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«Die Langobarden . werden gemeinhin so genannt wegen ihrer herunterhängenden und niemals geschnittenen Bärte» (IE IX,2,95). Schon frühmittelalterliche Gelehrte wie Isidor von Sevilla (gest. 636) fragten sich, was man über ein Volk denken solle, das sich selbst «die Langbärtigen» nannte. Im Unterschied zu Volksbezeichnungen wie «die Franken» - was übersetzt «die Frechen» heißt - oder auch «die Alemannen», deren Name ganze Männer versprach, machte sich der Volksname «Langobarden» am männlichen Accessoire ihrer Rauschebärte fest. Allzu exklusiv konnte das nicht gemeint sein, stand es doch nahezu jedem erwachsenen Mann frei, sich einen Bart stehen zu lassen und, sofern er nur gemeinsam mit den anderen kämpfte, dazuzugehören. Indem sie ihr Gesichtshaar in natürlicher Schönheit und ohne viel Pflege sprießen ließen, wollten die Langobarden als ein Volk wackerer Krieger gelten, das sich mit einem archaisch-maskulinen und wenig zivilisiert anmutenden Selbstbild viel auf seine Bodenständigkeit zugutehielt. Assoziationen naturverbundener und robuster Virilität sollten sich beim Klang seines gemütvollen Namens einstellen, vielleicht auch Verknüpfungen mit Religion, Fruchtbarkeit und Magie - je nach dem, was man in lange Bärte hineinzulesen bereit war (und ist).
Erfreulicherweise haben bereits die Langobarden selbst ihren so schlicht klingenden Volksnamen auf unnachahmliche Weise karikiert. Ursprünglich, so kündete ihr Herkunftsmythos, hätten sie nämlich gar nicht «Langobarden» geheißen, sondern «Winniler», und seien ein ziemlich kleines Völkchen gewesen, das zunächst auch noch gar nicht von einem König regiert worden sei. Anführerin dieser von einer skandinavischen Insel stammenden und wohl im Elbegebiet siedelnden Winniler sei vielmehr eine Frau namens Gambara gewesen, die gemeinsam mit ihren beiden Söhnen Ibor und Agio das Sagen hatte. Als das feindliche und stärkere Volk der Vandalen sich die Winniler tributpflichtig machen wollte, zogen diese den Kampf vor, und alsbald erflehten beide Völker dafür die Unterstützung des Kriegsgottes Wodan. Unparteiisch habe Wodan, als ihn zuerst die Vandalen anriefen, erklärt, er werde demjenigen Volk den Sieg geben, welches er bei Sonnenaufgang zuerst erblicken würde. Gambara und ihre Söhne wandten sich daher an Wodans Gemahlin Frea, die ihnen den Rat gab, bei Sonnenaufgang auch mit ihren Frauen zu erscheinen, die sich dafür ihre langen Haare wie Bärte ins Gesicht hängen lassen sollten. Und so kam es. Kurz vor Sonnenaufgang weckte Frea ihren Gatten Wodan und drehte sein Bett, damit sein Blick zuerst auf die überraschend zahlenstarke Schar der bärtigen Winniler fiel, so dass er fragte: «Wer sind diese Langbärte?» Woraufhin Frea ihm antwortete: «Herr, du hast ihnen den Namen gegeben, jetzt gibt ihnen auch den Sieg.» So geschah es - und seitdem hätten die Winniler den Namen «Langobarden» getragen. Unter ihrem neuen Namen sollten sie sich bald darauf auf die Wanderung nach Süden begeben, die sie über Böhmen und die Donaugebiete schließlich bis nach Italien führte.
Moderne Betrachter geraten über die legendenhafte Überlieferung immer wieder ins Schmunzeln und Staunen. Die Geschichte der einfallsreichen Göttin Frea, die Wodan überlistete, fordert denn auch zu Spekulationen förmlich heraus: Waren die Langobarden ein Häuflein trostloser Mannsbilder, denen ohne die Klugheit ihrer Frauen das überlebensnotwendige Kriegsglück gefehlt hätte? Warum vertauschte die Erzählung die Geschlechterrollen? Galten den Langobarden Verschlagenheit und Täuschung mehr als echte militärische Stärke? Und warum wechselte dieses Volk von heute auf morgen seinen Namen, und gab sich eine derart «offene» Kollektivbezeichnung? Dieser «Ursprungsbericht des Volkes der Langobarden» (OGL), den wir in Variationen auch aus anderen Quellen kennen (FC III,65; HL I,3 u. 7-?9), enthält Motive wie den Göttertrug oder die Göttin als Helferin, die bereits aus antiken Überlieferungen bekannt sind. Er ist jedoch weniger darauf zurückzuführen, dass es bei den Langobarden zu frühen Zeiten ein Matriarchat gegeben hätte, als darauf, dass in historischer Zeit (also im nachmaligen Italien) bei den Langobarden Königinnen außerordentlich wichtig waren und ihren Ehemännern zu Legitimität verhalfen. Wie Mythen liefern solche Erzählungen über Herkunft und Ankunft von Völkern daher keine Geschichte, die sich in den Details kritisch überprüfen ließe, sondern drücken vielmehr eine geordnete Erfahrung aus. In einprägsamer und unterhaltsamer Weise erzählen sie das, was mit Blick auf die eigene, gewachsene Identität als so essentiell galt, dass man sich dessen historisch zu vergewissern suchte. Man spricht in dem Fall von «aitiologischen Sagen» - Sagen, die Gründe für bestimmte Begebenheiten liefern: Neben der Bedeutung ihrer Königinnen spiegelten die Langobarden ihre traditionelle Feindschaft mit dem germanischen Volk der Vandalen, die sie als konstitutiv für ihre eigene Volkswerdung ansahen, in die mythische Frühzeit zurück. Ob man aus dem Mythos sogar auf einen von höchster Stelle verordneten Religionswechsel der Langobarden schließen darf - von der Verehrung einer Fruchtbarkeits- und Muttergottheit zu derjenigen eines Kriegsgottes -, ist nicht sicher zu beurteilen. In jedem Fall war diese Herkunftsgeschichte - im Übrigen der älteste Göttermythos eines germanischen Volkes, den wir kennen - für die Langobarden selbst so prägend, dass sie sie später sogar ihrem Gesetzbuch voranstellten, als sich das Volk der Langbärte schon längst zum christlichen Glauben bekannte.
Der modernen historischen, archäologischen und sprachgeschichtlichen Forschung zu den Langobarden stellt sich die Frühgeschichte der Langobarden weit nüchterner dar. Ob die Langobarden wirklich aus Skandinavien stammten, lässt sich nicht sicher belegen. Auch andere germanische Völker wie die Goten haben das von sich behauptet. Bereits antiken Schriftstellern galt das kalte Skandinavien als der fruchtbare «Mutterleib der Völker» (vagina gentium), wo sich unzählige, kraftstrotzende «Barbaren» ständig vermehrten, die sie fortwährend auf die Grenzen des römischen Reiches vorrücken ließen. Doch schließt im Fall der Langobarden der westgermanische Charakter ihrer Sprache eine nordgermanische Herkunft geradezu aus. Größere Sicherheit ist erst für die ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte zu gewinnen, als römische Schriftsteller wie Strabo, Velleius Paterculus, Tacitus und Cassius Dio die Langobarden unter den Völkern des unteren Elbegebietes erwähnten. Allerdings liegen danach für mehr als dreihundert Jahre keine belastbaren Informationen über die Langobarden vor. Dann ist ein Volk dieses Namens plötzlich mehr als 700 Kilometer weiter südlich im Donaugebiet, in Pannonien und schließlich in Italien bezeugt. Doch waren die in großer Zahl an der Donau siedelnden Langobarden des 5. Jahrhunderts noch mit dem kleinen Volk der Langbärte an der Niederelbe aus dem 2. Jahrhunderts identisch - hatte zwischenzeitlich eine Wanderung stattgefunden? Oder sollte man lediglich von einer «nominellen» Kontinuität sprechen? Könnte es am Ende sogar so sein, dass ein späteres Volk sich einfach den Namen eines früheren zulegte, ohne in einer direkten Tradition zu ihm zu stehen? Auch die Archäologie kann bei der Etablierung von Kontinuitätslinien keine Sicherheit bieten, da die in den erwähnten Gebieten gefundenen Gräber und materiellen Hinterlassenschaften dieser Zeit keine exklusiven Merkmale aufweisen, die nur einem «Volk» allein zuzuweisen wären.
Sichereren Boden betritt die Forschung daher erst mit dem ausgehenden 5. Jahrhundert: Am nördlichen Ufer der Donau im heutigen Niederösterreich, gegenüber dem Ort Mautern (einst: Favianis), sind die Langobarden offenbar mit Zustimmung des oströmischen Kaisers Zenon in ein Gebiet eingerückt, in dem zuvor das germanische Volk der Rugier ansässig war. Truppen des weströmischen Offiziers und Königs Odoaker hatten im Jahr 488 die Rugier besiegt, so dass die Langobarden für einige Jahre dieses «Rugiland» bewohnen durften (OGL); das Territorium gehörte zu den Grenzgebieten des in Auflösung befindlichen römischen Reiches im Donauraum. Die dortige Provinzbevölkerung war bereits zuvor evakuiert worden. ...
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