Schweitzer Fachinformationen
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In diesem Buch berichte ich über meinen Versuch, ein Jahr lang täglich draußen schwimmen zu gehen.
Ums vorweg ganz trocken festzustellen: Das Wasser wurde mir nicht in die Wiege gelegt - ich betrachte mich als Prototyp einer Landratte, und im Gegensatz zu meiner Schwester Melani, die schon als Dreijährige das Schwimmen lernte und sich schon als Kind weit ins offene Meer hinauswagte, blieb ich lieber am Strand liegen und hütete das Badelaken.
Das könnte mit meiner - ursprünglich - spiddeligen Konstitution zu tun gehabt haben: Als Erstklässler wog ich mickrige 20 Kilo, entbehrte jeglicher Isolierschicht, und als ich auf die Freischwimmerprüfung vorbereitet wurde, durfte, ja musste ich alle paar Minuten das Lehrbecken verlassen, um mich am Heizkörper aufzuwärmen.
Hajo, mein Sandkastenfreund aus dem Nachbarhaus, hatte eine Großmutter namens Oma Martha. Von dieser beängstigend durchtrainierten, wettergegerbten Seniorin mit Lederhand erzählte man, dass sie so gut wie jeden Tag schwimmen gehe - das sei förderlich für die Gesundheit. Ich hörte interessiert und in kindlicher Ehrfurcht zu.
Eines Tages starb Oma Martha, und der kleine Wigald schloss daraus, dass das tägliche Schwimmen so wahnsinnsgesund dann ja kaum sein könne.
Auch als Jugendlicher blieb ich latent wasserscheu und feierte mein Landrattentum. Stammte der Spruch »Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser!« nicht von Kaiser Wilhelm II.?
Natürlich hatte der mit diesem Motto etwas anderes im Sinn, nämlich den Aufbau einer schlagkräftigen Kriegsmarine. Auf jeden Fall war der Hohenzoller ein Loser, ein Irrtum der Geschichte - etwa so schlaumeierte ich als hydrophober Halbstarker.
In meinen frühen Zwanzigern hatte ich's generell nicht so mit Sport, dafür hörte ich gerne Jazz, schaute Truffaut-Filme und las das Standardwerk »Englische Exzentriker« von Edith Sitwell - eines meiner Lieblingsbücher bis heute.
In einem Kapitel geht es um Matthew Robinson-Morris, den 2. Baron Rokeby, einen englischen Adeligen des 18. Jahrhunderts, der das Schwimmen so sehr liebte, dass er sein Landleben mehr und mehr gegen eine amphibische Lebensweise eintauschte.
Mehrfach musste er aus der Nordsee gerettet werden, weil er sich schwimmerisch übernommen hatte. Auf seinem Grundstück errichtete er ein gläsernes Hallenbad nach Art eines Gewächshauses, das er nur in Ausnahmefällen verließ - im Grunde nur, um seine wenigen Freunde mit dem Vortrag ebenso langer wie langweiliger, selbstverfasster Gedichte zu beglücken. Nicht weniger lang war sein Bart, der, wenn der nasse Baron doch einmal auf der Dorfstraße unterwegs war, zwischen seinen Beinen baumelte und eine markante Tropfspur hinterließ.
Lord Rokeby wurde zu einem meiner Lieblingssportler. Seit Jugendtagen begleitet mich ein Stahlstich mit seinem Konterfei, momentan steht es bei mir auf dem Schreibtisch, gleich neben einer im Internet erworbenen signierten Sammelkarte von Gertrude Ederle.
Die New Yorkerin gewann bei den Olympischen Spielen in Amsterdam 1924 drei Medaillen und schaffte es zwei Jahre später als erste Frau, den Ärmelkanal zu durchschwimmen, in vierzehneinhalb Stunden - zwei Stunden schneller als der bisherige (männliche) Rekordhalter. Ederle war auch die erste Sportlerin mit einem Werbevertrag: Sie schwamm exklusiv mit einer Rolex am Handgelenk.
Infolge einer Maserninfektion war sie schon als Kind schwerhörig, ertaubte später ganz. Durch eine Wirbelsäulenverletzung wurde sie 1933 zudem gelähmt, schaffte es durch unermüdliches Training jedoch sechs Jahre später, den Rollstuhl wieder zu verlassen. Fortan brachte sie taubstummen Kindern das Schwimmen bei, bis sie 2003 mit 98 Jahren starb.
Ich lege mich fest: Lord Rokeby, Gertrude Ederle und natürlich meine Frau - das sind meine persönlichen Helden.
Zunächst verehrte ich die beiden Ersteren ausschließlich vom Beckenrand aus, aber Anfang der 2000er - ich hatte seit einigen Jahren den Ausdauersport für mich entdeckt - ließ ich mich zur Teilnahme an einem Triathlon hinreißen. Auserwählt für dieses Unterfangen hatte ich den Auerberg-Triathlon in meinem damaligen Wohnort Bernbeuren, über die olympische Distanz, also mit 1,5 Kilometern Schwimmen.
So 'n richtiger Triathlet, so meinte ich damals, müsse kraulen, im Neoprenanzug - Ersteres konnte, Letzteres hatte ich nicht.
Nach einiger Zeit überwand ich mich, kaufte mir einen Drei-Millimeter-Neo mit dem betörenden Markennamen »Allgäu-Hai« und adressierte im »Plantsch«, dem Hallenbad der Stadt Schongau, einen kompetent wirkenden Bademeister und fragte, ob er mir nicht gegen Honorar eine wettkampftaugliche Kraultechnik beibringen wolle?! »Aber gern!«
Und so erschien ich zum Einzelunterricht und erhielt wertvolle Techniktipps - dass ich z. B. abwechselnd nach links und nach rechts atmen solle, um mich im Freiwasser besser orientieren zu können.
Andere hängen sich Pin-up-Girls in den Spind, ich bevorzuge schrullige Blaublüter aus dem 18. Jahrhundert.
Meine Haxen band der Fachmann kurzerhand mit einem Fahrradschlauch zusammen, um mir meinen großamplitudigen Beinschlag abzugewöhnen und die Wasserlage zu verbessern. Eine einzige Lehrstunde bewirkte, dass ich im Jahr 2002 am Auerberg-Triathlon teilnehmen konnte, ohne allzu unangenehm aufzufallen.
Falls du, liebe Leserin, lieber Leser (unter Sportlern wird geduzt), dich ebenso für eine Landratte hältst wie ich mich und dennoch deine Schwimmtechnik verbessern willst (oder überhaupt erst mal die Grundlagen lernen), ist es sicher nicht die allerschlechteste Idee, einen Fuffi in eine oder zwei Privatstunden zu investieren.
Ich habe einige Abos auf dem Handy, die deutlich mehr gekostet und mein Leben wesentlich weniger bereichert haben als der Kraul-Crashkurs.
In den folgenden Jahren verbrachte ich reichlich Zeit in Hallenbädern, was bis heute für mich eine intellektuelle und mentale Herausforderung ist: An schlechten Tagen schaue ich schon bald auf die Uhr, um entsetzt festzustellen, dass erst wenige Minuten verstrichen sind - ein Problem, das ich vom Laufen und Radeln eher nicht kenne.
Um die Zeit schneller verstreichen zu lassen, entwickelte ich verschiedene Methoden. Meine liebste: Ich trainierte mich »durchs 20. Jahrhundert«. Heißt: Ich schwamm 100 Bahnen und begann im Jahr 1900, stellte mir die Reifröcke und Schnurrbärte meiner Vorfahren vor. Dritte Bahn, also 1903: Die Gebrüder Wright erfinden das Flugzeug, und ich bin bei den ersten Testflügen mit an Bord und staune. Dann kommt auch schon wieder Kaiser Wilhelm ins Spiel, mit der ersten Marokkokrise, vierte bis sechste Bahn. 11. Bahn: »Panthersprung von Agadir«, der Erste Weltkrieg bahnt sich an, beginnt drei Bahnen später und endet auf Bahn 18. Stresemann, Hitler, Bill Haley, Kennedy und Mauerfall - das 20. Jahrhundert bietet alle Jahre Highlights und verkürzt die Zeit enorm.
Oder ich konzentrierte mich auf Techniktraining - da gibt es Dutzende, ach, was sage ich, Hunderte wunderbare Übungen, die einigermaßen Kurzweil und vor allem Fortschritt garantieren.
Über zehn Jahre lang blieb der Auerberg-Triathlon mein einziger Schwimmwettbewerb.
In den Nuller- und frühen Zehner-Jahren reihten sich stattdessen Rad-, Lauf- und Skirennen aneinander, am liebsten Ultramarathons, gerne auch 24-Stunden-Veranstaltungen, häufig in Begleitung meiner Sportfreunde Hannes Zacherl und Carsten Schneehage.
Letzterem, Landratte wie ich, fiel eines Tages auf, dass in unser beider 24-Stunden-Rennen-Sammlung eine bestimmte Sportart fehlte, nämlich: das Schwimmen.
Aus purer Sammellust heraus beschlossen wir, am 24-Stunden-Schwimmen im Hallenbad in Haar bei München teilzunehmen. Dort, so mutmaßten wir, würden wir die feuchte Hölle auf Erden kennenlernen. Um die Höllenfahrt nicht schon im Vorhinein unangenehm werden zu lassen, vereinbarten wir einvernehmlich, auf Training zu verzichten. Handschlag drauf!
Im Januar 2014 war es so weit: Wir hatten uns nigelnagelneue Schwimmbrillen zugelegt, und Carsten schleppte eine Babybadewanne voller Fitnessriegel an den Rand des 25-Meter-Beckens, zwecks Verpflegung. Allgemeine Heiterkeit ob der Tatsache, dass sich die Schwimmhalle in Haar ganz in der Nähe des psychiatrischen Krankenhauses befindet. Man kann also gegebenenfalls überwechseln.
Für ca. 120 Sportskanonen standen fünf Bahnen zur Verfügung, jene ganz rechts war per Schild als »Kinder- und Seniorenbahn« gekennzeichnet. Das ist unsere, hier gehören wir hin, witzelten wir und legten los. Ich schwamm halb Kraul, halb Brust, um möglichst viele meiner untrainierten Muskelgruppen zu bedienen, und alle zwei Stunden wurde ein Verpflegungsstopp eingelegt.
In der Nacht legten sich die meisten Mitbewerber ein Stündchen aufs Ohr, ich jedoch verließ das Wasser erst in der Geisterstunde, als ich zu frösteln begann, um mich unter der heißen Dusche aufzuwärmen. Das fühlte sich wundervoll an - weniger wundervoll war jedoch die Rückkehr ins kühlere Schwimmbecken. Brrr!
Die zweite Nachthälfte teilte ich die »Kinder- und Seniorenbahn« mit einem Stuttgarter Pensionär, der wie ich auf Schlaf verzichtete, mit der schön-schwäbischen Begründung: »Ich hab' bezahlt, ich zieh das durch!« Am Ende sammelte ich 1120 Bahnen, das entspricht 28 Kilometer Wasserweg. Zum Frühstück überredete mich Carsten, mit ihm ein Weißbier zu trinken, eine Entscheidung, die dazu führte, dass ich mich einigermaßen angetrunken auf dem ca. 50 Meter langen Geradeausweg vom Hallenbad Haar zur S-Bahn verlief, um nicht zu sagen: völlig die Orientierung verlor. Und als ich diese wiedergefunden hatte, setzte ich mich in...
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