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Ohne die schützende Hand der USA würde die Welt im Chaos versinken, heißt es oft. Bernd Greiner unterzieht diese These einem Praxistest. Wie sehen die Weltgegenden anschließend aus, in denen Washington seit 1945 eingegriffen hat? Die Bilanz ist ernüchternd. Die Vereinigten Staaten haben die meisten Kriege geführt, sie sind Spitzenreiter beim Sturz missliebiger, auch demokratisch gewählter Regierungen, unzählige Menschen mussten ihr Leben lassen, Gesellschaften wurden traumatisiert und Staaten ruiniert. Es ist an der Zeit, über Konsequenzen zu diskutieren. Denn die globalen Herausforderungen unserer Zeit werden ohne die USA nicht zu bewältigen sein. Aber unter Washingtons Führung erst recht nicht.
Wer Menschenrechte, Freiheit und Demokratie auf Washingtons Art verteidigt, beschädigt diese Werte im Kern. Zu diesem Ergebnis kommt der renommierte Historiker Bernd Greiner in seiner weltumspannenden Analyse amerikanischer Ordnungspolitik seit 1945. Er zeigt, wie sich in den USA der Anspruch ausbildete, als Hüter der internationalen Ordnung aufzutreten. Er zeigt auch, wie die Vorstellung entstand, Stabilität gebe es nur auf der Grundlage amerikanischer Überlegenheit. Und er liefert eine kritische Bilanz der amerikanischen Ordnungspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg. Europa sollte sich im ureigensten Interesse auf seine Kraft besinnen – auf eine Politik, der es nicht um die brachiale Durchsetzung, sondern um den Ausgleich von Interessen geht. Und auf eine Politik ohne Lagerdenken und Überlegenheitsdünkel, ohne Anspruch auf Dominanz und Gefolgschaft. Also jenseits amerikanischer Haltungen, Ansprüche und Praktiken.
Bernd Greiner ist Gründungsdirektor und Mitarbeiter des "Berliner Kollegs Kalter Krieg / Berlin Center for Cold War Studies". Er lehrte Außereuropäische Geschichte an der Universität Hamburg und leitete bis 2014 den Arbeitsbereich "Theorie und Geschichte der Gewalt" am Hamburger Institut für Sozialforschung.
Vorwort
Ein anderer Blick
Zu reden ist über die Schattenseiten des amerikanischen Jahrhunderts. Über die Tatsache, dass Unzählige ihr Leben lassen mussten, dass Gesellschaften traumatisiert und dass Staaten ruiniert wurden, weil die USA ihren Anspruch auf Ordnung der Welt durchsetzen wollten. Keine andere Nation ist seit 1945 derart rabiat aufgetreten. Die Vereinigten Staaten haben mit Abstand die meisten Kriege geführt, wiederholt Angriffskriege vom Zaun gebrochen und das Völkerrecht mit Füßen getreten, sie geben heute noch das meiste Geld für Rüstung aus und unterhalten weltweit mehr Militärstützpunkte als alle anderen Staaten zusammen, sie sind einsamer Spitzenreiter beim Sturz missliebiger, auch demokratisch gewählter Regierungen. Darüber nachzudenken, welche Konsequenzen diese Bilanz haben sollte und müsste, versteht sich eigentlich von selbst. Und es ist alles andere als selbstverständlich, werden neuerdings doch wieder große Hoffnungen auf Washington gesetzt - als könnte man das Offensichtliche ignorieren oder zu Kollateralschäden einer vermeintlich unabdingbaren Führung erklären.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs treten die USA wie ein vom Schicksal auserwählter Hüter von Freiheit und Stabilität auf. Worauf gründet ihr Anspruch? Wieso betrachtet man sich selbst als Norm, die für alle anderen richtungsweisend und verbindlich sein soll? Welche Mittel kommen zum Einsatz? Und vor allem: Zu welchem Preis? Diese Fragen werden in neun Kapiteln diskutiert. Ein jedes steht für sich und kann unabhängig von den anderen gelesen werden. Zusammen fügen sie sich zu einem Gesamtbild mit einer streitbaren Schlussfolgerung: Ohne die USA ist eine neue Weltordnung nicht zu haben. Aber unter ihrer Führung schon gar nicht.
Zum besseren Verständnis amerikanischen Ordnungsdenkens lohnt ein Blick in die turbulenten Jahre zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Von dieser Zeit handelt das erste Kapitel: «Für Gott und das Gute: Auf dem Weg zur Ordnungsmacht». Scheinbar unversöhnliche Lager standen sich damals gegenüber: «Interventionisten» und «Isolationisten», Befürworter und Gegner des Beitritts zum Völkerbund, Unterstützer und Kritiker von Hochrüstung. Ihre Kontroversen hielten das Land in Atem, die Gemeinsamkeiten indes sind ungleich aufschlussreicher. Alle Beteiligten einte die Panik vor dem Verlust von Amerikas Einzigartigkeit - dass das Experiment «Neue Welt» entweder an der Bösartigkeit äußerer Feinde oder an hausgemachten Widersprüchen scheitern könnte und dass die «redeemer nation», im göttlichen Auftrag der Welt zum Erlöser bestimmt, sich im Falle eines Scheiterns an Gott versündigen würde. Maßlose Ängste waren die ständigen Begleiter des tugendhaft überfrachteten Selbstbildes, Überidentifikation mit dem Guten und Dramatisierung des Bösen gingen Hand in Hand. Nicht umsonst sprechen Historiker von einer Obsession in prekärer Nähe zu Hysterie und Paranoia.[1] Ein Verlangen nach «totaler Sicherheit» war darin eingeschrieben, ebenso die Neigung, Verlustängste als Mittel der politischen Mobilisierung auszubeuten. Das meiste Kapital heimsten am Ende jene Angstunternehmer ein, die Amerikas Existenz hauptsächlich von außen bedroht sahen und das politische Immunsystem mit einer Mixtur aus Religion, Moral und imperialem Auftrumpfen stärken wollten. Wenn die Nation überleben soll, so ihre Zauberformel, muss sie global als Ordnungsmacht auftreten - also militärisch dominieren. Nur dann wird sich die Macht des Lichts gegen die Kräfte der Finsternis behaupten können.
Am 6. August 1945 fielen die Würfel endgültig zugunsten der «Interventionisten». Dass Präsident Harry Truman über die nukleare Einäscherung Hiroshimas hellauf begeistert war und vom «größten Ding in der Geschichte» sprach, spiegelte die Erwartungen des Weißen Hauses. Im unmittelbaren Umfeld des Präsidenten galt die Atombombe als außenpolitischer Quantensprung. Mit ihr, so hieß es allenthalben, hätte man einen «Royal Straight Flash» in der Hand, ein unschlagbares Blatt beim Pokern um Macht, Einfluss und Hegemonie.[2] Die Allmachtphantasien wurden von der Realität alsbald eingeholt und als solche entlarvt. An den Folgen amerikanischer Atompolitik hingegen trägt das Land wie der Rest der Welt bis heute schwer. Am Rüstungswettlauf sind auch zahlreiche andere Großmächte mit Überzeugung und Entschiedenheit beteiligt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Amerikas Ordnungspolitik auf Gewalt gegründet war und diesen Makel nie wieder loswurde. Nie wieder loswerden konnte, um genau zu sein, weil der politische Zugewinn prall gefüllter Atombunker bis heute allzu verlockend ist.
Wann, wie und warum Atompoker gespielt wurde, ist im zweiten Kapitel nachzulesen: «Casino Royale: Zocken mit Nuklearwaffen». Wie alle, die im Laufe der Zeit die einschlägigen Spielregeln lernten, stecken die USA seit Beginn des Atomzeitalters in einer Falle. Man weiß, dass Nuklearwaffen den eigenen Untergang heraufbeschwören können - trotzdem basteln Planungsstäbe und andere Militärexperten seit Jahrzehnten an Szenarien für einen begrenzten, kontrollierten und am Ende gewinnbaren Krieg. Man weiß, dass jeder «Sieg» mit Hekatomben von Toten auf allen Seiten bezahlt würde - und klammert sich dennoch an die Illusion, aus militärisch stumpfen Waffen hin und wieder politischen Mehrwert schlagen zu können. Man weiß, dass die Kopie eigener Waffensysteme durch die Gegenseite nur eine Frage der Zeit ist - und will dennoch nicht von der fixen Idee lassen, sich mit technologischen Durchbrüchen einen vorübergehenden Vorteil zu verschaffen. Das gemeinhin zur Entschuldigung vorgetragene Argument ist so alt wie die besagte Politik selbst: Waffen werden gehortet, weil man einander nicht traut, also muss zuerst das Misstrauen aus der Welt. Umgekehrt wird eher ein Schuh daraus: Sobald Waffenkammern entrümpelt werden, versiegt die Urquelle des Misstrauens. Dass außer den USA auch andere in die Pflicht zu nehmen wären, ist kein Einwand. Washington hat durch Desinteresse, Unterlassung und ungezählte Querschüsse entscheidend zur Verstetigung des toxischen Kreislaufs beigetragen.
Als Nuklearmacht stiegen die USA - seit 1945 ohnehin die unbestrittene Nummer Eins - in eine noch höhere Gewichtsklasse auf. Sie meldeten geopolitische Ansprüche an und gingen Verpflichtungen ein, die sie sich mit konventionell ausgerüsteten Streitkräften schwerlich hätten leisten können.[3] Ablesbar ist diese selbst verordnete Aufwertung an der Karriere des Adjektivs «vital». Niemals zuvor hatte man derart häufig und penetrant über «lebenswichtige Regionen» jenseits der eigenen Grenzen gesprochen.
Auf diese Weise wurden nicht nur zusätzliche Reibungspunkte geschaffen; man glaubte auch, den neuen Status ständig unter Beweis stellen zu müssen. Glaubwürdig war dieser Logik zufolge nur, wer seine Machtmittel gerade an Orten ohne erkennbare strategische, wirtschaftliche oder politische Bedeutung zur Geltung brachte. Zentrum und Peripherie galten in diesem Sinne als gleichwertig, die Symbolik der Tat färbte vom einen auf das andere ab. Immer schien es ums Ganze zu gehen, überall lauerten angeblich existenzbedrohende Gefahren, noch im hintersten Winkel mussten Grenzen gezogen und Ansprüche verteidigt werden. Unter der Hand, so die Historikerin Barbara Tuchman, wurde das Streben nach Glaubwürdigkeit bis zur Selbsthypnose aufgebläht.[4] Den Nutzen hatten «Putschisten und weitere Stellvertreter» (dargestellt im dritten Kapitel) auf allen Kontinenten, den mit Abstand größten Schaden jene Länder, in denen die USA Staatsterroristen gewähren ließen oder sich selbst zu Komplizen machten. Näheres ist im vierten Kapitel («Auf Gewalt gegründet: Südvietnam, Indonesien, Lateinamerika») zu erfahren.
Seit der Wende zur globalen Ordnungsmacht geistern drei Vorgaben wie Untote durch Washingtons Außenpolitik. Erstens: Vorherrschaft ist unverzichtbar. Stabilität gibt es nur auf der Grundlage amerikanischen Übergewichts und unter der Voraussetzung, dass die USA mehr auf die Waage bringen als Störenfriede oder ernsthafte Konkurrenten; Sicherheit basiert auf militärischer Dominanz und wird in erster Linie mit militärischen Mitteln hergestellt. Zweitens: Eine Ordnungsmacht muss den Willen zur Gewalt demonstrieren, andernfalls entgleitet ihr die Ordnung. Wirksame Außenpolitik kann nur betreiben, wer das Handwerk der Einschüchterung, Nötigung und Erpressung beherrscht und den Rest der Welt von seiner Bereitschaft zum Risiko überzeugt - das Wagnis eines Einsatzes von Nuklearwaffen eingeschlossen. Drittens: Macht beruht auf Angst. Oder auf dem Wissen von...
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