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Einige Jahre nach der Schlacht von Zama (202 v. Chr.) sollen sie sich wiedergetroffen haben: Hannibal Barkas, der legendäre karthagische Feldherr, der Rom im Zweiten Punischen Krieg an den Rand einer Niederlage gebracht hatte, und Publius Cornelius Scipio Africanus, der nicht minder legendäre römische General, der seinen karthagischen Gegner in der Entscheidungsschlacht des Krieges besiegt hatte. Hannibal diente mittlerweile als Berater hellenistischer Könige im östlichen Mittelmeerraum, und genau dorthin, ins kleinasiatische Ephesos, gelangte im Zuge einer Gesandtschaftsreise eines Tages auch Scipio. Frei vom Druck des früheren Krieges plauderten die ehemaligen Gegner über dieses und jenes, bis Scipio schließlich die Frage an Hannibal richtete, wer der größte Feldherr aller Zeiten sei. Hannibal musste nicht lange überlegen: Dies sei natürlich Alexander der Große. Auf die Anschlussfrage nach dem zweitgrößten Feldherrn nannte er dann Pyrrhos, den König der Epiroten. Und als Scipio zu guter Letzt noch wissen wollte, wer der drittgrößte Feldherr der Geschichte sei, listete Hannibal sich kurzerhand selbst. Ein wenig irritiert, aber auch amüsiert bohrte Scipio nach, immerhin hatte er den Karthager seinerzeit geschlagen: Wie denn die Reihenfolge aussähe, wenn Hannibal die Schlacht von Zama gewonnen hätte? Dann, so kam die Antwort, wäre nicht mehr Alexander der größte Feldherr aller Zeiten, sondern er selbst: Hannibal.
Neben seiner geschichtlichen Bedeutung als führender Kommandant Karthagos im Zweiten Punischen Krieg (218-?201 ?v. Chr.), und damit als letztes bedeutendes Hindernis für Roms späteren Durchbruch zur antiken Supermacht, sind es Anekdoten wie diese, die den Reiz einer Beschäftigung mit Hannibal ausmachen. Von ihm (und über ihn) sind zahlreiche Episoden und Aussprüche überliefert, die mal in ihrer Prägnanz, mal in ihrem Witz und oft auch in ihrer Tragik berühren und berührten. Seine historischen Erfolge und sein letztliches Scheitern sprechen ohnehin für sich, sind teilweise geradezu ikonisch geworden und galten schon frühzeitig als derart gewaltig, dass sich Hannibal einen festen Platz im klassischen Bildungskanon sichern konnte.
Dass eine Beschäftigung mit ihm noch immer fasziniert, belegt eine Flut an modernen Biographien, die sich hinsichtlich ihres Gegenstandes zwar allesamt ähneln - natürlich geht es immer um Hannibal -, die aber nichtsdestoweniger eigene und durchaus auch unterschiedliche Schwerpunkte in der Annäherung an diesen Gegenstand setzen. Meist erscheint Hannibal vor allem als Kriegsherr, manchmal auch als Staatsmann; mal gilt er als unvergleichliches Genie, mal liegt der Fokus auf seinem selbst verschuldeten Scheitern; mal begegnet er als größter Feind Roms, mal wird er eher vor dem Hintergrund der Verhältnisse seiner eigenen Heimatstadt präsentiert. Diese Aufzählung ließe sich leicht fortsetzen, aber schon der erste schnelle Blick führt uns ein grundsätzliches methodisches Problem der Gattung historischer Biographien vor Augen, vor dem auch das vorliegende Buch steht: Hannibal ist offen für Zuschreibungen, die zwar nicht gänzlich beliebig sind, die sich aber doch zuvorderst daran orientieren, worauf der Betrachter oder die Betrachterin seinen oder ihren Schwerpunkt legen will. Das gilt für die antiken Quellenautoren nicht weniger als für die moderne Forschung. Spätere Betrachter (letztlich aber auch schon die Zeitgenossen) werfen also notwendigerweise einen externen Blick auf Hannibal und schreiben ihm, seinem Handeln und seinem Leben einen Sinn zu, der sich an ihrer eigenen Vorstellung orientiert. Inwieweit diese Sinnstiftung dann den Hannibal trifft, ist im Einzelfall niemals ausgemacht, zumindest muss man aber feststellen, dass historische Biographien im Bemühen um eine möglichst kohärente Erzählung die Vielschichtigkeit der betrachteten Personen reduzieren. Aus Sicht von Disziplinen abseits der Geschichtswissenschaft ließe sich das leicht kritisieren. In Philosophie oder Soziologie wird das Individuum als vielfach fragmentiertes Wesen aufgefasst, was die so häufig begegnende narrative Einheitlichkeit des Lebens in historischen Biographien fragwürdig erscheinen lässt.
Trotzdem lässt sich der Mechanismus kaum vermeiden, vor allem nicht für die Antike, für die ein fast durchgehender Mangel an Selbstzeugnissen hinzukommt, durch den mögliche Korrektive für die nachträglichen Sinnstiftungen fehlen. Das gilt auch für Hannibal. So viel auch über ihn geschrieben wurde, so wenig Spuren hat doch seine eigene Sicht hinterlassen. Das macht gerade die oft so plausibel erscheinenden biographischen Kausalitäten fraglich. Dafür ein Beispiel: Mitunter wird Hannibals Hass auf die Römer mit seinen Erfahrungen im Kindesalter erklärt, als er miterleben musste, wie die Römer den Karthagern im Anschluss an den Ersten Punischen Krieg erst Sizilien und dann Sardinien entrissen - auf diplomatisch wie moralisch fragwürdige Weise. Dieser Zusammenhang zwischen den Erfahrungen als Kind und dem Verhalten als Erwachsener scheint auf den ersten Blick zwar völlig überzeugend, lässt sich aber eben nicht belegen, zumal schon die Prämisse von Hannibals überbordendem Römerhass auf einer nachträglichen biographischen Deutung fußt.
Wenn nun aber alles, was wir über Hannibal zu wissen meinen, bereits einmal durch die Vermittlung (mindestens) eines späteren Autors gegangen ist, der zwischen uns und Hannibal tritt, ist letztlich niemals ein historischer Hannibal greifbar, sondern immer nur ein historiographischer. Greifbar sind in den Quellen Hannibal-Bilder, die zwar teilweise abbilden mögen, wie sich der Karthager selbst sah, die ihren Hannibal aber genauso gut losgelöst von seiner Selbstsicht (oder sogar von historischen Fakten) konstruieren können. Einer objektiven Dokumentation fühlen sich die antiken Quellen ohnehin nicht verpflichtet, zumal sie meist aus römischer Perspektive auf Hannibal blicken. Der Sieger schreibt die Geschichte. Und in dieser Geschichte spielte das Ringen mit Hannibal schon bald nach dem Ende des Zweiten Punischen Krieges eine wichtige Rolle. In gewisser Weise war sogar die Entstehung der römischen Historiographie an sich eine Reaktion auf Hannibal: Fabius Pictor (ca. 254-?201 v. Chr.), der erste römische Historiker, war Teilnehmer am besagten Krieg. Die gewaltigen Anstrengungen, die Rom hatte unternehmen müssen, um die Bedrohung durch Karthago abzuwehren, hatten in der Bürgerschaft Roms das Bedürfnis geweckt, sich über den eigenen Platz in der Geschichte und über die gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Selbstbehauptung zu vergewissern. Dieser Aufgabe hatte sich Fabius Pictor angenommen.
Pictors Werk ist verloren, genauso wie die meisten frühen römischen Geschichtswerke, sodass sich nichts ganz Genaues über die Darstellung Hannibals sagen lässt. Die lateinische Tradition wurde zu Beginn des ersten nachchristlichen Jahrhunderts aber von Titus Livius (59 v. Chr.-17 n. Chr.) gebündelt, der eine ausführliche Charakterisierung von Hannibal liefert. Der Karthager wird hier zwar für seine Fähigkeiten als General und Soldat gelobt, seinen Vorzügen werden aber beträchtliche Laster gegenübergestellt: «Unmenschliche Grausamkeit, eine mehr als punische Treulosigkeit. Nichts galt ihm Wahrheit, nichts war ihm heilig. Gottesfurcht kannte er nicht, ein Eid war ihm bedeutungslos, und er empfand keine religiöse Bindung» (Livius XXI 4,9). Was diese Vorwürfe über den eigentlichen Hannibal sagen, sei dahingestellt; sie sagen in erster Linie etwas über einen römisch gedeuteten Hannibal und weisen, quasi gespiegelt, darauf hin, wie die Römer sich selbst sahen. Im Gegensatz zu Hannibal waren sie tugendhaft, redlich und vor allem fromm. Das waren die Qualitäten, auf deren Grundlage sich Rom vom mittelitalischen Stadtstaat zum weltumspannenden Imperium Romanum aufgeschwungen hatte, das zu Livius' Zeit in voller Blüte stand und das Livius historisch zu fundieren suchte.
In einer solchen Perspektive, und mit dem Abstand von gut 200 Jahren, kam den Kriegen Roms gegen Karthago keine unmittelbare Aktualität mehr zu. Sie waren Etappen auf dem Weg zur letztlichen Reichsbildung (wichtige Etappen, daran bestand selbstverständlich kein Zweifel) sowie Ausweis der von Livius so hochgeschätzten römischen Qualitäten. Um eine generelle Invektive gegen Hannibal ging es Livius vor diesem Hintergrund kaum mehr, und...
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