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Von Andreas Kaplony
Die vorliegende neue «Geschichte der arabischen Welt» knüpft an das Standardwerk gleichen Titels an, das Ulrich Haarmann 1987, vor bald vierzig Jahren, im selben Verlag herausgebracht hat. Heinz Halm hat das Handbuch als Herausgeber der vierten Auflage von 2001 - kurz vor den Anschlägen des elften September - und der fünften Auflage von 2004 weitergeführt und aktualisiert. Doch schon er musste feststellen, dass angesichts der rasanten weltpolitischen Veränderungen und ganz neuer Forschungsperspektiven, die damit einhergingen, eine Aktualisierung nur ein Notbehelf sein konnte. So kam der Verlag mit der Bitte auf mich zu, das Werk neu zu konzipieren und herauszugeben.
«Der Orient» ist im öffentlichen Diskurs Westeuropas in den letzten zwei Jahrzehnten noch stärker zur Projektionsfläche geworden. Wer von «dem Orient», «der islamischen Welt» oder «der arabischen Welt» spricht, denkt meist entweder an autoritäre, gewalttätige und enthemmte Verhältnisse oder an ein «schönes», in sich ruhendes, zeitloses und religiös weises «Morgenland». Aber ob nun schön oder schrecklich, in jedem Fall gilt «der Orient» als rückständig und dient als Kontrastfolie, um sich eines selbstbestimmten, friedliebenden und kontrollierten - und gleichzeitig fremdbestimmten, getriebenen und unendlich banalen - Lebens in Westeuropa zu versichern. Diese orientalistischen Projektionen sagen viel über die Ängste und Wünsche in Westeuropa aus, doch nichts über die islamische und arabische Welt. Diesen Projektionen will der vorliegende Band ein auf den Quellen basierendes und in der akademischen Diskussion erprobtes Wissen entgegensetzen.
Der Ausdruck «arabische Welt» bezeichnet drei konzentrische Kreise. Im engeren Sinne meint er Arabien (die Arabische Halbinsel) mit den Araberinnen und Arabern, im weiteren Sinne alle arabisch(sprachig)en Länder, also neben der Arabischen Halbinsel auch die arabisierten Regionen in Nordafrika, Ägypten, Syrien-Palästina, dem Irak und dem Jemen mit ihren älteren Kulturtraditionen. Im weitesten Sinne zählen wir zur arabischen Welt alle Regionen der vom Islam geprägten Welt und deren Nachbargebiete, die von der arabischen Sprache und Schrift geprägt sind, auch wenn in ihnen nicht Arabisch gesprochen wird. Diese vom Islam geprägte Welt umfasst dabei selbstverständlich auch alle nicht-islamischen Gemeinschaften, nicht nur Christen, Juden und Zoroasthrier, sondern beispielsweise auch Jesiden, Bahais und Atheisten. Daher ist der deutsche Begriff islamische Welt letztlich unglücklich und wird zunehmend durch das englische Kunstwort Islamicate World ersetzt.
Die Vormoderne räumte dem ersten Kreis, der Arabischen Halbinsel, wegen seiner Vertrautheit mit den Anfängen des Islam und der arabischen Sprache einen Ehrenvorrang ein, sah aber den dritten Kreis, die islamische Kulturgemeinschaft, als den wichtigsten Rahmen. Erst die Moderne hat mit dem arabischen Nationalismus auch dem zweiten Kreis seine Bedeutung gegeben, und heute machen mehr und mehr die einzelstaatlichen arabischen Nationalismen das Rennen. Im vorliegenden Band soll es um alle drei Kreise gehen.
Die eigentliche Klammer der arabischen Welt ist eine bestimmte Art und Weise, Herausforderungen in arabischer Sprache und Schrift auszuhandeln. Dazu einige wenige Beispiele. Im Alltag gehören dazu die höfischen Formen der Anrede, die häufige Verwendung von guten Wünschen und die Benennung sozialer Beziehungen mit Verwandtschaftsbezeichnungen. Im literarischen Betrieb umfasst dies u.a. die dauernde Bezugnahme auf zentrale Werke wie Koran und Bibel, Traditionen (?adi?e), Dichtung und Werke der antiken Philosophen und der großen Mystiker, die in Kommentaren und Superkommentaren immer weiter geschrieben werden. Eigentlich konstituiert sich «die arabische Welt» durch die Teilhabe an einem weiten, von Zeit, Ort und Gemeinschaft abhängigen Set von Verhaltensweisen in arabischer Sprache und Schrift: Wo man sich diesen Normen entsprechend verhält, da ist «die arabische Welt». In diese zutiefst höfische (nicht: religiöse!) Welt will das vorliegende Buch einen Einblick geben.
Die «Geschichte der arabischen Welt» geht konsequent davon aus, dass wir die Vergangenheit und Gegenwart der arabischen Welt am besten als eine Vielzahl miteinander verbundener, in longues durées untergliederter Regionalgeschichten verstehen.
Dabei unterscheiden wir bei den arabischsprachigen Länder die folgenden großen Regionen: (1) die Arabische Halbinsel (mit dem Jemen),[1] (2) Syrien-Palästina, (3) den Irak, (4) Ägypten und (5) Nordafrika (mit Spanien). Hier herrscht etwa seit dem Jahr 800 überall die arabische Schrift vor, spätestens seit etwa dem Jahr 1200 spricht die Bevölkerung aller fünf Regionen überwiegend arabisch, und heute hat jede dieser Regionen einen distinkten arabischen Dialekt. Mit dem Erstarken der modernen Staaten gewannen die staatlichen Grenzen immer mehr an Gewicht, aber noch heute sind die Beziehungen innerhalb jeder Region, unabhängig von Staatsgrenzen, besonders eng.
Zu diesen großen Regionen kommen zwei weitere hinzu, in denen die arabische Sprache und Schrift etwa seit dem Jahr 800 ebenfalls eine wichtige Rolle spielt und die Bevölkerung über sie Anteil an der islamischen Kulturgemeinschaft hat: (6) Iran, Zentralasien und Indien[2] sowie (7) West- und Ostafrika. Schließlich konnte bzw. kann man auch außerhalb der islamischen Welt, in (8) Byzanz und (9) Westeuropa, viel später auch in (10) Nord- und Südamerika, überraschend häufig (echte und nachgemachte) arabische Schrift sehen und arabische Lehnwörter hören. Aktiv und passiv nahmen auch diese Regionen Anteil an der arabischen Welt.
Diese zehn Regionalgeschichten wurden für dieses Buch in fünf große Zeiträume eingeteilt: (A) das antike und spätantike Arabien bis und mit der Zeit Mu?ammads (bis ca. 632), (B) das spätantike arabisch-islamische Reich bis zum Bürgerkrieg zwischen den Abbasiden al-Amin und al-Ma?mun (809-813), (C) die Periode einer fortschreitenden Arabisierung und Islamisierung der immer mehr vom Islam geprägten Welt bis zu den Verwüstungen der Banu Hilal und der Banu Sulaym im Maghreb (um 1050) bzw. der Mongolen im Osten (um 1250), (D) die Vormoderne bis zur Besatzung durch die europäischen Staaten (um 1800) und (E) die Zeit bis zur Gegenwart, in der die arabische Welt ihren Platz in den großen globalen Diskursen sucht.
Insgesamt ergeben sich so etwa vierzig Kapitel, denen zur Orientierung jeweils eine kurze Zeittafel vorangestellt ist. Im Anhang werden nach den Anmerkungen zentrale Quellen und die aktuelle Forschung zu den Kapiteln aufgeführt. Die Teile B bis E beginnen je mit einem einleitenden Überblickskapitel über die Periode. Abgeschlossen wird das Buch mit einer Schlussbetrachtung darüber, welchen Platz die arabische Welt in unserer globalen Welt heute einnimmt.
Eine Geschichte der arabischen Welt ist weniger eine Aufreihung von Heldentaten (latein. res gestae) oder Heldentagen (arab. ayyam) als vielmehr eine Darstellung dessen, was wir mithilfe der Fragestellungen unserer Zeit aus den Quellen von damals über die damaligen Diskurse und ihre Umstände herauslesen können. Dabei setzen die Autorinnen und Autoren der Beiträge unterschiedliche Akzente, die sich durchaus auch aus der jeweiligen Quellenlage und der vorhandenen Forschung ergeben. Für sie bestand die Herausforderung darin, aus inniger Vertrautheit mit den Quellen und der Forschung auf begrenztem Raum das ganz Eigene des gegebenen Raum-Zeit-Ausschnittes zu benennen, und dies so geschickt, dass sowohl die Fachleute als auch das breitere Publikum den Beitrag mit Gewinn lesen können und entlang den in den Anmerkungen und in der Bibliographie gegebenen Verweisen auf Quellen (und deren Übersetzungen) und die aktuelle Forschung gerne der einen oder ...
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