Symptome vorhanden sind oder Sie ziehen es am Rande in Erwägung. Es ist unerheblich, wo Sie stehen. Dieser Ratgeber will Sie nicht von etwas überzeugen oder Sie in eine bestimmte Richtung lenken, sondern er will Ihnen profunde Informationen liefern, auf deren Basis Sie Ihre eigenen Schlüsse ziehen können und sollen. Eventuell legen Sie das Buch nach einer Stunde beiseite und entscheiden, dass Sie es nicht benötigen - damit habe ich kein Problem (ich merke es sowieso nicht). Oder Sie bekommen durch den Ratgeber ein wichtiges Puzzleteil, um endlich das ganze Bild sehen zu können.
Es ist auch möglich, dass Sie selbst nicht betroffen sind, dafür aber eine Ihnen nahestehende Person. Vielleicht handelt es sich um ein geliebtes Familienmitglied und Sie möchten verstehen, was da los ist, um besser auf diese Person eingehen zu können. Vielleicht möchten Sie der Person aus der Symptomatik heraushelfen - wahrscheinlich, weil es Sie selbst ebenfalls belastet? Das ist meistens so: Niemand leidet allein. Auch für diesen Fall kann dieser Ratgeber wertvolle Informationen bieten und erste Ansatzpunkte aufzeigen. Bedenken Sie jedoch, dass Sie selbst nur begleiten und höchstens Hilfe zur Selbsthilfe anbieten können. Entfernen Sie sich nicht zu weit aus Ihrer eigenen Wohlfühlzone, achten Sie gut auf sich selbst, bewahren Sie ein Gleichgewicht zwischen Geben und Erhalten. Helfende Personen neigen dazu, sich selbst zu vernachlässigen.
Wie auch immer. Gerne nehme ich Sie mit auf eine Reise in die mitunter bizarre Welt der Psychosomatik und deren Störungen. Diese Welt wirkt nicht immer streng wissenschaftlich, und sie verlangt eine gute Portion an Fantasie und Kreativität. Schon Albert Einstein soll gesagt haben: »Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.« Gleichzeitig beruht die psychosomatische Welt auf vielen Jahren medizinisch-psychologischer Erkenntnis. Nennen wir es eine scheinbare Grauzone zwischen Wissen und Fantasie.
Für diese Reise benötigen Sie keine Impfung gegen Malaria, jedoch empfehle ich Ihnen ein Notizbuch. Möglicherweise möchten Sie relevante Informationen herausschreiben oder Sie führen darin Übungen aus, die zahlreich in diesem Ratgeber enthalten sind. Das Notizbuch stellt sicher, dass Sie alles für Sie Wichtige an einem Ort gesammelt haben und immer wieder darauf zurückgreifen können.
Während dieser Reise können Sie problemlos einzelne Kapitel auslassen. Fliegen Sie dahin, wo es Sie hinzieht, und lesen Sie ausschließlich diejenigen Themen, die für Sie...
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