EXPEDITION 1
DER GEWALTIGE SPRUNG
Apollo 11 und die Mondlandungen
»Ich wollte >einen< sagen. Ich dachte, ich hätte es gesagt. Ich kann es nicht hören, wenn ich mir die Funkübertragung hier auf der Erde anhöre, also freue ich mich, wenn Sie es einfach in Klammern hinzufügen.«*
Der erste Schritt eines Menschen auf dem Mond war gleichzeitig der letzte einer achtjährigen Odyssee des größten Expeditionsteam der Menschheitsgeschichte. Am 20. Juli 1969 hatte Neil Armstrong 384 000 Kilometer - etwa neun Erdumrundungen - im tödlichen luftleeren Raum des Weltalls in vier Tagen zurückgelegt. Doch das Apollo-Programm, das für Armstrongs Mondfahrt verantwortlich war, hatte über einen Zeitraum von fast zehn Jahren ganze 400 000 Menschen beschäftigt. Mehr als 20 000 Firmen und Universitäten hatten dem 24-Milliarden-Dollar-Projekt die nötige Ausrüstung und ihre klügsten Köpfe zur Verfügung gestellt. Es war nicht nur das bei Weitem größte und technisch anspruchsvollste Unternehmen in Friedenszeiten, sondern auch nicht weniger als die längste, gefährlichste und kühnste Expedition seit Menschengedenken. Auslöser des Ganzen war die außerordentliche Vision eines einzigen Mannes.
Der russische Kosmonaut Juri Gagarin flog am 12. April 1961 als erster Mensch ins Weltall. Nur acht Tage später schrieb US-Präsident John F. Kennedy (der sein Amt erst seit drei Monaten innehatte) folgendes Memorandum an seinen Weltraumrat:
»Haben wir die Möglichkeit, die Sowjets zu schlagen, indem wir ein Labor im Weltraum einrichten oder um den Mond fliegen, oder eine Rakete mit einem Mann an Bord starten, die auf dem Mond landet und wieder zurückkehrt? Gibt es irgendein Raumfahrtprogramm, das bahnbrechende Ergebnisse verspricht, mit denen wir gewinnen könnten? [.] Arbeiten wir 24 Stunden am Tag an bestehenden Programmen? Und falls nicht, warum nicht?«
Seine Wortwahl - »schlagen« und »gewinnen« - ließ klar erkennen, dass Kennedy beabsichtigte, als Sieger aus dem »Space Race«, dem Wettlauf ins All, hervorzugehen.
Zu jenem Zeitpunkt hinkten die Vereinigten Staaten der Sowjetunion hinterher. Ein amerikanischer Astronaut, Alan Shepard, war zwar in den Weltraum geflogen, hatte es aber nicht bis in die Erdumlaufbahn geschafft. Der erste russische Sputnik hingegen umkreiste bereits 1957 die Erde.
Der NASA wurden nun alle nötigen Mittel für ein komplett neues Raumfahrtprogramm zur Verfügung gestellt. »Apollo« sollte es heißen und dafür sorgen, Kennedys Ziel, »noch vor Ablauf dieses Jahrhunderts einen Mann auf den Mond und wieder sicher zur Erde zu bringen«, zu verwirklichen. In Houston, Texas, baute man ein brandneues Manned Spacecraft Center (genannt »Space City«) als Trainings-, Forschungs- und Steuerungszentrum der bemannten Raumfahrt. Auf Cape Canaveral in Florida wiederum entstand eine riesige Abschussbasis (heute bekannt als The Kennedy Space Center).
Hunderte der brillantesten Wissenschaftler der Welt arbeiteten in den folgenden Jahren in atemberaubendem Tempo an der Lösung scheinbar unmöglicher Probleme: der Konstruktion eines Raumfahrzeugs samt Rakete, die ihre Besatzung zuerst in den Erdorbit katapultieren, von dort aus zum Mond transportieren und anschließend auf dessen Oberfläche bringen sollten, um daraufhin all diese Schritte in umgekehrter Reihenfolge zu wiederholen.
Das Programm erlitt bereits zu Beginn einen herben Rückschlag, als das Kommandomodul der Apollo 1 am 27. Januar 1968 bei einem Test Feuer fing und die Astronauten Virgil Grissom, Edward White und Roger Chaffee ums Leben kamen. Aber die NASA lernte aus der Katastrophe und ging zurück ans Reißbrett, um die Sicherheit ihrer Raumfahrzeuge zu verbessern. Im Dezember 1968 wurde die zweite bemannte Apollo-Mission, Apollo 8, erfolgreich gestartet. Es war das erste bemannte Raumschiff, das die Erdumlaufbahn verließ, den Mond erreichte, ihn umkreiste und sicher auf die Erde zurückkehrte. Nach zwei weiteren geglückten Abschüssen wurde die Apollo 11 am 16. Juli 1969 zum Start freigegeben.
An jenem Tag schnallten sich Neil Armstrong, Edwin »Buzz« Aldrin und Michael Collins in der Columbia, dem Kommandomodul der Apollo 11, an. Die winzige, kegelförmige Kabine sollte die drei Astronauten von der Abschussrampe in den Mondorbit und schließlich acht Tage später zurück auf die Erde bringen, wo eine Wasserlandung vorgesehen war. Unten am Kommandomodul befand sich das zylinderförmige Servicemodul, das während der Mission für Antrieb und Strom sorgte und als Stauraum diente. Darunter war wiederum die Eagle (zu Deutsch »Adler«) angebracht, die eigentliche Landefähre, die auf den Mond hinabsteigen würde.
Dieser winzige Lebensraum war auf eine kolossale Saturn-V-Rakete geschraubt, die mit 111 Metern die Freiheitsstatue um 18 Meter überragte. Sie ist nach wie vor die größte, schwerste und mächtigste Rakete, die je gebaut wurde.
»Einige sagen: Warum der Mond? Warum setzen wir uns ihn zum Ziel? Und sie könnten genauso gut fragen: Warum sollte man den höchsten Berg besteigen? Warum wurde vor 35 Jahren der Atlantik überflogen?
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Wir werden zum Mond fliegen. Wir werden noch in diesem Jahrzehnt zum Mond fliegen und all die anderen Dinge tun - nicht, weil sie leicht sind, sondern weil sie schwer sind; weil dieses Ziel dazu dienen wird, das Beste aus unseren Energien und Fähigkeiten herauszuholen; weil wir uns dieser Herausforderung stellen wollen, sie nicht aufschieben werden und vorhaben, sie zu meistern [...].«
US-PRÄSIDENT JOHN F. KENNEDY
Elf Minuten lang donnerten die gewaltigen Triebwerke und verbrannten über 2000 Tonnen flüssigen Sauerstoff und Kerosin - ganze 13 Tonnen pro Sekunde -, um die drei Astronauten in den Himmel zu befördern.
Zweieinhalb Stunden, nachdem sie mit 40 000 Stundenkilometern die Erdumlaufbahn erreicht hatten, brachte sie eine weitere Zündung der Triebwerke auf Mondkurs. Die folgenden drei Tage reiste die Besatzung durch den Weltraum und verschwand schließlich am vierten Tag hinter dem Mond und aus der Sichtweite der Erde. Durch die Zündung mehrerer Raketen begannen die Astronauten ihren Sinkflug und gelangten hundert Kilometer über der staubigen Oberfläche des Mondes in seinen Orbit.
Armstrong und Aldrin kletterten in die Eagle und verabschiedeten sich von Collins. Er würde allein in der Columbia im Orbit zurückbleiben, während seine Kollegen den Mond betraten. Das Landefahrzeug wurde vom Raumschiff abgekoppelt und zwölf Minuten lang steuerte ein Computer Armstrong und Aldrin auf die Mondoberfläche zu. Fünf Minuten nach Beginn des Sinkflugs gab es einen kurzen Moment der Angst im Mission Control Center, als Aldrin den Computer zur Berechnung der Flughöhe anwies und zur Antwort eine Fehlermeldung bekam. Sollten sie ihr Vorhaben abbrechen? Die Ingenieure auf der Erde behielten einen kühlen Kopf und kamen zu dem Schluss, dass es sicher war, die Meldung zu ignorieren und fortzufahren.
Doch nur ein paar Minuten später gab es einen weiteren Grund zur Sorge. Armstrong sah, dass der Krater, auf den der Computer die Eagle zusteuerte, mit großen Felsen übersät war. Er übernahm selbst die Kontrolle und lenkte das Fahrzeug auf eine ebenere Stelle zu, wobei zusätzlicher Treibstoff verbrannt wurde. Als die Eagle schließlich im Mare Tranquillitatis aufsetzte, hatte sie lediglich Kraftstoff für 30 Sekunden übrig.
Die Landung war die sanfteste, die die Piloten je erlebt hatten. Die Schwerkraft auf dem Mond beträgt nur ein Sechstel der Erdanziehungskraft und die Astronauten spürten beim Aufsetzen keinen Stoß. Nur durch das Aufleuchten des Kontaktlichtes konnten sie sich sicher sein, dass sie gelandet waren.
»Houston, hier Tranquility Base. Der Adler ist gelandet!«, sagte Armstrong mit unbändiger Freude in seiner sonst eher beherrschten Stimme. Doch statt sofort einen Fuß auf den Mond zu setzen, blieben Armstrong und Aldrin noch weitere vier Stunden im Cockpit und ruhten sich aus. Sie brannten darauf, endlich auszusteigen, hatten aber auch Befürchtungen: Würden ihre Raumanzüge sie auch wirklich vor dem Vakuum auf dem Mond schützen und würde ihnen der Start für den Rückflug gelingen?
Doch dann war es so weit. Neil Armstrong verließ die Eagle, stieg die Treppe hinab und betrat - 109 Stunden und 42 Minuten, nachdem er die Erde verlassen hatte - den Mond. Rund 530 Millionen Menschen sahen ihm dabei auf ihren Fernsehbildschirmen zu und lauschten seiner Stimme, als er »[.] einen kleinen Schritt für den [beziehungsweise: einen] Menschen, aber einen riesigen Sprung für die Menschheit« tat. Nach zwanzig Minuten verließ auch Aldrin die Landefähre und wurde zum zweiten Menschen, der seine Fußabdrücke im Mondstaub hinterließ. Die Astronauten stellten die TV-Kamera in etwa neun Metern Entfernung zum Landefahrzeug auf einem Stativ auf, um ihre Tätgikeiten live zu übertragen. Eine halbe Stunde, nachdem sie ihren Mondspaziergang begonnen hatten, telefonierten sie mit Präsident Nixon. In den nächsten zweieinhalb Stunden sammelten die Raumfahrer Gesteinsproben, machten Fotos und bauten Experimente auf. Sie hissten nicht nur die US-amerikanische Flagge auf dem Mond, sondern hinterließen zudem eine sowjetische Medaille zu Ehren Juri Gagarins, der ein Jahr zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Armstrong und Aldrin verbrachten 21 Stunden und 36 Minuten auf der Mondoberfläche, von denen sie sieben Stunden schliefen....