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WAS VOICE-OVER-REELS ÜBER DEN ZUSTAND VON INSTAGRAM AUSSAGEN
21.02.2024
Ist euch schon aufgefallen, wie sich die Lesegewohnheiten auf Instagram verändert haben? Während es früherT gereicht hat, ein paar emotionalisierende Worte unter ein Foto zu packen, müssen Captions heute videografisch begleitet und eingesprochen werden. Was bedeutet das für Creator - und Konsumenten? Eine Analyse.
Erstmal war da Resistenz
Ich muss zugeben: Ich habe mich lange gesträubt, mit der Zeit zu gehen. Bis 2024 habe ich irgendwie immer noch heimlich gehofft, dass es ausreicht, starke Quotes auf Kacheln zu packen und damit viral zu gehen. Turns out: Das ist jetzt schon etwas länger . nicht passiert.
Warum nicht? Weil sich die Nutzungs- und Lesegewohnheiten verändert haben. Menschen lesen ganz einfach nicht mehr wie 2017. Gerade auf Insta konsumieren wir vorwiegend Reels, weil die Entwickler hinter der App das so möchten. Und das hat zwangsläufig etwas mit den alten Content-Buckets in Form von Bild + Text gemacht.
Klar gibt es auch heute noch Captions, aber sie werden nicht mehr unter das Foto gepostet, sondern eingesprochen und mit Untertiteln auf ein Video gepackt. Dabei hilft zum Beispiel die App CapCut3, die automatisch Untertitel in verschiedenen Sprachen generiert (praktisch!) und Video-Cut für Laien und Anfänger möglich macht.
Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle natürlich das Thema Inklusion: Untertitel spielen eine ganz wesentliche Rolle dabei, gehörlose Menschen in die digitale Kommunikation und Interaktion auf Social Media Plattformen einzubinden. Sie ermöglichen es, Audioinhalte in geschriebener Form darzustellen, sodass auch Personen, die akustische Signale nicht wahrnehmen können, Videos, Podcasts und Live-Übertragungen vollständig erfassen können. Eine gute Sache!
Dennoch denke ich nicht, dass Voice-Over-Reels hauptsächlich deshalb existieren, weil Instagram so inklusiv sein möchte und die Creator ein besonderes Herz für gehörlose Menschen haben, wenn ich ehrlich bin. Oder, um meinen Kollegen Chris zu zitieren:
"Untertitel sind zu einer Ästhetik geworden."
Die Creator-Perspektive: Der Aufwand verdoppelt- und verdreifacht sich
Nur: Woher bekommt man das Video her? Ein Punkt, der mir als Creator sofort auffällt, ist: Möchte ich Voice-Over-Reels produzieren, wird es künftig zu meinem Alltag als Autorin dazugehören, mich und meine Umgebung ständig mitzufilmen.
Ich filme mich beim Kochen, ich filme mich beim Schreiben, ich filme mich - hoffentlich bald - auch mal beim Schminken oder Anziehen und verwerte so meine intimsten Momente zuhause als Unterlage für den Text, den ich geschrieben habe und jetzt: einsprechen muss.
Es sind mehr oder weniger immer dieselben Shots, die auf Insta funktionieren: Person + Action in der Wohnung = Unterlage. Alles, was es braucht, ist eine fancy Inneneinrichtung, eine fancy Garderobe (zum An- und Ausziehen) und den hemmungslosen Willen, sich selbst darzustellen.
Gut zu beobachten ist das bei populären Accounts wie @corneliagrimsmo4 oder @christinacaradona5. Sie vermitteln Inhalte, wie sie früher in Schriftform auf Blogs mit Fotos stattgefunden hätten, auf bewegte, sozusagen "moderne" Art. Cornelia Grimsmo schreibt, Entschuldigung, spricht mit rauchiger Stimme über ihr Leben als 30-something in Norwegen und hat eine Reihe gestartet, die den Namen Naive ideas I had in my 20ies trägt.
Wir sehen sie beim Wandern, Zelten, Brunchen oder Stadtspaziergang. Manchmal ist sie alleine in ihrer Wohnung und ästhetisiert ihr Leben wie eine typische Influencerin, nur eben mit etwas höherem sprachlichen Anspruch. Sie selbst beschreibt ihre Practice als: creating short films. Ich sehe: ein extrem privilegiertes Ex-Model, eine Ex-Influencerin, die sich jetzt als Künstlerin einen Namen machen möchte. Natürlich ist sie weiterhin wahnsinnig normschön, durchtrainiert und sieht auch mit Anfang 30 aus wie mit Anfang 20.
Christina Caradona wiederum ist irgendwann mal so etwas wie Mode-Influencerin gewesen, und zeigt ihren Followern, wie man sich boy-ish kleidet, ohne etwas von seiner Girlness zu verlieren. Manchmal steht sie rauchend in ihrer Küche und schreibt über Rache. Was soll ich sagen? Es macht definitiv Spaß, den beiden zuzusehen.
Trotzdem komme ich nicht darum herum, mich zu fragen: Was für ein Leben muss man führen, um diese Aesthetics hinzukriegen? Nicht jeder Content-Creator hat schicke Apartments around the globe und Freunde mit Villen in Mexiko.
Aber zurück zu meiner eigenen Erfahrung. Schließlich soll es irgendwann auch Spaß machen, MIR zuzusehen. Turns out: Es ist gar nicht so einfach, ein brauchbares Video von sich zu drehen.
Schönheitsideale reloaded - plötzlich ist da dieses Doppelkinn, das man auf den Fotos gar nicht bemerkte. Oh, und so sehe ich also aus, wenn ich im Bett liege? Nicht schrecklich, aber definitiv gewöhnungsbedürftig.
Außerdem sollen die Shots nicht ZU gestellt wirken, obwohl sie natürlich nur für den Zweck aufgenommen wurden, hinterher ein Voice-Over-Reel daraus zu machen. Gestern habe ich ganze drei Versuche gebraucht, um ein Video von mir im Bett zu drehen, bei dem ich so tue, als ob ich tippe. Denn wenn die Kamera läuft, bekomme ich eine Schreibblockade. Wirklich! Es ist fast wie Lampenfieber!
Sind die Videos fertig, müssen sie noch zusammengeschnitten werden. Cut ist eine eigene Kunst, wenn ihr mich fragt, und auch die richtige Geschwindigkeit muss noch gewählt werden. Double-Speed? Slo-Mo? Einfach so lassen? Alles eine Frage der Ästhetik, die ich erst noch finden muss. Danach geht es ans Textschreiben - und Texteinsprechen.
Da sitzt man also, um 11 Uhr abends, und versucht, deutlich ins Handy zu sprechen, um seinen Worten literally: Gehör zu verschaffen.
Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit
Meine Entscheidung, mehr auf Voice-Over-Reels zu setzen, ist natürlich eine strategische. Immerhin macht es schon ein bisschen Spaß und hat zumindest manchmal einen Hauch von Multimedia-Art oder Video Prose. Es ist befriedigend, auch mit 32 mit der Zeit zu gehen und sich nicht komplett von den jungen Kids "abgehängt" zu fühlen. Auch, wenn meine Voice-Over-Reels sicherlich nicht perfekt ausgeleuchtet, geschnitten und vertont sind.
Sie sind: die moderne Möglichkeit, seine Texte einem größeren Publikum zugänglich zu machen und damit auch mal wieder auf Instagram zu wachsen. Damit gehören sie zum Marketing-Mix für mich neben Newsletter und Story-Posts dazu.
Diskurs: Müssen wir mit Video lesen?
Es gibt ja dieses Klischee, dass Gen Z nur noch zuhören kann, wenn nebenher noch ein Minecraft-Video im Hintergrund läuft (oder so). Ich denke, genau dieses Nutzungsverhalten hat neben amerikanischen Serien, die wir selbstverständlich mit Untertiteln konsumieren, Voice-Over-Reels geprägt und populär gemacht.
Es scheint für viele leichter, einer Stimme zuzuhören und dabei in die Gesichter fremder Menschen zu starren, als eine langweilige Oldschool-Caption zu lesen. Und: Ein Voice-Over-Reel ist angenehmer oder zumindest leichter konsumierbar als ein ganzer Blogpost - was mir übrigens große Sorge bereitet. Ob das hier überhaupt jemand liest, wenn ich dazu nicht ein nettes Video schneide?
Parallel zum Hype wird das Millennial-Magazin Vice Deutschland übrigens 2024 nach 18 Jahren eingestellt.
Ex-Journo-Kollege Manuel Lorenz schrieb dazu auf LinkedIn:
"Damit wird eine Art von Journalismus begraben, die in den Zehnerjahren ihren Höhepunkt hatte und für die es in Deutschland offenbar keine Zukunft gibt. Gonzo-Journalismus, New Journalism, Millennial-Journalismus . Wie auch immer wir diese Art von junger, unkonventioneller, kritischer Herangehensweise an Themen - bzw. die Themenwahl überhaupt - nennen wollen. Mir fällt kein Medium ein, wo man solche Texte (und Videos) noch findet."
Er fragt: "Was sollen junge Menschen jetzt noch lesen? Klar, es gibt zig Videos und Podcasts für sie auf all den Plattformen, die mittlerweile unseren Alltag dominieren. Aber das ist alles nicht dasselbe."
Ich kenne die Demut gut, mit der Manuel schreibt und stimme ihm bei der Aussage zu, dass mit dem Untergang der Millennial-Medien auch ein bestimmter Blick auf unsere Welt verloren geht. Und hier sind wir genau bei der Downside: Ich bin immer noch Autorin, nicht Multimedia-Artist. Ich habe keine Zeit, jeden meiner Texte auch noch videografisch im Alleingang begleiten zu lassen. Dafür bräuchte es ein ganzes Social-Media-Team. Lange Gedankengänge und komplexe Analysen bleiben bei Voice-Over-Reels jedenfalls für die Ästhetik auf der Strecke. Alles muss kurz, schön und snackable sein.
Manchmal frage ich mich wie ein Boomer in Festanstellung: Was, bitteschön, kommt als nächstes? Was müssen wir noch alles können, um im Algo-Game...
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