II: Was mir ist
27. Sehe ich in meiner Suche nach einem widerspruchsfreien metaphysischen Fundament für mich in meiner Selbstgewissheit also zunächst davon ab, zu existieren, in der Welt zu existieren, als ein Existierendes unter vielen anderen und anderem Existierenden, weil und solange ich nicht sicher weiß, was "existieren" eigentlich heißt. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich nunmehr nicht existiere, das wäre ja unsinnig, sondern nur, dass ich ohne einen Existenzbegriff eben keinerlei Existenzaussagen treffen kann, auch nicht für mich selbst, weder bejahend noch verneinend. Sobald ein solcher Begriff gefunden ist, sollte ich wieder in der Lage sein, meinem doch sicherlichen Existieren in der Welt einen entsprechenden Ausdruck zu geben, aber in einer die bisherigen Probleme vermeidenden neuen Weise. Soweit der allgemeine Plan.
28. Da nun aber eine wie auch immer empirisch-logische Bestimmung von "Existieren" grundsätzlich zum Scheitern verurteilt ist, wie ich ja feststellen musste, und sich mein bisheriges intuitives Verständnis davon in Widersprüche verwickelt, führt dies gleich zur Frage: wenn nicht so, wie denn dann sonst? Sind nicht Erfahrung, Logik und Intuition die drei Wege überhaupt, auf denen ich berechtigterweise Erkenntnis über irgendetwas beanspruchen darf? Wie umfangreich und raffiniert ich in meinem Neuanfang auch argumentiere, egal was ich alles bislang Unversuchtes probiere, auf was auch immer ich hier hoffen mag, müssen doch alle so erzielbaren Erkenntnisse grundsätzlich als auf diesen drei Wegen erzielt verstanden werden, welche für die Bestimmung von "Existieren" wie gesehen aber eben ungeeignet sind.
29. Glücklicherweise gibt es jedoch ein kleines erkenntnistheoretisches Schlupfloch bei diesem Problem. Denn weil eben "Existieren" ja empirisch-logisch nicht bestimmbar ist und gleichwohl sich mein bisheriges intuitives Existenzverständnis als ungeeignet erwies, lässt sich bei genauerer Betrachtung nämlich gar nicht grundsätzlich ausschließen, dass mir ein bestimmtes Verständnis von "Existieren", in einer anderen als der bisherigen Art und Weise intuitiv gewiss sein könnte, ohne dass ich mich dafür auf eine empirische oder logische Begründung berufen müsste, und egal, ob diese der bisherigen intuitiven Begründung scheinbar zuwiderläuft oder nicht.
30. Eine solche Gewissheit, nicht nur eine, die mir neben einer empirisch-logischen Gewissheit auch intuitiv eine solche ist, sondern eine Gewissheit, die mir allein intuitiv schon eine solche ist und sein darf, würde der Behauptung, eine Existenzbestimmung sei empirisch-logisch unmöglich, nicht widersprechen, sondern diese schlichtweg unterlaufen. So wie ich etwa meiner selbst intuitiv immer zweifellos gewiss sein kann, egal ob empirisch-logisch überhaupt etwas dafür spricht oder sogar ausdrücklich dagegen sprechen würde. Und dieser gesuchten anderen als der bisherigen Intuition würde die bisherige Intuition dabei gar nicht, diese empirisch-logisch ausschließend entgegenstehen, da Intuitionen als solche ja eben gar nicht empirisch-logisch begründet sein müssen.
31. Dass ein solcher Erkenntnisweg nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, heißt natürlich nicht, dass dieser auch erfolgreich beschritten werden könnte, dass da bestimmt irgendwo ein Existenzbegriff noch unerkannt verborgen gewissermaßen herumliegt und von mir nur noch irgendwie aufgefunden werden muss, oder so. Auch meine Intuition könnte an dieser Frage endgültig scheitern, beziehungsweise niemals zu einer definitiven Antwort kommen, wobei ich mir nie darüber sicher sein könnte, ob sich nicht vielleicht doch eine finden ließe, sondern dies nur im Erfolgsfall eindeutig wäre, also wenn sich damit die aufgezeigten Probleme lösen ließen. Nicht zuletzt ist ein systematisches Suchen, gar Auffinden eines solchen letztlich allein intuitiv begründeten Existenzbegriffs, jenseits von Erfahrung und Logik, offensichtlich stark erschwert. Wie suche ich nach etwas, wenn ich gar nicht genau anzugeben weiß, wonach ich überhaupt suche?
32. Nun weiß ich aber ja immerhin, welches Problem ich hier lösen will. Habe ich doch triftige Gründe, mein bisheriges Existenzverständnis in Frage zu stellen. Zuvorderst mein problematisches Verhältnis gegenüber allem anderen, als eines von allem, in der Welt, welches im Beschränkungsdilemma seinen offenbarsten Ausdruck findet, da ich einerseits in der Welt beschränkt bin, dies andererseits aber nur unbeschränkt in der Welt zu erkennen vermag. Mein bisheriges Existenzverständnis hatte die Funktion, das ich-Welt-Verhältnis überhaupt zu fundieren und konsistent zu gestalten, kann diese Aufgabe bei genauerer Prüfung aber nicht richtig erfüllen.
33. Es liegt also nahe, diesem besonderen ich-Welt-Verhältnis eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken, und im Versuch, dieses in nunmehr konsistenter Weise neu zu bestimmen, darauf zu setzen, neben allen empirisch-logischen Argumenten, über diese hinaus, ein intuitives Existenzverständnis, eben intuitiv zu gewinnen, aus allem Empirisch-Logischen heraus, wenngleich gerade nicht als solches, gewissermaßen irgendwie aufleuchten zu sehen, ohne an dieser Erkenntnis noch zweifeln zu können, ja zweifeln zu wollen, wenigstens mit einer solchen Gewissheit, dass es mir schwerer fällt, sie zurückzuweisen, denn ihr zuzustimmen. Oder aber, dies nicht vermögend, im Weiteren ohne einen klaren Existenzbegriff zu verfahren. Was auch immer daraus dann folgen würde.
34. Wie fange ich aber nun an, mein Verhältnis zur Welt, also zu wie auch immer allem, noch über mich in meiner Selbstgewissheit hinaus und wohl auch zu mir selbst, völlig neu zu bestimmen, wenn ich in meinem Erkennen, um die alten Fehler von vornherein zu vermeiden, abgesehen von meiner Selbstgewissheit, von allen anderen bisherigen vermeintlichen Gewissheiten absehen wollte? Kann das überhaupt irgendwie gehen, hinsichtlich der aufzufindenden Erkenntnisgewissheit völlig voraussetzungslos anzufangen und daraus fundierte Erkenntnisse abzuleiten? Kann ich nur aus meiner unbezweifelten Selbstgewissheit heraus solche Erkenntnisse ableiten, ohne erneut in die alten und fehlerhaften Muster zu verfallen?
35. Aber inwiefern denn eigentlich allein? Ich verzichte für den Neuanfang im Erkennen ja lediglich darauf, über meine Selbstgewissheit hinaus, noch andere Gewissheiten vorauszusetzen, insbesondere was "Existieren" heißt, nicht darauf, irgendetwas irgendwie überhaupt gewahr werden zu können, beziehungsweise solches wie auch immer miteinander verknüpfen zu können, nicht darauf, überhaupt Erfahrung und Logik für eine Neubestimmung dazu erforderlicher Begrifflichkeiten nutzen zu können. Und natürlich sowieso nicht darauf, meine ja grundsätzlich argumentationsresistente Intuition, wenn ich sie denn gegebenenfalls habe, dafür zu verwenden. Wie sollte ich darauf auch verzichten können, nicht nur für entsprechende Begriffsbestimmungen im engeren Sinne, sondern überhaupt, da ich doch nur auf diese Weise, eben überhaupt, etwa diese Untersuchung zu führen imstande bin? Oder könnte und müsste ich dem entgegen, und zwar nicht nur im Gedankenexperiment, sondern tatsächlich, erkenntnisanfänglich sogar davon absehen, überhaupt erst zu erfahren, um darüber zu befinden, und müsste eigentlich auch für mein Erfahren schon erst noch einen Anfang finden?
36. Nein, das kann ich nicht und muss ich so auch nicht. Dass ich etwa überhaupt irgendetwas irgendwie erfahren kann, will ich nicht bezweifeln, und dass ich damit ein gewisses, wenngleich zunächst nur diffuses Vorverständnis von "Erfahren" bereits besitze, einfach, indem ich bereits erfahre, auch ohne dafür schon eine Definition von "Erfahren" angeben zu müssen. Dass ich tatsächlich offensichtlich immer schon erfahre, enthebt mich davon, dafür erst ein Erfahren überhaupt bestimmen zu müssen! In einem solchen minimalen, vordefinitorischen Erfahrungsverständnis ist jedoch nicht festgelegt und nicht festlegbar, was ich überhaupt erfahre und wie ich überhaupt erfahre, gleichwohl dass ich überhaupt schon erfahre, damit in nur einfachster Weise verstanden, irgendwie irgendwas, Vielerlei, also vielerlei Verschiedenes, formal gesprochen, lediglich eine bloße "Vielheit von Verschiedenem", erfahre, und zwar darin ich eine solche Vielheit von Verschiedenem unterscheide. Wie könnte dem nicht so sein?
37. Noch einmal etwas ausführlicher: Um mein offensichtliches Erfahren überhaupt, zugleich als den erkenntnistheoretischen Anfang überhaupt gelten zu lassen, muss ich natürlich angeben, was unter solchem "Erfahren" denn überhaupt zu verstehen ist. Wie kann ich dies aber nun überhaupt, wenn ich in meinem Untersuchen doch von allen alten Gewissheiten absehen wollte und damit ohne jeglichen festen Anhaltspunkt, eine sinnvolle Begriffsbestimmung wiederum scheitern muss? Einen solchen Anhaltspunkt zur Bestimmung von "Erfahren" kann ich, ohne auf alte Überzeugungen zurückgreifen zu müssen, aber nun der offenbaren Tatsache entnehmen, dass ich gewiss überhaupt erfahren kann und zwar, ohne dafür dieses "Erfahren" erst bestimmen zu müssen, weil nämlich die umgekehrte Behauptung, ich müsse erst "Erfahren" bestimmen, um zuvor überhaupt schon erfahren gekonnt zu haben, die zweifellos unsinnigere von beiden Möglichkeiten ist.
38. Daraus, dass ich nicht schon vor jedem Erfahren überhaupt "Erfahren" bestimmen kann, beziehungsweise daraus, dass ich schon vor jeder Bestimmung von "Erfahren", überhaupt Erfahren kann, folgt, in meinem...