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Nicht »Die Politik ist das Schicksal« (Napoleon), sondern »Die Wirtschaft ist das Schicksal« (Walther Rathenau) gilt heute.1
Am Anfang ist es ein Rinnsal, kaum der Rede wert. Doch wenn es nicht gebremst, kontrolliert, gesteuert wird, untergräbt das Rinnsal, zu einer Flut anwachsend, die Fundamente von Gesellschaft und Staat. Das Rinnsal heißt Inflation.
Was ist Inflation? Warum ist sie gefährlich? Fragen, die sich aufdrängen, wenn historische und aktuelle Entwicklungen betrachtet werden und in Deutschland die Gemüter bewegen. Die Volkswirte erklären das Phänomen wirtschaftlich und finanziell. Dabei wird jedoch allzu leicht übersehen, dass Inflation, weil sie alle Menschen betrifft, auch eine gesellschaftliche und emotionale Komponente hat: die Angst vor dem Verlust der materiellen Basis des eigenen Lebens geht an niemandem vorbei.
Da alle Theorie grau ist, versuchen die Historiker, am Beispiel der Entwicklung in Deutschland zwischen 1914 und 1924 aufzuzeigen, welche Ereignisse eingetreten sind und wie sich daraus die Inflation entwickelt hat: zuerst ein schleichender Prozess - ein Rinnsal eben - der dazu diente, den Krieg zu bezahlen; dann ein süßes Gift, mithilfe dessen Arbeitsplätze und Löhne und damit der soziale Friede nach Kriegsende gesichert wurde um das Leben in Deutschland zu stabilisieren; schließlich ein Moloch, in dem alles versank, Einkommen und Existenz ebenso wie Zuversicht und Staatsvertrauen. Bis Ende 1923 die Währungsreform der zuletzt lawinenartigen Geldvermehrung ein Ende machte. Erst dann wurde das ganze Ausmaß der Zerstörung von Werten und Existenzen und die Verarmung der Nation sichtbar.
Deshalb ist die Inflation auch bis heute ein deutsches Trauma. Ein Trauma ist die Folge eines existenziell bedrohlichen Ereignisses oder einer Situation, in der sich die betroffene Person vollkommen hilflos fühlt. Das trifft auf die Inflation vor 100 Jahren zu. Die Zerstörung nicht nur der finanziellen Basis fast aller Menschen, sondern mehr noch die Unterhöhlung der bis dahin als unerschütterlich geltenden Grundsätze der Gesellschaft war eine traumatische Erfahrung: der Verlust des Vertrauens in den Staat, die Gesetze, die materielle Sicherheit und die Zukunftsperspektiven. Denn Geld, das versucht dieses Buch unter anderem zu zeigen, ist vor allem Vertrauen in seinen Wert und seine Stabilität. Dieses Vertrauen ist in hohem Maße eine psychologische Größe und nicht nur eine Sache von Berechnung und Statistik. Der Vertrauensverlust vor 100 Jahren hat sich tief in die Erinnerung der Deutschen eingegraben, denn die Inflation traf fast jeden und ist noch heute Teil von Familien- und Unternehmensgeschichten.
Manches aus dieser Zeit ähnelt den Nachrichten, die auch heute die Medien prägen: steigende Rohstoff- und Energiepreise, Sondervermögen außerhalb des Staatshaushalts, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, Preiskontrollen, Preisdeckelungen, Lieferengpässe. Sicher sind die Regierungen nicht für alle Ursachen von Preissteigerungen haftbar zu machen, aber die Stabilität des Geldes ist stets auch ein Gradmesser für die Stabilität des Staates. Zwar sind die Parallelen der aktuellen Situation mit der Entwicklung vor 100 Jahren mit Vorsicht zu betrachten, doch ganz ausblenden kann man sie nicht.
So sind die Lohnzuwächse in den letzten zehn Jahren bis zur Hälfte von der Inflation »aufgefressen« worden und in vier Jahren (2020, 21, 22 und 23) hat die Inflation die Lohnentwicklung auf Null reduziert oder sogar ins Negative verkehrt: mehr Inflation als Lohnzuwachs! Das Gefühl, sich weniger leisten zu können als noch zehn Jahre vorher, resultiert aus dieser Entwicklung. Die Inflation ist zum stetigen Begleiter geworden. Wir sollten diese Entwicklung ernst nehmen, auch wenn der Vergleich von gestern mit heute einige wichtige Unterschiede aufzeigt. Vor allem ist das Wissen über inflationäre Prozesse heute unvergleichlich größer als vor 100 Jahren. Daher ist Regierungen und Notenbanken klar, dass Inflation keine Probleme löst, sondern im Gegenteil neue schafft. Die Notenbanken handeln unabhängig von der Politik und sind der Geldwert-Stabilität verpflichtet, nicht dem Finanzminister. Vor allem reagiert aber die Bevölkerung sensibel auf Preissteigerungen und würde einen fahrlässigen Umgang mit Preissteigerungen an der Wahlurne bestrafen. Besonders in Deutschland ist die Inflation immer noch ein Thema, dem große Aufmerksamkeit entgegengebracht wird - die Erinnerung an die Inflation vor mehr als 100 Jahren wirkt bis heute nach!
Das ist der wesentliche Unterschied zwischen der Zeit von 1914?-?1923 und heute: 1914 wussten die Deutschen nicht, was Inflation ist. Seit 1871 hatte das Reich als Basis des Geldes Gold benutzt. Die Mark war - wie die Währungen der meisten europäischen Staaten und der USA - mit Gold unterlegt und damit solide, so solide, dass der Brockhaus in seiner Ausgabe von 1908 den Begriff »Inflation« gar nicht enthielt.2 Die Mark, auf Gold gebaut, von der hochangesehenen Reichsbank kontrolliert, war für die Bevölkerung des Reiches das »währende, bleibende, unverrückbare.«3
Nach einer - damals wie heute - über 30-jährigen Phase der Entspannung, internationalen Zusammenarbeit und niedriger Zinsen bei stabilen Preisen kann man das verstehen. Schließlich geht es uns heute nicht viel anders. Mit Kriegsausbruch begann aber die Geldentwertung und zog sich über 10 Jahre hin, bis zu ihrem bitteren Ende. Die Entwicklung zeigt, was passiert, wenn Inflation nicht genügend und nicht frühzeitig beachtet wird. Dieses Buch versucht, das Geschehen nachzuvollziehen und die Wirkung auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darzustellen. Es versucht auch zu erfassen, warum es nicht gelang, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, als sie ihre zerstörerische Wirkung noch nicht voll entfaltet hatte.
Heute schauen wir auf die Zeit und ihr Geschehen zurück und schütteln über manches den Kopf. Hat denn niemand die Gefahren des Gelddruckens erkannt? Manche Ereignisse machen auch nachdenklich: Hätten wir in bestimmten Situationen anders gehandelt? Tatsächlich hatten die handelnden Personen oft nur die Wahl zwischen »Pest und Cholera«. Zugleich werden wir heute Zeugen von Entwicklungen, die an die Vergangenheit denken lassen. Der Staat hat sich in der Corona-Zeit erheblich neu verschuldet und die veränderte Sicherheitslage verlangt aktuell und vermutlich auch in der Zukunft deutlich größere Anstrengungen für den Schutz unseres Landes. Die Rückübertragung von Produktionskapazitäten für sensible Güter aus fremden Ländern nach Europa wird die Produktion verteuern. Die Unsicherheit von Handelswegen und Handelspartnern wird die Importpreise und Transportkosten steigen lassen.
Wo liegen die Parallelen zu damals? Wir befinden uns nicht direkt im Krieg, aber wir müssen erheblich mehr für die Sicherheit ausgeben. Wir werden nicht belagert, aber wir müssen die Kosten für eine stärkere Unabhängigkeit von ausländischen Lieferungen stemmen. Deutsche Produkte sind in aller Welt gefragt, aber die jüngsten Entwicklungen zeigen, z. B. in der Automobilindustrie, wie schnell sich das ändern kann.
Auch wenn aktuell kein Grund zu großer Sorge zu bestehen scheint, wäre es doch gut, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dem Thema Inflation und Inflationsgefahr größere Beachtung schenken würden. Denn die Verschuldung des Staates (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung einschließlich Nebenhaushalte) steigt spürbar. Die aktuellen 2,3 Billionen Euro4 sind eine abstrakte Größe. Wer kann sich eine solche Schuldenmenge vorstellen? Konkreter wird es, wenn man die Verschuldung auf die Bevölkerung umlegt. Pro Kopf hat sich die Staatsverschuldung seit 1995 verdoppelt: von 25.100 DM auf 25.300 Euro!5
Allerdings ist die Wirtschaftsleistung Deutschlands über viele Jahre stärker gestiegen als die Schulden: von 2013 bis 2020 sanken die Schulden in Prozent des Brutto-Inlandprodukts von 80 % der inländischen Wirtschaftsleistung auf unter 60 %. Erst Corona beendete den positiven Trend und heute liegt die Bundesrepublik mit 65 % wieder deutlich über dieser 60 %-Marke. Und das hat handfeste Gründe:
Der Verteidigungsbereich, lange Zeit ein Stiefkind der staatlichen Vorsorge, muss deutlich aufgestockt werden. Im Kalten Krieg lagen die Verteidigungsausgaben zwischen 3?-?4 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit einer Spitze von fast 5 % Anfang der 60er Jahre.6 So teuer wird es in Zukunft hoffentlich nicht wieder, aber es ist zu bezweifeln, dass die jetzt angestrebten 2 % ausreichen werden.
Die Energiewende kostet ebenfalls viel Geld, das die Verbraucher zahlen und die Energie in Deutschland verteuert, also preiserhöhend wirkt. Sollen die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 % gesenkt werden, steigen die Mehrkosten im Vergleich zu einem »business-as-usual«-Szenario je nach Studie um 15 bis 70 Milliarden Euro jährlich an. Das entspricht zwischen 0,5 bis rund...
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