Schweitzer Fachinformationen
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Stell dir vor, du schreibst einem Freund einen Brief oder sendest ihm eine Karte und neben den Zeilen malst du etwas, klebst ein paar Zeitungsschnipsel auf oder machst eine Fotocollage. Und das zu einem Thema, das viele Menschen beschäftigt und über eine ganz private Korrespondenz hinausgeht. Oder du erfährst, dass sich irgendwo jemand für deine Meinung zu einem bestimmten Thema interessiert und schickst ihm mit der Post deinen Beitrag. Vielleicht aber kennst du eine Menge Leute und du schreibst ihnen und lässt dir von ihnen ihre Ideen zu deinem Projekt zusenden. Jeder Tag wird dir neue Überraschungen bringen und du wirst staunen über die verschiedenen Ideen und Meinungen, Ansichten und Ausdrucksformen. Später wirst du diese Sendungen aus aller Welt deinen Freunden und Bekannten zeigen. Das ist Mail-Art. Du bist verwoben in einem unsichtbaren Netz von Menschen unterschiedlicher Nationen und Rassen, die sich Gedanken machen und versuchen, mit anderen ihre Ideen auszutauschen.
Nestor der Mail-Art war Ray Johnson (1926-1995), der in den 60er Jahren das postalische System zum künstlerischen Medium machte. Das von ihm geschaffene Kunst-Netzwerk mit dem Namen The New York Correspondence School of Art sollte den Austausch von geschriebenen und bildnerischen Werken jenseits der Galerien und Museen fördern. Jeder, der wollte, konnte sich beteiligen und seine Post mit der Aufforderung verschicken, sie zu ergänzen, zu erweitern, dem Nächsten zukommen zu lassen oder zurück zu senden. Diese Kettenbriefe begründeten die ersten kleinen Netzwerke.
Die Postkunst hatte nie feste Regeln und Strukturen, sondern nur ein paar ungeschriebene Gesetze: No Jury, No Fee, No Return und jeder Teilnehmer erhält eine Dokumentation der Ausstellung und die Adressen aller Beteiligten. Im Osten hatte die Mail-Art einen besonderen Aspekt. Oft als einziges Fenster zur Welt, ermöglichte sie zu überschaubaren Preisen einen kreativen Gedankenaustausch und globale Kommunikation. Robert Rehfeld (1923-1993) war ihr stiller Protagonist in der DDR. Mit seinen hintersinnigen Stempelkarten und Briefen holte er die Mail-Art hinter den Eisernen Vorhang. Solche Slogans wie »Ich sende Ihnen einen Gedanken, bitte denken Sie ihn weiter«, »Künstler kommen und gehen, Kunst aber bleibt« oder »Kunst ist, wenn sie trotzdem entsteht« und »Drücke der Zukunft Deinen Stempel auf« waren den Genossen suspekt. Im Spannungsfeld zwischen West und Ost, waren wir eine Handvoll Leute, die sich über Grenzen hinwegsetzten und an Ideologien vorbei, humorvoll und mit vielen Ideen sich untereinander das Leben erträglicher machen wollten. Das war im kontrollierten Land der »Diktatur des Proletariats« zu viel, als dass es ungestraft hingenommen werden konnte.
Durch verschiedene Mail-Art-Ausstellungen in Warschau, Krakau und vom Katalog »Künstlerpostkarten und Mail-Art« der Galerie Arkade aus Ost-Berlin angeregt, begannen 1979 Birger Jesch, Joachim Stange, Martina und Steffen Giersch, Jörg Sonntag und ich in Dresden mit den ersten Beiträgen und eigenen Postkarten und Objekten. Unsere Projekte hießen z. B.: »SCHIEßSCHEIBEN« und »ALLES NOCH BEIM ALTEN?« (Jesch), »MOBIL OHNE AUTOMOBIL« (Giersch), »MAKE LOVE - NOT WAR« und »URDEUT SCHE GEMÜTLICHKEIT« (Stange) sowie »WARTEKRITZELEIEN« und »VISUELLE EROTIK« (Gottschalk).
Dazu kamen viele Besuche, auch aus dem Westen, mit denen gemeinsame Post-Kunst-Aktionen realisiert wurden. In diese Zeit fielen auch meine Reisen nach Polen. Bei meiner
Einladungen zu Mailart-Aktionen konnten so aussehen, wie für das Projekt »Wartekritzeleien« von Jürgen Gottschalk.
Beitrag von Jürgen Gottschalk zu seinem Projekt »Wartekritzeleien«.
Postkarten zu Friedensthemen
»Zum Beispiel« von Manfred Butzmann (Berlin), 1981.
»Vertrauen wagen« von Wolf-Dieter Trümpler (Holzhausen), 1983.
»Gut behütet« von Steffen Giersch (Dresden), 1984.
»Liebe aufrüsten« von Joachim Stange (Dresden), 1981.
»German Dilemma« von Jürgen Gottschalk (Dresden)
SOFD (Sozialer Friedensdienst) von Gerd Börner (Berlin), 1982.
»Stand der militärtechnischen Entwicklung vor 35 Jahren« von Birger Jesch (Dresden), 1980. Das Foto zeigt das im 2. Weltkrieg zerstörte Dresden.
Postkarten zu Umweltthemen
»Energie sparen« von Jürgen Gottschalk (Dresden)
»Bring ein Stück Natur in die Stadt« von Wolfgang Joseph Huber (Berlin), 1982
Rückseite von »Bring ein Stück Natur in die Stadt« von Wolfgang Joseph Huber.
»Mobil ohne Auto« ein Beitrag des amerikanischen Mailartisten und Netzwerker Lon Spiegelman (Los Angeles)
Rückseite von »Mobil ohne Auto« von Lon Spiegelman (Los Angeles)
»Denk-Zettel 1« von Wolfgang Joseph Huber (Berlin), 1979.
Postkarten mit dem Themenbezug Freiheit
Postkarte von Lutz Wierszbowski (Berlin), 1982.
Postkarte von Uwe Dressler (Cottbus), 1982.
Postkarte von Friedrich Winnes (Berlin), 1984
Beteiligung an der Mail-Art-Aktion »Solidarität mit Solidarnosc« im Oktober 1981 und der Teilnahme an der Triennale in Wroclaw im darauffolgenden Monat hatte ich Kontakte zu Künstlern, Intellektuellen und Solidarnosc-Anhängern geknüpft. Der geplante Gegenbesuch der Polen im Dezember musste wegen der Verhängung des Kriegszustandes ausfallen. Ich unterstützte unsere Nachbarn mit Lebensmittelpaketen und entwarf eine rot-weiße Neujahrspostkarte.
Meine Möglichkeit, für Freunde und Bekannte drucken zu dürfen, sorgte bei der Stasi-Bezirksverwaltung in der Bautzner Straße für Hysterie. Die vorhandene Druckgenehmigung der zentralen Gutachterkommission veranlasste die Stasi zu »Gegenmaßnahmen«. Diese bekam ich mit einer endlosen Reihe von Verboten, Verfügungen und Strafverfahren zu spüren. Geplante Ausstellungen und private Feste wurden verboten, der Verkauf von Drucken wurde mir untersagt, Briefsendungen wurden massenhaft eingezogen und der Kontakt mit meinen Freunden im Ausland erheblich behindert. Druckmaterial, das mir ein Freund aus dem Westen mitgebracht hatte, wurde an der Grenze beschlagnahmt. Von dem Freund wurde eine Geldstrafe von 400,- DM kassiert und ich musste, nachdem ich mich über dieses Vorgehen beschwert hatte, 1.200,- Ostmark bezahlen.
»Nach Abstimmung zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit und der Zollverwaltung der DDR, Bezirksverwaltung Dresden« wertete der Zoll auch den Versand meiner Postkarten ins westliche Ausland als Zoll- und Devisenverstoß und hat gegen uns »ein Verfahren zur Verfolgung von Zoll- und Devisenvergehen eingeleitet, in deren Ergebnis für das gleiche Zollvergehen unterschiedliche Strafmaße (zwischen 300 und 500 Mark) ausgesprochen wurden«.8 Mit dieser Straf-Staffelung sollte unser »innerer Zusammenhalt« gestört
Für die Stasi eine Provokation: Drucken für Freunde und Bekannte.
werden.9 Die Stasi reagierte aber nicht nur mit Verboten. Der gesamte Bereich des offiziellen kulturellen Lebens in Dresden wurde angewiesen, meine Anfragen, Vorschläge und Eingaben zu ignorieren oder aber abschlägig zu behandeln.
1981 eröffnete die Abteilung XX der Dresdner Stasi-Bezirksverwaltung den Operativen Vorgang »Feind« mit der Zielstellung, »die erfassten Personen gegeneinander auszuspielen, zu verunsichern, zu zersetzen, zu liquidieren und strafrechtliche Beweise für eine Inhaftierung zu schaffen«.10 Welcher Aufwand betrieben wurde und mit welcher Verbissenheit man an »Gegenmaßnahmen« bastelte, um uns an unseren Aktivitäten zu hindern, offenbarte sich uns erst beim Lesen der Stasi-Akten im Jahr 1992. Erst dann konnten wir einige Ereignisse und Reaktionen im rechten Licht sehen und das perfide Spiel der Stasi zwischen IM und Behörde im Detail erkennen. Allein die Sichtweise der Stasi auf unsere Gruppe: »es handelt sich um eine vom Westen gesteuerte konterrevolutionäre Untergrundgruppe«11 lässt darauf schließen, mit welchen...
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