Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind Ergebnis einer doppelten Revolution: einer praktischen und einer ideengeschichtlichen, einer gegen die britische Kolonialmacht und einer gegen autokratische Herrschaft. Beide verliefen schmerzhaft. In der realen Welt erkämpften die 13 ehemaligen britischen Kolonien ihre Unabhängigkeit in einem blutigen achtjährigen Krieg gegen das Mutterland. In der ideellen Welt brauchte es hitzige Debatten und mehrere Anläufe, um erstmals seit der Antike ein funktionierendes demokratisches Regierungssystem zu errichten.
Die ursprüngliche Verfassung der USA, die Konföderationsartikel (Articles of Confederation and Perpetual Union) von 1777, erwies sich als missglückt. Die im Kontinentalkongress versammelten Delegierten der neuen Staaten hatten eine radikale Alternative zu den Verhältnissen in der Alten Welt schaffen wollen - bedrohten dort doch Monarchen die Rechte der Individuen, was sie in ihrer Behandlung durch König George III. gerade wieder bestätigt sahen.[1] Jede Konzentration von Macht schien ihnen eine Gefahr für die Freiheit. Deshalb erlaubten die Konföderationsartikel lediglich einen kümmerlichen Zentralstaat ohne Exekutive oder Judikative. Der Bund konnte nicht einmal Steuern erheben, Gesetzen Geltung verschaffen oder den Außenhandel regulieren. Selbst die Kompetenz, Geld zu drucken und Verträge abzuschließen, musste er mit den Einzelstaaten teilen. Die wenigen Aufgaben des Zentralstaats sollte ein Parlament wahrnehmen, in dem jeder Staat eine Stimme besaß.
Allein die entschlossene Führung General George Washingtons und die Finanz- und Militärhilfe Frankreichs kaschierten im Unabhängigkeitskrieg die Schwäche des Staatenverbunds. Sie wurde offenbar, als der Bund nach dem Sieg über die Briten 1783 seine Kriegskredite bedienen musste. Da die Einzelstaaten ihren Finanzierungspflichten nicht nachkamen und New York einen nationalen Importzoll mit seinem Veto verhinderte, stand die junge Republik vor dem Kollaps. London drohte gar mit Kündigung des Friedensvertrags, sollten die USA ihre Vorkriegsschulden nicht bezahlen. Ein bewaffneter Aufstand von Kleinbauern und Veteranen gegen die Steuerpolitik in Massachusetts verschärfte Ende 1786 die Krise. Die Zentralregierung konnte aus Geldmangel keine Soldaten rekrutieren, und Boston musste mit Darlehen lokaler Geschäftsleute eigene Milizen aufstellen. Nur mit Mühe gelang es ihnen, die nach ihrem Anführer benannte Shays' Rebellion niederzuschlagen. Die politische Nahtod-Erfahrung machte eine Verfassungsrevision dringlich.
Am 25. Mai 1787 kamen Delegierte von zwölf der 13 Staaten im State House von Philadelphia, der größten Stadt des Landes, unter dem Vorsitz Washingtons zu geheimen Beratungen zusammen. Sollten sie sich nicht einigen, drohte die Nation auseinanderzubrechen oder zum Spielball ausländischer Mächte zu werden. Schnell setzte sich die Ansicht durch, dass es nicht ausreichte, die Konföderationsartikel zu überarbeiten. Vielmehr beschlossen die 55 Plantagenbesitzer, Kaufleute, Juristen und Ärzte, eine neue Verfassung zu schreiben und eine «more perfect union» zu errichten, wie es später in der Präambel hieß. So einig sie in diesem Ziel waren, so umstritten blieben politische Kernfragen: Wofür sollte das Parlament zuständig sein, wofür die Exekutive? Welche Kompetenzen würde der Bund erhalten, welche die Einzelstaaten? Wie konnten die kleinen Staaten verhindern, von den großen dominiert zu werden? Sollte es direkte oder indirekte Wahlen geben? Wie stünden Mehrheitsherrschaft und Minderheitenrechte zueinander? Und: Wie hielten es die USA mit der Sklaverei?
Kein Jurist oder Politologe würde heute eine Verfassung wie die amerikanische schreiben. Ihr fehlt eine stringente Regierungsphilosophie, sie ist schwer reformierbar, stellenweise unpräzise und widersprüchlich und überlässt viel dem Spiel der politischen Kräfte. Aber die US-Verfassung war bei aller politphilosophischen Beschlagenheit ihrer Autoren eben nicht Ergebnis langer Theoriedebatten. Vielmehr gründete sie auf einem Handel zwischen Delegierten mit unterschiedlichen Ideen und Interessen während vier schwüler Sommermonate.
Trotz des allgemeinen Wunsches nach einer stärkeren Exekutive sollte die Volksvertretung, der Kongress, dabei im Mittelpunkt stehen. Ihre Befugnisse und Zusammensetzung diskutierten die Delegierten als Erstes, dafür wendeten sie zwei der vier Sitzungsmonate auf und verankerten sie in Verfassungsartikel I. Sie folgten dem Vorschlag James Madisons aus Virginia, dem Kongress breite Kompetenzen zuzuweisen. Er durfte eine Armee aufstellen, Kredite aufnehmen, den Handel zwischen den Einzelstaaten und mit dem Ausland regeln und Gesetze erlassen, die «notwendig und angemessen» (necessary and proper) sind, um alle dem Bund zugewiesenen Aufgaben durchzuführen. Die letzte Formulierung eröffnete dem Kongress im 20. Jahrhundert die Möglichkeit, seine Macht gegenüber den Einzelstaaten enorm auszuweiten und die Politik zu nationalisieren.
Der Kongress sollte zwei Kammern haben, ein Repräsentantenhaus die Gesamtnation, ein Senat die Einzelstaaten vertreten. Sie mussten sich auf Gesetze einigen und behinderten damit legislativen Aktionismus. Die Ausgestaltung der Kammern war indes so umstritten, dass Washington, der Vorsitzende des Konvents, ein Scheitern der Beratungen fürchtete. Ein Disput drehte sich um die Frage, wer die Abgeordneten wählen würde, ein anderer darum, wie die Stimmen im Senat verteilt sein sollten. Dass die Delegierten Volkswahlen nicht sehr aufgeschlossen gegenüberstanden, überrascht nicht. Sie waren selbst indirekt gewählt, und die Verfassung sollten Einzelstaatskonvente, nicht die Bürger direkt ratifizieren.
Roger Sherman aus Connecticut brachte diese Skepsis auf den Punkt: «Die Menschen sollten so wenig wie möglich mit der Regierung zu tun haben. Es fehlt ihnen an Informationen, und sie sind ständig gefährdet, in die Irre geführt zu werden.»[2] Andere wie Madison hielten dagegen, allein eine allgemeine Volkswahl garantiere, dass die Abgeordneten die Anliegen aller Amerikaner verträten. Noch schwerer zu lösen schien der Konflikt über die Repräsentation der Einzelstaaten im Senat. Die Delegierten der großen Staaten wünschten, die Senatorenzahl an die Bevölkerungsgröße zu binden. Die der kleinen Staaten bangten für einen solchen Fall um ihren Einfluss und wollten an der «Ein Staat, eine Stimme»-Regel der Konföderationsartikel festhalten.
Nach hitzigen Debatten einigten sich beide Seiten auf den Connecticut-Kompromiss. Das Repräsentantenhaus würde direkt vom Volk gewählt und die jeweilige Abgeordnetenzahl eines Staats seine Bevölkerungsgröße abbilden, wobei jeder zumindest einen Sitz bekäme. Ungelöst blieb allerdings die Frage, wer überhaupt ein Einwohner war. Im Süden lebten knapp zwei Millionen Menschen und damit ähnlich viele wie im Norden, ein Drittel davon aber als Sklaven. Der Norden wollte Letztere bei der Festlegung der Bevölkerungsgröße nicht berücksichtigen, der Süden schon. Beide Seiten lösten den Disput, indem sie jeden Sklaven als drei Fünftel eines freien Bürgers zählten. Dadurch erhielten die Südstaaten mindestens ein Dutzend mehr Mitglieder im Repräsentantenhaus - bei anfangs landesweit 59 Abgeordneten. Die Three-Fifths-Regel wurde erst nach dem Sieg des Nordens im Bürgerkrieg 1868 aus der Verfassung gestrichen. Im Senat hingegen sollte jeder Staat unabhängig von seiner Größe zwei Vertreter erhalten, bestimmt von ihren Parlamenten. Um diese Privilegierung der kleinen Staaten zu zementieren, legte eine Ewigkeitsklausel in Artikel V fest, dass die einheitliche Vertretung jedes Staats im Senat unveränderbar sei.
Madison, den Zeitgenossen «den Vater der Verfassung»[3] nannten, war so ernüchtert über die starke Stellung der Einzelstaaten, dass er entgegen seinem ursprünglichen Plan jetzt für ein Einhegen der Kompetenzen des Kongresses plädierte. Diese Urangst vor einer Machtanballung in jeder Form bekämpften er und seine Mitstreiter, indem sie, wie von Montesquieu...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.