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Das Glück, unterschätzt zu werden, ist kaum zu überschätzen. Jutta Limbach, einen Meter sechzig groß, leise Stimme, freundliches Lächeln, hatte in dieser Hinsicht viel Glück. Ironisch schmunzelnd ging sie darüber hinweg, um die Chance wissend, immer mal wieder verblüffen zu können, «daß sie genauso ist, wie sie aussieht, aber entschieden anders, als man denkt».[1] «Nett» und «mütterlich» war sie auch, aber nicht nur. «Glauben Sie, dass ich mit Nettigkeit so weit gekommen wäre?», entgegnete sie Journalistinnen und Journalisten, wenn sie für ihre herzliche Art gerühmt wurde.
Erstaunen erntete sie auch bei ihrem ersten Auftritt in der Stadt, von der aus sie wenige Jahre später so prägend wirken sollte. 1989 hatte man sie nach Karlsruhe eingeladen, um über ihre Erfahrungen als Justizsenatorin in der rot-grünen Koalition zu sprechen. Ins Winzerhaus am Badischen Staatstheater war die ganze «Residenz des Rechts» geladen, eine fast reine Männerrunde, die mit verschränkten Armen und skeptischen Mienen dasaß. In der anschließenden Diskussion schlug ihr zunächst der ganze Dünkel des «Hohen Hauses» entgegen, der allerdings bald in Verblüffung und Respekt umschlug: «Kaum zu glauben, wie sie - immer lieb und freundlich - jeden Widersacher mit ein paar intellektuellen Judogriffen auf die Bretter legt», kommentierte ein Zuhörer.[2] Diese Einschätzung teilte auch die F.A.Z., als sie 2002 Bilanz über das Wirken der scheidenden Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts zog: «Man muß sie fürchten und lieben zugleich.»[3] Jutta Limbach hatte den Humor und die Selbstironie, um solche Sätze als Kompliment zu nehmen. Auch der Spitzname «Miss Marple in der roten Robe» gefiel ihr, schließlich ist auch Agatha Christies Detektivin immer für eine Überraschung gut und keineswegs so naiv, wie sie zu sein scheint. Ganz besonders aber mochte sie den Ehrentitel «Jutta Courage», denn eine Frau brauchte (und braucht) besonderen Schneid, um in der dünnen Luft der Politik aufzusteigen.
Geboren 1934 in Berlin-Neukölln, durchlebte Jutta Limbach, Urenkelin und Enkelin von beherzten Sozialdemokratinnen und Tochter eines in der NS-Zeit drangsalierten Vaters, die besonderen Herausforderungen ihrer Generation und Herkunft: den Bombenhagel auf ihre Heimatstadt, die Evakuierung in den letzten Kriegsjahren, die Schulzeit auf Reformschule und Lyzeum. Nach dem Jurastudium an der wenige Jahre zuvor gegründeten Freien Universität Berlin begann eine rasche Folge von Karriereschritten, bei denen sie immer die Erste war: die erste Juraprofessorin an der FU Berlin, die erste Justizsenatorin von Berlin, die erste Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, die erste Präsidentin des Goethe-Instituts. Um ein Haar wäre sie die erste deutsche Bundespräsidentin geworden.
Jutta Limbach machte Karriere in bundesrepublikanisch turbulenten und dynamischen Zeiten - anhand ihrer Lebensgeschichte lässt sich deshalb die westdeutsche und nach 1989 auch die gesamtdeutsche Geschichte nachzeichnen: Professorin wurde sie in der heißen Phase der Studentenbewegung, in der Politik war sie erst knapp ein Jahr, als die Mauer fiel und sie sich plötzlich als Justizsenatorin im wiedervereinigten Berlin mit unerwarteten Aufgaben konfrontiert sah: der Herstellung der Rechtseinheit oder der Verfolgung der DDR-Regierungskriminalität, wozu auch gehörte, Erich Honecker vor Gericht zu bringen. Mitten in der Urteilsfindung über den Einsatz der Bundeswehr in Somalia kam sie als Richterin und Vizepräsidentin ans Bundesverfassungsgericht und hatte wenig später als dessen Präsidentin kontroverse Entscheidungen zur Äußerung «Soldaten sind Mörder» oder zum Anbringen beziehungsweise Abhängen von Kruzifixen in bayerischen Schulen vor der Öffentlichkeit zu vertreten. Präsidentin des Goethe-Instituts wurde sie, als dieses gerade wieder empfindlich unterfinanziert war und mit den Schließungen vieler Niederlassungen in den Jahren zuvor umgehen musste. Jutta Limbach übernahm Verantwortung, wenn es um politische, soziale, juristische, kulturelle und geschlechterpolitische Weichenstellungen ging. Das bedeutete nicht, dass sie kein Privatleben gehabt hätte: Sie zog drei Kinder groß und hatte einen Ehemann, der ihre Entscheidungen partnerschaftlich mittrug und in die Rolle eines «neuen Vaters» schlüpfte, lange bevor diese seltene Spezies in den achtziger Jahren zögernd auf den Plan trat.
Eine Bilderbuchkarriere, könnte man meinen - wenn man der «biografischen Illusion» (Pierre Bourdieu) aufsitzt, Jutta Limbachs Lebensweg als kohärent, logisch und zielgerichtet zu betrachten. Zwar lässt sich beobachten, wie sehr sie von der familiären und schulischen Sozialisation geprägt wurde, wie sie Netzwerke nutzte und ihr soziales, ökonomisches, kulturelles und symbolisches «Kapital» im Bourdieu'schen Sinne für ihre Karriere einsetzte.[4] Aber es hätte auch anders kommen können, denn es gab biografische Brüche, unerwartete Kontrahenten, willkürliche Entscheidungen und unerwartete Umstände, die ihre Planungen auf den Kopf stellten. Im Leben der «Lady», wie Jutta Limbach ihre Weggefährtinnen gerne begrüßte, gab es beflügelnden Rückenwind ebenso wie neidvolle Widersacherinnen. Und nicht zuletzt spielen bei einer Persönlichkeit der Zeitgeschichte immer auch die Medien eine entscheidende Rolle, mal als Weichensteller, mal als Karrierebremser.
In meiner Biografie über Jutta Limbach nehmen Medien als Quelle deshalb viel Raum ein. Vor allem aber gibt der umfangreiche Nachlass Limbachs im Koblenzer Bundesarchiv Auskunft. Besonders gut dokumentiert sind hier die Jahre im Berliner Senat, und ergänzend hat mir Jutta Limbachs Ehemann Peter sieben private Tagebücher aus dieser Zeit zur Verfügung gestellt. Jutta Limbachs - so sah sie es - «aufregendster» Lebensstation konnte ich so bis in den Alltag hinein nachspüren und dicht beschreiben. Doch es ging mir auch darum, den Lebensweg von Jutta Limbach aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dazu habe ich einundzwanzig Interviews geführt, mit der Familie, mit Schulfreundinnen, mit Mitarbeiterinnen, Wegbegleitern, Mitstreiterinnen und Zeitgenossen.
«Eines Tages», schrieb Jutta Limbach in einem Geburtstagsbrief an ihre Kollegin Christine Hohmann-Dennhardt, «wirst Du Deine Memoiren schreiben und Auskunft geben, wie Du Mann, Kinder und herausfordernde Berufsarbeit vereinbart und dennoch stets Eleganz, Liebenswürdigkeit und Frohsinn ausgestrahlt hast.»[5] Ihre eigenen Memoiren hat sie nie geschrieben, auch wenn ihr Verleger Wolfgang Beck sie immer wieder dazu ermunterte. «Sie wollte es nicht», sagt Peter Limbach. «Vielleicht aus Scheu, öffentlich Rechenschaft ablegen zu müssen, aber auch, weil sie mit zunehmendem Alter ihren Erinnerungen misstraute.»[6] Allerdings hat sie eine Vielzahl von autobiografisch gefärbten Artikeln verfasst und in Gesprächen mit Journalistinnen und Journalisten aus ihrem Leben erzählt.[7]
Jutta Limbach auf ihr Äußeres zu reduzieren, wäre grob fahrlässig. Aber sich gut und glänzend zu kleiden - das liebte sie nun mal. Hier ist sie im Gespräch mit der Autorin, und an jenem 7. März 2011 entstand die Idee zu dieser Biografie.
Dass ich ihre Biografie geschrieben habe, liegt einerseits an meinem Interesse an Geschlechtergeschichte. Wer war diese Frau, in den dreißiger Jahren geboren, die eine ganze Kette von Spitzenpositionen besetzte, als die meisten Frauen noch ihrer «weiblichen Berufung» folgten? Doch der eigentliche Anstoß kam von anderer Seite. Als damalige Vizepräsidentin der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg wollte ich Jutta Limbach als Rednerin für den «Internationalen Frauentag» am 8. März 2011 gewinnen. Obschon im «Ruhestand», war ihr Terminkalender für diesen Tag randvoll, so dass wir kurzerhand den Feiertag vorverlegten. Sie kam und sprach passend zum Anlass über «Geschlechtergerechtigkeit in Programm und Wirklichkeit». Nach einem gemeinsamen Abendessen ging es noch für einen Absacker an die Hotelbar. Überraschend gesellte sich Ralph Giordano, der seine Autobiografie in Oldenburg vorgestellt hatte, dazu. Man kannte und schätzte sich. «Und wann schreiben Sie Ihre Memoiren?», fragte Giordano. «Nie, ich traue meinem Gedächtnis zu wenig», war die spontane Antwort. Doch...
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