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Anstelle eines Vorworts
In der 1988 unter gleichem Titel erschienenen Aufsatzsammlung[1]ging es um eine Selbstvergewisserung philosophischen Denkens. An diesem Thema hat sich nichts geändert. Die Philosophie ist keine wissenschaftliche Disziplin, die sich über eine feststehende Methode oder einen festgelegten Objektbereich definieren könnte. Die Einheit der philosophischen Diskurse bestimmt sich vielmehr durch Kanonbildung, das heißt anhand der Texte, die seit zweieinhalbtausend Jahren zur Geschichte der Philosophie gerechnet werden. Daher bleibt die Frage, was Philosophie leisten kann, grundsätzlich strittig. Gleichwohl ist es keine müßige Frage, der wir ausweichen dürften. Denn auch das nicht-festgestellte Denken muss sich for the time being festlegen, wenn es nicht im Ungefähren herumschweifen soll.
Schon der erste Blick auf unseren wissenschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext belehrt uns darüber, dass sich Philosophen nicht mehr im Kreise der Dichter und Denker aufhalten. Weise und Seher, die – wie noch Heidegger – einen privilegierten Zugang zur Wahrheit reklamieren, können sie nicht mehr sein. Weil die Philosophie auch zu einer wissenschaftlichen Disziplin geworden ist, beginnt die Überzeugungsarbeit im Kreise der peers. Wer nicht durch die Schleuse der professionellen Kritik hindurchgeht, gerät mit Recht in den Verdacht der Scharlatanerie. Auch philosophische Argumente können heute nur noch im zeitgenössischen Kontext der eingespielten natur-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Diskurse, der bestehenden Praktiken der Kunstkritik, der Rechtsprechung, der Politik und der öffentlichen, über Medien vermittelten Kommunikation darauf rechnen, prima facie als erwägenswert akzeptiert zu werden. Nur in diesem weiteren Kontext grundsätzlich falliblen Wissens können wir den schmalen Pfad suchen, auf dem philosophische Gründe noch »zählen«.
8Aber diese Suche wird kaum anders als performativ gelingen; metatheoretische Überlegungen bleiben im schlechten Sinne abstrakt. Wer sich am Geschäft der philosophischen Selbstvergewisserung beteiligen möchte, muss selber Philosophie betreiben. Dieser Zirkel ist selbst dann unvermeidlich, wenn man sich eine Kanonisierung des Wissensbestandes noch zutraut. Um das ausgewählte Kompendium an Wissen, das man »von Philosophen lernen kann«, plausibel zu machen, musste Herbert Schnädelbach die Argumente, von denen er seine Leser überzeugen will, selber auf philosophische Weise entwickeln.[2] Auch die Autoren, für die sich die Frage eher problematisierend als in abschließender Weise stellt, können die philosophische Denkweise von anderen Gestalten des Geistes nur in der Weise abgrenzen, dass sie zu zeigen versuchen, was Philosophie ist. Die Empfehlung beispielsweise, heute nur noch im Modus des »nachmetaphysischen Denkens« zu philosophieren, könnte ich nicht begründen, ohne gleichzeitig um Verständnis für den Begriff der »kommunikativen Vernunft« zu werben. Darum beginnt Nachmetaphysisches Denken II mit einem systematischen Abschnitt über »Die Lebenswelt als Raum der Gründe« (so wie der vorangehende Band einen entsprechenden Abschnitt über die sprachpragmatische Wende enthält).
Freilich behandele ich dasselbe Thema nun aus einem entwicklungsgeschichtlichen Blickwinkel, denn im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte hat sich eine veränderte Konstellation ergeben. Die philosophische Szene war seinerzeit von Tendenzen einer Rückkehr zur Metaphysik bestimmt. Es gab auf der einen Seite differenzierte Versuche, nach den deflationierenden Denkschulen der analytischen Philosophie wieder auf spekulative Gedanken zurückzugehen – sei es, dass metaphysische Denkfiguren unmittelbar aus klassischen Quellen rehabilitiert,[3] sei es, dass Motive des Deutschen Idealismus auf dem Wege der Wiederaufnahme der nachkantischen Problematik des Selbstbewusstseins erneuert 9werden sollten.[4] Auf der anderen Seite hatte die vernunftkritische Anknüpfung an Nietzsche und den späten Heidegger zu Versuchen ermutigt, die Dimension des Ursprungsdenkens auf andere Weise wiederzugewinnen.[5] Inzwischen haben politisch-historische Entwicklungen des letzten Jahrzehnts einem ganz anderen Thema Aktualität verliehen: Die weitgehend säkularisierten Gesellschaften Europas begegnen im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft und der digitalen Kommunikation sowohl im eigenen Hause wie weltweit religiösen Bewegungen und Fundamentalismen von unverminderter Vitalität.
Dieser Umstand hat nicht nur der sozialwissenschaftlichen Diskussion über den Zusammenhang von Säkularisierung und gesellschaftlicher Modernisierung eine andere Richtung gegeben, sondern auch die Philosophie herausgefordert, und zwar in doppelter Hinsicht.[6] Als normative politische Theorie muss sie zunächst jenes Verständnis von säkularisierter Staatsgewalt und religiösem Pluralismus überprüfen, das die Religionsgemeinschaften aus der politischen Öffentlichkeit ins Private verbannen möchte. Darüber hinaus sieht sich die Philosophie in ihrer Rolle als Erbin der europäischen Aufklärung provoziert. Was bedeutet für sie als »Hüterin der Rationalität« der Umstand, dass sich Religionsgemeinschaften und religiöse Lehren mit ihrer archaischen Verwurzelung in kultischen Praktiken inmitten der gesellschaftlichen Moderne als eine gegenwärtige und kulturell produktive Gestalt des Geistes zu behaupten scheinen? Die Philosophie muss sich von dieser Zeitgenossenschaft der Religion insofern bedrängt fühlen, als eine Beziehung auf gleicher Augenhöhe die seit dem 18. Jahrhundert gewohnte Konstellation gründlich verändern würde. Seit dieser Zeit hatte die Philosophie, Seite an Seite mit den Wissenschaften, die Religion nämlich entweder als ein undurchsichtiges und daher erklärungsbedürftiges Objekt behandelt (so etwa Hume) oder sie 10(wie von Kant bis Hegel) als vergangene, aber transparente Gestalt des Geistes auf ihren eigenen philosophischen Begriff gebracht. Wie müsste sich demgegenüber eine Philosophie verstehen, die der Religion nicht als einer Gestalt der Vergangenheit, sondern als einer einstweilen – wie immer auch opaken – Gestalt im Präsens begegnet?
Der erste Beitrag »Von den Weltbildern zur Lebenswelt« beleuchtet die Veränderung der Konstellation im Verhältnis der Philosophie zu den Wissenschaften. Ich nehme darin die szientistische Verhärtung des Selbstverständnisses der Philosophie im Sinne des Anwaltes eines »wissenschaftlichen Weltbildes« zum Anlass, einen »weichen« Naturalismus zu verteidigen. Der neue Naturalismusstreit bringt die Aspekte zu Bewusstsein, unter denen sich Philosophie – als eine im wissenschaftlichen Geist betriebene diskursive Form des Welt- und Selbstverständnisses – von den objektivierenden Wissenschaften unterscheidet. Im Rahmen einer groben Skizze der Entstehung des nachmetaphysischen Denkens aus der im Okzident entstandenen Symbiose von Glauben und Wissen entwickle ich in diesem Text die systematischen Grundbegriffe von »kommunikativem Handeln« und »symbolisch strukturierter Lebenswelt«.
Diesen kommunikationstheoretischen Ansatz vertiefen die beiden folgenden Beiträge des ersten Abschnittes aus evolutionstheoretischer Sicht. Michael Tomasello hat die Entstehung der menschlichen Kommunikation aus Zusammenhängen einer Kooperation erklärt, in der die Teilnehmer ihre Intentionen und Handlungen über einfache symbolische Gesten aufeinander abstimmen.[7] Dieser sozialkognitive Ansatz betont das aus der Gestenkommunikation hervorgehendende intersubjektiv geteilte Wissen, das eine zweckmäßige Koordinierung von Handlungen und Intentionen möglich macht. Aus den sozialkognitiven Erfordernissen der kooperativen Verwirklichung gemeinsamer Ziele erklärt sich freilich nur die Kommunikation von Tatsachen, Absichten und Aufforderungen, nicht aber die von normativen Verhaltenserwartungen. Aufforderungen und Absichtserklärungen genießen nicht von Haus aus 11die verpflichtende Kraft von Geboten. Der intersubjektiv geteilte normative Sinn des Sollens zehrt von Bindungsenergien, die sich nicht aus Kooperationszwängen erklären lassen. Sofern der sozialpragmatische Ansatz ausreicht, um die Anfänge der sprachlichen Kommunikation zu erklären, muss sich der Sinn sprachlicher Verständigung unabhängig von einem »starken« normativen Einverständnis über Werte und von gegenseitigen Verhaltenserwartungen explizieren lassen. Dann bedarf die Dimension von Verpflichtungen jedoch einer anderen, von der sprachlichen Form der sozialen Integration unabhängigen Erklärung.
Die Hypothese über den Ursprung der Sprache aus der Gestenkommunikation lenkt die Aufmerksamkeit auf rituelle Praktiken, die offenbar die Alltagskommunikation als eine außeralltägliche Form der Kommunikation ergänzt haben. Obwohl diese in auffälliger Weise von der Alltagskommunikation abweicht, indem sie aus allen handgreiflichen Funktionszusammenhängen herausfällt und sich nicht auf innerweltliche Gegenstände und Sachverhalte bezieht, weist sie strukturell ähnliche Merkmale auf wie die Gestenkommunikation. Schon Durkheim hat in diesen rituellen Praktiken die Quelle von gesellschaftlicher Solidarität gesehen. Rituell erzeugte normative Bindungsenergien könnten dann – im Zuge der Entwicklung der Gestenkommunikation zu voll ausgebildeten grammatischen Sprachen – in dieses Sprachmedium eingeholt und entsprechend ausdifferenziert worden sein. Die illokutionären Kräfte vieler regulativer Sprechakte (wie befehlen und versprechen, ernennen, in Kraft setzen usw.) lassen sich ohnehin als das...
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