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Ich möchte die Aussichten einer bestimmten Art der Theorie der praktischen Vernunft und der Ethik im Allgemeinen erwägen - nämlich eines normativen »Naturalismus«, eines Naturalismus der ersten Natur, einer Doktrin, wie wir sagen könnten, der praktischen Güte als natürlicher Güte. Eine solche Doktrin werde ich manchmal schlicht als »praktischen Naturalismus« bezeichnen, aber wir könnten sie auch »naiven Aristotelismus« nennen. Ich sage, dass sie ein naiver Aristotelismus ist, da sie dem anspruchsvollen Naturalismus der »zweiten Natur« entgegengesetzt ist, der gelegentlich von John McDowell vorgetragen wurde; sie ist ein Aristotelismus, weil sie, so scheint es, von Aristoteles in ihrer Naivität akzeptiert wurde. Ich weiß nicht, ob irgendeine Theorie dieser Art wahr ist, doch ich möchte herausfinden, ob sie wahr sein könnte. In den folgenden Bemerkungen werde ich versuchen, der Formulierung eines solchen Ansatzes den Boden zu bereiten, hauptsächlich indem ich Voraussetzungen expliziere, die ihr im Wege stehen.
Ich werde im Folgenden eine Reihe von Definitionen oder Charakterisierungen dieser Art des praktischen Naturalismus geben, die meines Erachtens äquivalent sind. Doch wir können vorläufig festhalten, dass einer solchen Konzeption zufolge der Begriff Mensch der zentrale Begriff der von uns entwickelten praktischen Philosophie ist. Hierbei ist es entscheidend, dass das Wort »Mensch« in einer bestimmten Hinsicht auf derselben Ebene mit Wörtern wie »Wanderratte« und »Küstenmammutbaum« angesiedelt ist und dass sich der Begriff eines Menschen von gleichartigen imaginären Begriffen wie denen eines Marsianers oder sonstiger außerirdischer denkender Tiere, die in Science-Fiction-Romanen und in der Philosophie auftauchen, unterscheidet. Es bringt etwas zum Ausdruck, für das zwei Arme, zwei Beine und eine bestimmte Art von Nervensystem charakteristisch sind. Vom Wort »Mensch« kann man sagen, dass es eine spezifische Natur materieller Einzeldinge ausdrückt, die vor vielen Jahrzehntausenden durch einen Prozess der darwinistischen Evolution entstanden ist. Ein bestimmter Begriff, der des 30Menschen, dem man all jene Prädikate beifügen kann, ist in dem praktisch naturalistischen Ansatz, den ich hier erwäge, zugleich der zentrale Begriff der praktischen Philosophie.
Folglich nimmt in einem praktischen Naturalismus der Begriff dessen, was spezifisch menschlich ist, dieselbe Position ein, die der Begriff eines Vernunftwesens oder einer »Person« in Kants System einnimmt. Die Begriffe einer Person oder eines Vernunftwesens würden, so wie Kant sie versteht, nicht nur dich und mich, sondern auch Marsianer und sogar Engel abdecken. Wo Kant von einer Konzeption der praktischen Vernunft im Allgemeinen oder der reinen praktischen Vernunft Gebrauch macht, deren Gehalt für alle praktisch denkenden Wesen gleich ist, und wo er vom Willen im Allgemeinen spricht, macht der naive Aristoteliker stattdessen von der Konzeption eines spezifisch menschlichen Vermögens der praktischen Vernunft und des spezifisch menschlichen Willens Gebrauch.
Ein naiver Aristotelismus oder praktischer Naturalismus wurde jüngst von Philippa Foot in ihrem Buch Die Natur des Guten vorgebracht.[1] Ich denke, dass eine solche Theorie auch von Karl Marx vertreten wurde. Doch hat er sie nie deutlich ausbuchstabiert, da ihn seine besonderen Obsessionen in eine andere Richtung geführt haben. Diese Behauptung über Marx betrifft höchst strittige Interpretationsfragen. Deswegen werde ich, obwohl ich den jungen Marx noch erwähnen werde, hauptsächlich Foots Die Natur des Guten zur Illustration der Sichtweise, die ich zu ermöglichen beabsichtige, heranziehen. (Ich erwähne Foot und Marx als die philosophisch anspruchsvollen Vertreter einer solchen Sichtweise; es gibt andere, die weniger anspruchsvoll sind.)
Die Schwierigkeit besteht darin, dass Foot nicht klargestellt zu haben scheint, dass die Kritik, die unter anderen John McDowell vorgebracht hat, sowie eine Reihe anderer Einwände, die unmittelbar dem gegenwärtigen Gedankenumfeld entspringen, ihre Theorie nicht treffen. Der Kern all jener Einwände besteht grob gesagt darin, dass jeder derartige Naturalismus eine Art des reduktiven Empirismus, vielleicht gepaart mit einem alarmierenden und idiotischen moralischen Konservativismus, zum Ausdruck bringt. Foot hat meines Erachtens nicht genügend Arbeit geleistet, um die ex31treme Entfremdung der gegenwärtigen Menschen von dem, was im Begriff Mensch ausgedrückt wird, zu überwinden.
Wir sollten uns daran erinnern, dass McDowell, indem er seinen Naturalismus ausformuliert, vorschlägt, dass wir nur dann unseren Weg zu einem zufriedenstellenden Naturalismus in der praktischen Philosophie finden können, wenn wir zuerst »eine allzu enge Vorstellung« bekämpfen, »die man sich leicht vom Begriff der Natur macht«.[2]
McDowells Bemerkung über eine >Verengung< ist tatsächlich der Anfang aller diesbezüglichen Weisheit; die gegenwärtige Allergie gegen meines Erachtens authentisch aristotelische Ideen entspringt, so denke ich, einer falschen und beschränkten Konzeption der Natur oder der Natur einer Sache. Die Schwierigkeit besteht McDowell zufolge darin, dass eine Natur gemäß dem landläufigen Begriff der Natur nichts sein kann, was ein Ding durch Lernen oder Gewöhnung erhält oder vollständig erhält. Nur wenn wir realisieren, so denkt er, dass manche Naturen sogenannte zweite Naturen sind, können wir sehen, dass ihre volle Instanziierung eine Sache der Gewöhnung, des Lernens, des Erwerbs ist. Und nur wenn wir eine Konzeption der Natur wiedererlangen, die zweite Naturen einschließt, können wir dem Begriff der Natur einen angemessenen Ort in der Philosophie des Praktischen zuweisen. Aber ein Studium des Textes wird zeigen, dass, grob gesprochen, McDowells zweite Naturen im Grunde genommen Praktiken sind, die Individuen erwerben;[3] sie sind, wie er sagt, Kulturen oder Bildungen oder Teile davon - jedoch als etwas, das von individuellen Subjekten internalisiert ist und deren Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle konfiguriert. Es ist völlig in Ordnung, eine solche Sache Natur zu nennen. Aber die Art von Natur, um die es dabei geht, ist nicht von der Art, die durch das Wort »Mensch« ausgedrückt wird; diese Natur tut McDowell, so denke ich, als bloße erste Natur ab. Sie ist etwas, dessen Besitz den Besitz von Natur in dem von seinem praktischen Naturalismus verwendeten Sinn vielleicht ermöglicht, nämlich zweite Natur, aber sie ist nicht diese Natur.
Ich möchte nicht so tun, als würde ich McDowells Gedanken zu diesem Thema richtig verstehen, doch ich bin überzeugt, wir 32können seine eigene Formel gegen das wenden, was er der natürlichsten Lesart zufolge zu sagen scheint. McDowell spricht von einer Verengung, die dem Begriff der Natur in unserem Denken widerfährt, und schlägt vor, uns von ihr zu befreien. Aber vielleicht können wir von einer gewissen Verengung sprechen, die der Begriff der ersten Natur in McDowells Denken erfahren hat, und unsererseits vorschlagen, ihn davon zu befreien. Er konstruiert, wie wir sagen könnten, den Begriff der ersten Natur genauso, wie sein Gegner es tun würde. McDowell ist nicht bereit, seinem Gegner die Begriffe der »Natur« und des »Naturalismus« zu »überlassen« und in der Folge in der praktischen Philosophie auf sie zu verzichten. Aber es scheint, dass er seinem Gegner den Begriff der ersten Natur »überlässt«. Dies erklärt, dass die Bedeutung des Begriffs Mensch in seiner Theorie heruntergespielt wird, sowie die Tendenz, die zumindest ich in ihr finde, den Begriff Mensch zu einer Infrastruktur oder Basis für einen Überbau der zweiten Natur zu machen, die das eigentlich Interessante für die praktische Philosophie ist.
Die Begriffe von zweiter Natur, Praxis, Kultur, Gewöhnung usw. sind natürlich von entscheidender Wichtigkeit in der praktischen Philosophie; Schwierigkeiten habe ich mit der Rolle, die der Begriff der ersten Natur in seinem Ansatz einnimmt. Wir müssen zwar in irgendeiner Weise eine formale Unterscheidung machen, wie McDowell sie durch die Termini »erste vs. zweite Natur« ausdrückt. Aber wir müssen auch eine gewisse formale Unterscheidung innerhalb der ersten Naturen treffen. Der Bruch mit dürftigen vulgären Naturalismen wird noch nicht, oder noch nicht allein, durch eine Ausweitung des Begriffs einer Natur vollzogen, so dass er neben der Anerkennung erster Naturen auch diejenige zweiter Naturen erlaubt; er muss einhergehen mit einer Ausweitung des Begriffs einer ersten Natur, die es erlaubt, all jenes abzudecken, das wirklich in einem Begriff wie Mensch enthalten ist.
Mir scheint, dass die Hauptschwierigkeiten, die uns davon abhalten, einen naiven Aristotelismus oder einen praktischen Naturalismus oder eine Theorie der natürlichen Güte oder wie auch immer man es nennen mag, zu akzeptieren, hauptsächlich der moralischen 33Erkenntnistheorie oder allgemeiner der praktischen Erkenntnistheorie entspringen. Alle sind sich einig, dass das, was durch den Begriff Mensch ausgedrückt wird, stellt man ihn mit Wanderratte, Sagopalme und Marsianer in eine Reihe, die falsche Beziehung zu unserem Wissen hat, um für die grundlegende ethische Theorie oder die Philosophie des Praktischen relevant zu sein. Es muss sich dabei, so scheint es, um etwas handeln, das fremd und außerhalb und extern ist,...
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