Schweitzer Fachinformationen
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Inhalt Einleitung 1. Babyzart Körperwärme und Nähe The Nature of Love Der Streichel-Sinn 2. Trost, Spinnen und Mitgefühl Ich und die anderen Das körperliche Selbst Das aktive und das passive Ich Das soziale Selbst 3. Berührungen im Alltag Der Midas-Effekt Warum sind Berührungen angenehm? Kultur und Berührung 4. Freundschaft Vom Lausen zur Freundschaft Berührungswahrnehmung im Kontext Berührung gegen Stress Berührungen und Nähe 5. Haustiere Heilsame Tiergesellschaft Tiergestützte Therapie 6. Liebe, Sex und Zärtlichkeit Zufriedenheit in der Liebesbeziehung Erotik Das Bindehormon Oxytocin 7. Berührungen und Krankheit Schizophrenie und Berührung Autismus und Berührung ADHS und Berührung Berührungs-Synästhesie Magersucht und Berührung Berührungen im medizinischen Kontext 8. Die Wissenschaft hinter Kuschelpartys, Tantra und Wohlergehen Selbsterfahrung Yoga und Interozeption Brauchen wir Kuschelpartys? 9. Berührungen in Zeiten der virtuellen Kommunikation Fernbeziehungen und Mitgefühl Smartphones und Roboter Kein Ersatz Nachwort Zur Methodik der Hirnforschung Literatur Bildnachweis
Paul ist fast drei Jahre alt und kann schon sehr schnell rennen. Paul rennt im Kreis um den Sandkasten und dreht sich triumphierend um, um zu sehen, ob Papa auch zusieht. Doch das Rennen und das Umdrehen vertragen sich nicht. Und schon liegt Paul flach auf dem Boden und beginnt sofort ein großes Geschrei. Sein Papa ist gleich zur Stelle, er hebt Paul hoch, er umarmt Paul, er streichelt ihm den Kopf und das Knie, das ein paar Kratzer abbekommen hat. Kaum hat Papa ihn ein wenig liebkost, beruhigt sich Paul schon wieder, denn so schlimm ist es eigentlich nicht gewesen. Die Umarmung und Liebkosung helfen Paul, sich zu beruhigen. Würde sein Papa ihm nur von Weitem einige tröstende Worte zurufen, würde dies nicht ausreichen, Paul würde wesentlich länger weinen.
Genauso wie Babys brauchen Kleinkinder liebevolle körperliche Zuwendung. Berichte über Kinder, die in Waisenhäusern aufwuchsen, in denen ihre Grundbedürfnisse zwar versorgt wurden, sie aber nicht die nötige Zuwendung erhielten, belegen die Wichtigkeit von körperlichem Kontakt und liebevoller Interaktion. Die Waisenkinder entwickelten sich langsamer, und das in allen möglichen Bereichen: in ihrer motorischen Entwicklung, in ihrem Sozialverhalten und in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit. Noch im Erwachsenenalter war ihre kognitive Leistungsfähigkeit verringert und ihre Fähigkeit zur Interaktion mit anderen Menschen eingeschränkt. Diese Folgen lassen sich natürlich nicht ausschließlich auf einen Mangel an Berührungen und an körperlicher Zuwendung zurückführen; sie stehen vielmehr in Zusammenhang mit einer zu geringen Stimulation aller Sinne. Das kindliche Gehirn braucht die Stimulation aller Sinneskanäle, um zu lernen, mit diesen Informationen richtig umzugehen. Und wie wir bereits gesehen haben, spielt gerade in den ersten Jahren, in denen die Sprache noch nicht voll entwickelt ist, die körperliche Interaktion eine zentrale Rolle.
Es ist naheliegend, dass liebevolle Berührungen einem Kind in erster Linie das Gefühl geben, geliebt und beschützt zu werden. Etwa wenn Papa Paul tröstet, nachdem er hingefallen ist. Doch neben diesen Funktionen hat die zwischenmenschliche Berührung noch weitere wichtige Konsequenzen für die normale Entwicklung von Paul. Ein gesundes Sozialverhalten beruht auf vielen Fähigkeiten, die Paul in der frühen Kindheit erlernen muss. Denn einfach ist es nicht, sich mit diesen hochkomplexen Lebewesen, den anderen Menschen, auseinanderzusetzen. Schließlich müssen wir Vorhersagen darüber treffen, was diese anderen Menschen für Absichten, Pläne und Wünsche hegen. Als erwachsener Mensch haben wir uns darin schon lange eingeübt, und es geschieht oft unbewusst. Diese Einschätzung der Verhaltensweisen eines anderen Menschen beinhaltet nicht nur zu erraten, was sich der Partner zu Weihnachten wünscht oder ob der Arbeitskollege einen aushorchen möchte, sondern auch so alltägliche Momente, wie sich einen Weg durch eine überfüllte U-Bahn-Station zu suchen. Um Zusammenstöße zu vermeiden, muss das Gehirn ständig vorausberechnen, in welche Richtung all die anderen Menschen gehen wollen. Dabei beruft es sich nicht bloß auf die Einschätzung, dass alle geradeaus gehen, sondern sieht die anderen Menschen als soziale Individuen an, die ebenfalls planen und vorausschauen.
Um überhaupt so weit zu kommen, muss das Gehirn eine äußerst wichtige, vielleicht die grundlegendste Fähigkeit entwickeln: die Unterscheidung zwischen sich selbst und den anderen. Nur, wenn Paul gelernt hat, dass er eine eigenständige Person ist und dass andere Menschen von diesem Selbst unabhängig sind, kann er sich überhaupt in einem sozialen Kontext orientieren. Dass zärtliche, soziale Berührungen dabei eine wichtige Rolle spielen, beschrieb schon 1900 Sir Charles Sherrington, als er die Wahrnehmungen, die dem Inneren unseres Körpers entspringen, als die Grundlage für das «materielle Selbst» bezeichnete. Auch der Philosoph Edmund Husserl, der Begründer der Phänomenologie, beschreibt den Zusammenhang zwischen Berührungen und dem Selbst. Beim Spüren von Druck, Wärme oder Kälte beispielsweise nehmen wir nicht nur Gegenstände und Oberflächentemperaturen wahr, sondern spüren «uns selbst als Leib» - und uns selbst in Bezug zu diesen Dingen. Ob wir etwas als warm oder kalt empfinden, hängt auch von unserer eigenen Körpertemperatur und unserem inneren Zustand ab (so frieren wir eher, wenn wir müde sind). Wir lernen durch diese Empfindungen nicht nur, wo wir uns im Raum befinden, sondern auch in welchem Verhältnis zu den uns umgebenden Dingen oder Lebewesen. Dieses Selbst-Spüren in der Interaktion mit der Außenwelt nennt Husserl «leibliche Selbstgegebenheit».
Der kleine Paul lernt nicht in einem klar abgrenzbaren Entwicklungsschritt, wer er selbst ist - was auch daran liegt, dass das Konzept des Selbsts so vielschichtig ist. Da ist einmal das körperliche Selbst: Paul muss verstehen, dass er einen Körper mit Grenzen hat, dass er diesen Körper spürt und dass er mit diesem Körper seine Umgebung wahrnehmen kann. Das Verständnis hierfür beginnt bereits im Mutterleib, wie schon beschrieben, höchstwahrscheinlich durch die Unterstützung der Lanugohaare und des umgebenden Fruchtwassers. Doch diese Entwicklung ist bei der Geburt noch lange nicht abgeschlossen. Vielmehr sind die ersten Eindrücke des eigenen Körpers noch recht diffus und sensorische Reize lassen sich nicht genau lokalisieren. Die Volksweisheit vermutet, dass das Baby sich in einer Art Einheit mit der Mutter wahrnimmt. Das langsam auftauchende Bewusstsein darüber, ein eigenständiger Mensch zu sein, kann befreiende, aber auch erschreckende Aspekte haben. So wird das Fremdeln, das bei den meisten Babys um den achten Monat herum zu beobachten ist, als eine Folge dieser Entwicklung gedeutet. Das Kind beginnt zu verstehen, dass es ein von der Mutter und dem Vater unabhängiger Mensch ist, daher erschrickt es, wenn es von den Eltern getrennt wird. Auch die sogenannte Trotzphase im Alter von zwei oder drei Jahren ist ein weiteres Entdecken des Selbst, der Eigenständigkeit und des Willens. Trotzdem zieht sich, wie die meisten von uns aus eigener Erfahrung bestätigen können, ein enges Verbundenheitsgefühl zu den Eltern oder der nahen Familie durch die gesamte Kindheit. Erst mit der Pubertät findet die große Ablösung statt. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der körperlichen Beziehung zu den Eltern wider. Während der Körperkontakt mit den Eltern für Babys und Kleinkinder nicht nur essenziell wichtig, sondern auch ganz selbstverständlich ist, beginnen Schulkinder langsam, diesen Kontakt zu verringern. In der Pubertät kommt es dann oft zu einer besonders starken körperlichen Abgrenzung, zu einer Zeit, in der Kinder besonders ungern von den eigenen Eltern berührt werden.
Dieses Körper-Selbst ist auch im Erwachsenenalter noch plastisch, das heißt, es kann sich nach wie vor an neue Erfahrungen anpassen. Ein amüsantes Experiment, das man zu zweit auch leicht zu Hause ausprobieren kann, verdeutlicht dies: die sogenannte Gummihand-Illusion. Hierbei wird eine Hand verdeckt, stattdessen befindet sich eine Gummihand im Blickfeld der Versuchsperson (für das Experiment zu Hause einfach einen aufgeblasenen Plastikhandschuh benutzen). Nun streichelt der Versuchsleiter gleichzeitig die Finger der verdeckten Hand der Versuchsperson und die des sichtbaren Gummiarmes. Dabei ist es wichtig, dass dieses Streicheln möglichst synchron stattfindet. Das Gehirn integriert nun das Gefühl des Gestreicheltwerdens mit dem, was es sieht: dass da eine Gummihand gestreichelt wird. Und nach einer Weile (meist nach ein paar Minuten) hat die Versuchsperson das Gefühl, das Streicheln tatsächlich in der Gummihand zu spüren. Nicht jeder ist gleich empfänglich für solche Illusionen: Bei einigen Menschen stellt sich die Gummihand-Illusion gar nicht ein, bei anderen reicht sogar das synchrone Streicheln eines Holzblocks oder gar des Tisches, an dem sie sitzen, aus, um die Illusion hervorzurufen. Statt diese Empfindung als eine Illusion oder Täuschung zu bezeichnen, könnte man sie auch einfach so interpretieren, dass das Körper-Selbst sich innerhalb von Minuten an neue Sinneseindrücke anpassen kann.
Eigentlich machen wir alle diese Erfahrung immer wieder in unserem täglichen Leben. Wer regelmäßig ein bestimmtes Auto fährt, entwickelt ein körperliches Gefühl für die Form und die Grenzen dieses Autos. Künstler und Handwerker empfinden ihre Werkzeuge oft als eine Verlängerung des eigenen Körpers, ebenso wie Musiker ihre Instrumente. Besonders beeindruckend ist...
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