Schweitzer Fachinformationen
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Weite Horizonte, Ketten von schlichtgeformten Bergen, satte und doch pastellweiche, seltsame Farben auf den kahlen Hängen, Gelb, Rot und Violett; irgendwo am lichten Rand des Himmels ein schneebedeckter Berg; kristallklare Luft, singendes Licht in unendlicher Stille, dann wieder steifer, feindseliger Wind; Gebetsfahnen, Tschorten; Häuser aus Stein und Lehm; kümmerliche Gerstenfelder, magere Grasflecken, wenige armselige Weidenbäume; Männer und Frauen mit braunen, verwitterten Gesichtern: Tibet.
Himmelstürmende Eisberge; lange Schneefahnen an sturmumtosten Gipfelzacken; gerillte Eiswände, höher und steiler als irgendwo, behangen mit Lawinenschnee; in zerbrechlichen Zelten winzige Menschlein, die solche Berge besteigen wollen; den einen treibt dies, den anderen jenes; Unglaubliches wird vollbracht im Klettern, Schneewaten, Lastenschleppen, im Ankämpfen gegen Sturm und Kälte, gegen Ermüdung und Benommenheit in dünner Luft; wir sehen Erfolg und Mißerfolg, sehen menschliche Kleinheit, aber auch menschliche Größe bis zum Opfertod um eines Kameraden willen, ohne Unterschied von Sprache, Rasse, Bildung oder Stand: Himalaya.
Breite, heilige Ströme in flachem Land, gütige Bewässerer der Felder; Banyanbäume mit baumelnden Luftwurzeln; Palmkronen an langen, verborgenen Stämmen; Affen, fliegende Hunde, Pfauen, Elefanten; erbarmungslose Sonne am wolkenlosen Himmel; oder wasserfallartiger Regen nach monatelanger Dürre; rote Farbe als heiliges Zeichen an Bäumen und Steinen; kleine, geschnitzte Götterbilder; Lotosblüten, Kokosöl, Reiskörner und Zitronen, den Göttern geopfert; Tempel und Moscheen; braune Menschen mit ansprechenden, verwandt anmutenden Gesichtszügen: Indien.
Wie viele Tausende von uns abendländischen Menschen träumen nicht von diesen fernen Welten! Wie viele junge Männer wären nicht bereit, Jahre der Entbehrung in Kauf zu nehmen, wenn sie sich zum Lohn an jenen Gipfeln der Erde messen oder die unbekannten Weiten Innerasiens durchforschen könnten!
Auf den Seiten dieses Buches werden die Himalaya-Abenteuer solcher Träumer erzählt, oder, anders gesagt, es werden Träume erzählt, die gegen alle Hoffnung zur Wirklichkeit wurden. Denn die großen Himalaya-Expeditionen der dreißiger Jahre arbeiteten mit Geldsummen, die nur Regierungen, Vereine oder Betriebe aufbringen konnten. Um bei solchen Reisen mittun zu können, genügte es nicht, wenn man als Bergsteiger in Betracht kam; man mußte, wenigstens in Deutschland und Österreich, auch sonst in den jeweiligen Rahmen dieser Unternehmungen passen, und, was bei der großen Zahl geeigneter Bewerber vielleicht unvermeidlich war, Beziehungen haben. Manche tatkräftige Männer, die aus irgendeinem Grunde nicht unter die Auserwählten kamen, brachten es allerdings zuwege, durch Verträge mit Zeitungen und Filmunternehmen das nötige Geld aufzubringen. Andere erwählten das Bergsteigen und Reisen zu ihrem Beruf und verfügten so über genügend Zeit, um nicht nur die schönsten und abenteuerlichsten Reisen zu machen, sondern auch gute Bücher darüber zu schreiben. Aber wer fürs Werben und Geldaufbringen keine Gabe oder keine Lust hatte, wer sich nicht dazu entschließen konnte, dem Abenteuer zuliebe seinen Beruf aufzugeben - der mußte verzichten. Auch ich hatte bewußt verzichtet - nur das Träumen konnte ich nicht ganz lassen; wenn ich schon absichtlich keine Fahrtenberichte mehr las, ein Kartenblatt großen Maßstabes, das Berge wie Nanga Parbat, Tiritsch Mir und überdies »weiße Flecken« von unerforschtem Land enthielt, ein solches Kartenblatt versetzte mich nach wie vor in Aufregung.
Einer, der mir von Zeit zu Zeit ein solches Kartenblatt zeigte, war mein Freund Ludwig Krenek. Es ist am besten, wenn ich ihn gleich vorstelle, denn er wird uns vom Anfang bis zum Ende dieses Berichtes begleiten. Etwas kurz ausgefallen war er, der Gute; aber mit sprunggewaltigen, unermüdlichen Beinen begabt. Sein athletischer Körper, seine braungebrannte Haut schienen immer nach Sonnenstrahlen zu dürsten, die ihm übrigens nie etwas anhaben konnten - trotz leichter Neigung zu einer Scheitelglatze. Sein Gesicht war energisch, aber auch gutmütig; mit einem angemessenen Schuß Ehrgeiz darin. Er war ein großer Verehrer von Käse, Früchten und Schokolade, wogegen er das Fleisch, kulinarisch gesprochen, verachtete. Kein Stern am Himmel war ihm unbekannt, vom Kleinen Wagen bis zum Kreuz des Südens, von Sternhaufen, Doppelsternen und Spiralnebeln ganz zu schweigen. Ausschnitt, Vordergrund, Hintergrund, Blende, Belichtungszeit und was sonst noch zur höheren Lichtbildkunst gehört, kam ihm gewissermaßen im Halbschlaf mit unfehlbarer Sicherheit. Philosophisch gesprochen war er ein morgenländischer Mensch, denn er besaß die beneidenswerte Fähigkeit, über Sternen, Landkartenstudium und Blockflötenübungen alles, selbst Abendeinladungen, zu vergessen.
Um aber ernsthaft zu sein: Jeder Schulleiter, der Ludwig unter seinen Lehrern hatte, konnte sich glücklich schätzen. Seine Schüler gingen für ihn durchs Feuer und schwärmten noch zwanzig Jahre später von ihm, wenn ich hie und da einen von ihnen traf. Nach größeren Reisen veröffentlichte er geographische Arbeiten; seine reichen Erfahrungen in Indien hat er durch ein dokumentarisches Buch weiten Kreisen zugänglich gemacht.
Wir kannten uns seit langem, hatten auch gelegentlich miteinander schneidige Bergfahrten unternommen, aber eine engere Freundschaft ergab sich erst aus der beruflichen Zusammenarbeit. Ludwig war nämlich ebenso wie ich in den dreißiger Jahren Fachlehrer an Wiener Vorstadtschulen, und wir unterrichteten oftmals in den gleichen Klassen. Wenn der Sommer ins Land kam, zogen wir gemeinsam mit unseren Schülern in die Berge.
Zu Weihnachten, zu Ostern und in den Sommerferien übernahmen wir mitsammen die Führung von Gruppen englischer Studenten in den Ost- und Westalpen. In Wien gab es seit dem Ende des Ersten Weltkrieges die Akademisch-soziale Arbeitsgemeinschaft, die in aller Stille und ohne internationale Konferenzen an der Völkerverständigung arbeitete. Tausende von englischen Studenten, Lehrern, Ärzten waren im Lauf der Jahre durch die Vermittlung dieser Stelle mit österreichischen Studenten und Akademikern bekannt geworden.
Freundschaftsbande waren geknüpft worden, die englischen Gruppen gingen unter ehrenamtlichen österreichischen Führern in alle Berggebiete Österreichs, später auch in alle Länder Europas und des Nahen Ostens. Von dort hatte Ludwig die verführerischen Landkarten.
Wir hatten verschiedentlich mit dem Gedanken gespielt, im Rahmen dieser Gruppenführungen eine Reise nach Afghanistan zu veranstalten. Das schien nicht unmöglich, denn andere Führer waren bereits bis tief nach Persien vorgestoßen. Aber das waren Autobusreisen gewesen, wo es bei den vielen Teilnehmern keine Rolle spielte, wenn jeder ein wenig mehr zahlte, um dem Führer seine Auslagen zu ersetzen. Unbezahlbar schien jedoch für unseren Gästekreis aus dem englischen Mittelstand eine bergsteigerische Unternehmung in diesen fernen Ländern, denn hierbei konnte man nicht mehr als zwei Gäste auf einen berggewandten österreichischen Führer mitnehmen, abgesehen von den sonstigen Mehrkosten gegenüber einer Autobusreise.
So hatten wir diese Pläne beiseite gelegt, bis ich eines Morgens in der Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden Ludwig einen neuen Vorschlag zu überdenken gab. Wir sollten vier junge Engländer suchen, die bereit waren, mit uns im Himalaya so einfach und sparsam zu leben, wie wir es bei unseren eigenen Fahrten zu tun gewohnt waren, besonders in den Westalpen. Kein Hotel, nicht einmal ein Rasthaus, sondern das Zelt; drei Sherpas, statt wie üblich mindestens zwölf; zwanzig bis dreißig Dörfler als Träger bis zum Standlager, statt deren zweihundert; keine Sauerstoffapparate, Zelte und Schlafsäcke von der Arbeitsgemeinschaft, statt Himalaya-Sonderausrüstung; Gesamtdauer nur zweieinhalb bis drei Monate, trotzdem bei unseren Mitteln nur die langsame Schiffsreise und nicht etwa ein Flug in Frage kam; als Reisezeit die Schulferien, da keiner von uns auf einen Sonderurlaub hoffen konnte; die billigste Hin- und Rückfahrkarte nach Bombay, die wir auf irgendeinem italienischen Schiff erhalten konnten; und ein oder zwei Jahre angestrengtesten Sparens, damit auch wir zwei schlechtbezahlten Mitteleuropäer einen möglichst großen Teil der Kosten selbst aufbringen konnten.
Natürlich durften wir mit so wenig Zeit und knappen Mitteln keine »Achttausender« als Ziele wählen, sondern mußten uns mit Bergen zwischen sechstausend und siebentausend Metern begnügen, die noch dazu von Bombay aus rasch erreichbar sein mußten. Die Hin- und Rückreise zur See nahm ja allein schon einen Monat in Anspruch.
Das war im Winter 1937 gewesen, und Ludwig hatte zunächst nur pessimistisch den Kopf geschüttelt. »Du möchtest also im Monsun auf den Himalayabergen herumsteigen? Die...
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