Schweitzer Fachinformationen
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Einleitung
Ein bitteres, aber vertrautes Muster zieht sich durch alle Berichte aus dem Heiligen Land.
Palästinenser führen - in ihrer Verzweiflung über vereitelte nationalstaatliche Hoffnungen - Protest- und Boykottaktionen durch und greifen zu Sabotage und Gewalt. Um sie herum dehnen sich unaufhaltsam jüdische Siedlungen aus. Islamische Hardliner sabotieren Friedensgespräche und richten mutmaßliche Kollaborateure und Gemäßigte hin. Besatzungstruppen gehen aggressiv gegen Palästinenser vor, zerstören Häuser, errichten eine Grenzmauer und werden wegen Verstößen gegen die Menschenrechte kritisiert. Die Weltmacht mit dem größten Einfluss auf die Kriegsparteien legt einen Teilungsplan vor, auch wenn sie allem Anschein nach selbst an dessen Durchführbarkeit zweifelt. Die jüdische Bevölkerung ist gespalten: Eine Gruppe ist bereit, einen Teil des israelischen Staatsgebiets gegen Frieden aufzugeben; eine andere fordert das gesamte alte Erbe, wenn nötig mit Waffengewalt. Weiteres Blutvergießen scheint unvermeidlich.1
So könnten die aktuellen Nachrichten dieses Morgens lauten. Oder Schlagzeilen aus der Zweiten Intifada Anfang der 2000er Jahre, der früheren Ersten Intifada oder einer beliebigen Zahl von Zusammenstößen im Lauf eines Dreivierteljahrhunderts seit der Gründung des jüdischen Staates 1948.
Stattdessen geht es hier jedoch um eine ältere Geschichte: um Palästinas erste arabische Revolte, um einen dreijährigen Aufstand ein Jahrzehnt vor der Gründung Israels, der die Schablone für die seitherigen jüdisch-arabischen Zusammenstöße vorgab.
Damals verloren 500 Juden ihr Leben - eine Zahl ziviler Opfer, die erst im 21. Jahrhundert übertroffen werden sollte -, und Hunderte von britischen Militärs wurden getötet. Doch der Preis, den die Araber selbst zahlen mussten, war noch höher - und das nicht mit Blick auf die Opferzahlen.
Der Große Aufstand von 1936 bis 1939 war der Schmelztiegel, in dem die palästinensische Identität geschmiedet wurde. Er vereinte rivalisierende Familien, Stadt- und Dorfbewohner, Reiche und Arme in einem Kampf gegen einen gemeinsamen Feind: das jüdische nationale Projekt - den Zionismus - und dessen Geburtshelfer, das Britische Empire. Ein sechsmonatiger Generalstreik, einer der längsten der modernen Geschichte, rüttelte weltweit Araber und Muslime für das Problem Palästina auf.2
Doch der Aufstand sollte sich letztlich gegen sich selbst wenden. Interne Grabenkämpfe und Abrechnungen zerschlugen das soziale Gefüge der Araber, riefen Extremisten anstelle der Pragmatiker auf den Plan und trieben die erste Welle von Flüchtlingen aus dem Land. Britische Truppen erledigten den Rest, indem sie Waffen beschlagnahmten, Städte besetzten und den Aufstand in einer Art und Weise bekämpften, die Tausende von Todesopfern und Zehntausende an Verwundeten forderte. Die Kampffähigkeit des arabischen Palästina wurde geschwächt, die Wirtschaft ausgenommen, die politischen Führer verbannt.
Der Aufstand, der die zionistische Bewegung ausschalten sollte, hatte stattdessen die Araber selbst zerschlagen, sodass sie ein Jahrzehnt später angesichts des eigenen Drangs der Juden nach Staatlichkeit noch immer gelähmt waren. So nah sollten die Palästinenser nie wieder dem Sieg kommen; und von diesem Rückschlag haben sie sich nie ganz erholt.3
Die Juden nahmen hingegen ein ganz anderes Erbe aus dem Aufstand mit. In ebendiesem Moment fingen die Führer der Zionisten an, ihre Illusionen bezüglich des arabischen Einverständnisses abzulegen und sich der beunruhigenden Aussicht zu stellen, dass die Erfüllung ihrer Träume von Souveränität unter Umständen bedeutet, das Schwert nicht mehr aus der Hand zu legen.4 Tausende von Juden wurden im Zuge des Aufstands von Großbritannien, damals die größte Militärmacht der Welt, ausgebildet und bewaffnet, sodass aus ihren amateurhaften Schutztrupps der Keim einer eindrucksvollen jüdischen Armee wurde, samt Spezialtruppen und Offizierskorps.
Aber noch während dieses Aufstands kamen manche Juden - in Anbetracht des Faschismus in Europa und des Massakers in Palästina - zu dem Schluss, dass eine rein passive Verteidigung nationaler Selbstmord wäre. Jüdischer Terror betrat damals ebenfalls zum ersten Mal die Weltbühne.
Folglich ist das vorliegende Buch eine Geschichte zweier Nationalbewegungen und des ersten großen Zusammenstoßes zwischen ihnen. Der Aufstand ging von den Arabern aus, doch die zionistische Bekämpfung des Aufstands - die militärische, ökonomische und psychische Veränderung der Juden - ist ein entscheidendes, bislang übergangenes Element in der Chronik der Ereignisse, wie aus Palästina Israel wurde.
Denn schon damals - nicht erst im Jahr 1948 - konsolidierten die Juden in Palästina die demografische, geografische und politische Basis ihres künftigen Staates. Und damals tauchten auch unheilschwangere Wörter wie »Teilung« und »jüdischer Staat« zum ersten Mal auf der internationalen diplomatischen Agenda auf.
Aber letztlich überzeugte der Aufstand auch Großbritannien, dass sein zwei Jahrzehnte dauerndes zionistisches Experiment eine zu große Belastung war - mit Blick auf den Blutzoll, die Kosten und das Wohlwollen großer Teile des eigenen Empires. Als ein Krieg gegen Hitler drohte, beschloss die Regierung Chamberlain, es sei höchste Zeit, die Tore Palästinas - praktisch die einzigen, die den Juden noch offen standen - zu schließen. Kaum eine Entscheidung des 20. Jahrhunderts sollte so tiefgreifende Nachwirkungen haben.
Man sollte meinen, dass Ereignisse von so großer Bedeutung bereits ausgiebig untersucht wurden. Immerhin wurde über keinen der anhaltenden Konflikte der Welt mehr geschrieben, den allumfassenden Namen »Der Nahostkonflikt« verdient er zu Recht. Und doch stößt, wer immer Näheres darüber erfahren möchte, auf einen weißen Fleck: wenige Seiten oder allenfalls ein Kapitel in den allgemeineren Geschichten dieses Landes.5 Bemerkenswerterweise liegt bislang keine einzige populärwissenschaftliche Darstellung dieses prägenden, aber vergessenen Aufstands vor.
Die wenigen Bücher, die sich mit dem Thema befassen, richten sich an die akademische Welt; die erste Studie auf Englisch wurde erst Mitte der 1990er Jahre veröffentlicht. Der Autor Ted Swedenburg schrieb, er sei verblüfft gewesen über den »Mangel an Informationen über diesen bedeutenden Aufstand«, der »von der israelischen und westlichen Historiographie entweder ignoriert oder verunglimpft« wurde, wie er feststellen musste.6
Auf Hebräisch liegt bis heute ebenfalls nur eine umfassende akademische Studie vor.7 Diese Lücke mag durchaus verständlich sein: denn Verfechter des Zionismus haben die Episode immer als einen Kampf um Selbstbestimmung angesehen, nicht als deren Verweigerung für andere. Die herkömmlichen israelischen Nationalgeschichten schreiten stetig fort von den ersten Einwanderungswellen und der Balfour-Deklaration über den Aufbau der Nation in den 1920er und 1930er Jahren, über den Todeskampf des Holocaust bis schließlich zur Erlösung mit der Staatsgründung. Ein massiver, konzertierter Aufstand gegen dieses voranschreitende Narrativ erscheint als störender Makel in diesem erzählerischen Bogen.
Das fast vollständige Fehlen arabischer Publikationen wiederum hat andere Gründe. Mustafa Kabha, ein Historiker an Israels Open University, klagt, dass der Aufstand im palästinensischen kollektiven Gedächtnis an den Rand gedrängt, ja sogar zum Schweigen gebracht worden sei, »ganz überschattet von der Erinnerung an die Nakba (>Katastrophe<) von 1947/48«. Es scheint natürlich, beobachtet er, »sich mit der Nakba zu befassen, schon aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe und der Tatsache, dass ein Großteil der Schuld auf externe Faktoren zurückgeführt werden kann: die Zionisten, die arabischen Staaten, die Briten und andere Akteure. Sich mit der Zeit 1936-1939 auseinanderzusetzen erfordert ein viel stärkeres In-sich-Gehen.«8
In Anbetracht dieses offensichtlichen Defizits machte ich mich an die Arbeit, überzeugt, dass ich eine noch unentdeckte Lücke...
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