Schweitzer Fachinformationen
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2Grundprinzipien und fachlicher Hintergrund
Morag Clark betonte, dass der Begriff Ansatz sehr bewusst gewählt wurde, im Gegensatz zu Methode. Letzteres stand aus ihrer Sicht mehr für ein starres, vorstrukturiertes und übungsorientiertes Konzept sowie ein Co-Therapeuten-Modell in der Elternarbeit. Es ging ihr und ihren Kollegen jedoch in erster Linie um die Haltung, die Fachkräfte den Eltern und dem Kind gegenüber einnehmen. Dazu gehört das Vertrauen in die Kompetenz der Eltern und die Entwicklungspotenziale der Kinder, auch wenn die erste Begegnung zu Hause vielleicht nicht einfach ist, der Fernseher läuft und Drücktasten-Bilderbücher auf dem Sofa liegen. Weiterhin war die Arbeitsgruppe davon überzeugt, dass die Interaktion im Alltag der deutlich effektivere Weg ist, Kinder mit Hörbeeinträchtigung im Spracherwerb und ihrer gesamten Entwicklung zu unterstützen. "Language through Living" lautete der Titel des ersten Buches von Morag Clark, das 1989 für Aufsehen sorgte und diesen Aspekt treffend beschreibt. Eine deutsche Übersetzung, wie "Spracherwerb im täglichen Leben", entspricht leider nicht der ursprünglichen Aussage in ihrer klaren, kompakten Form.
Wie der NHA in der immer wiederkehrenden Diskussion über Sprachtherapie versus Sprachförderung einzuordnen ist, wird in Kapitel 2.4 näher erörtert. Sehen wir uns nun die einzelnen Komponenten des NHA genauer an.
2.1Natürlich
"Der Kardinalfehler besteht [.] in der Annahme, man könne eine Erstsprache durch systematische Belehrung statt im Dialog erwerben." (Butzkamm / Butzkamm 2008, 158)
In diesem Kapitel wird ausgeführt, was unter einer natürlichen Kommunikation verstanden wird und warum sie so enorm wichtig für die Sprachentwicklung ist. Des Weiteren wird darauf eingegangen, wo Stolpersteine in der Kommunikation mit den Kindern entstehen können und wie der NHA hier unterstützend zum Einsatz kommt.
Was bedeutet natürliche Kommunikation?
Wenn wir von natürlicher Kommunikation sprechen, meinen wir damit vor allem die intuitiven - da angeborenen - dialogischen (also sich abwechselnden) Verhaltensweisen. Diese finden sich sowohl bei den Kindern selbst als auch bei den Bezugspersonen. Dabei spielt bereits die gelingende präverbale Kommunikation eine wichtige Rolle: Schließlich werden hier die notwendigen Grundsteine für einen erfolgreichen Spracherwerb gelegt. Mechthild und Hanus Papousek (1994) haben mittels Videointeraktionsanalysen insbesondere die frühe Eltern-Kind-Kommunikation sehr genau untersucht und folgende intuitiven elterlichen Merkmale der vorsprachlichen Kommunikation herausgearbeitet:
Gestaltung des Interaktionskontextes,
gemeinsames Ausrichten der Aufmerksamkeit auf ein Objekt,
interaktive Spiele,
spezielle Strukturen der elterlichen Sprache,
spezielle Struktur der elterlichen Prosodie (wie z. B. die Sprachmelodie), und
Responsivität (Antwortverhalten) gegenüber den kindlichen Initiativen.
Bezogen auf die Struktur der elterlichen Sprache werden im Folgenden beispielhaft förderliche Elemente für die kindliche Sprachentwicklung aufgeführt:
Eine freundliche Mimik und Sprechweise sorgen für eine angenehme Atmosphäre.
Das Kind wird in seiner Aktion beobachtet und es wird aufmerksam auf eine kindliche Initiative gewartet bzw. Raum dafür geschaffen, z. B. durch Handlungs- und Sprechpausen.
Kindliche verbale sowie nonverbale Initiativen werden sensitiv wahrgenommen. Dabei wird dem Aufmerksamkeitsfokus des Kindes gefolgt; der Blick wechselt dabei zwischen Kind und Fokus des Kindes.
Die kindlichen Initiativen werden verbal und / oder nonverbal bestätigt.
Eigene und kindliche Initiativen werden benannt und / oder imitiert (Doppelrolle, Handlungsbegleitendes Sprechen, in Resonanz gehen). Dies gelingt in der Erstsprache intuitiv und ist somit auch am schnellsten verfügbar. Eine unmittelbare Reaktion ist elementar, damit Säuglinge und Kleinkinder die eigene Initiative und elterliche Reaktion in Zusammenhang bringen können.
BEISPIEL
Der 11 Monate alte Tom sitzt weinend auf dem Boden und zeigt auf seine Trinkflasche, die aus dem Rucksack des Vaters schaut. Dieser sagt mit einer traurigen Miene: "Oh, du bist ganz schön durstig und möchtest deine Flasche? Moment, hier kommt sie." Toms Vater lässt die Flasche durch die Luft sausen und vibriert dabei mit den Lippen. Während Tom trinkt, meint er lachend: "Ui, so durstig warst du?"
Toms Vater hat die (non-)verbalen Signale wahrgenommen und interpretiert ("du bist ganz schön durstig"). Mit dem traurigen Gesichtsausdruck hat er Toms Gefühle widergespiegelt, um ihm zurückzumelden, dass er Toms Problem verstanden hat. So fühlt sich dieser gesehen und verstanden - Toms Vater "geht in Resonanz". Verbal übernimmt der Vater an dieser Stelle zunächst Toms Rolle, der noch nicht in der Lage ist, sich lautsprachlich mitzuteilen. Anschließend spricht er wieder für sich selbst ("Moment, hier kommt sie."). Er wechselt somit die Rollen, er "übernimmt eine Doppelrolle".
Die Kinder werden durch Turn-öffnende Angebote (z. B. Pausen, offene Fragen, fragender Blick) zum aktiven Dialog eingeladen. Als Turn-Taking bezeichnet man den Sprecherwechsel bzw. die Übernahme der Rede im gemeinsamen Gespräch.
Das verbale Ankündigen von Ereignissen unterstützt die Höraufmerksamkeit und gibt Sicherheit.
Das sprachliche Angebot (Lexikon, Syntax) ist passend zum Entwicklungsalter auf der nächsten Stufe der Entwicklung.
Besonders zu Beginn der Hörentwicklung unterstützt ein kontrastreiches Sprechangebot mit Variationen in:
-Intonation,
-Sprechgeschwindigkeit und
-Lautstärke.
Ein kongruentes Verhalten in Bezug auf Sprache, Gesichtsausdruck und Körperhaltung geben Sicherheit.
Kinder werden in ihrem Wunsch nach Kommunikation positiv unterstützt, z. B. durch eine bestätigende sprachliche Reaktion. Grundsätzlich sollten kindliche präverbale Äußerungen im Sinne einer gelingenden Kommunikation als positive und sinnvolle Beiträge interpretiert werden.
Aber nicht nur die Bezugspersonen, sondern auch die Kinder selbst bringen die für eine gelingende Interaktion notwendigen Voraussetzungen mit. Heute wissen wir, dass Kinder bereits zum Zeitpunkt ihrer Geburt über sehr erstaunliche Kompetenzen verfügen (siehe Literaturtipp am Ende des Kapitels). Dazu gehört zum Beispiel die Fähigkeit zur Imitation. Dank des genetisch verankerten Systems der Spiegelneurone bringen bereits Säuglinge dieses Resonanzsystem als entscheidende Voraussetzung für die Sprachentwicklung mit (Bauer 2006). Der Spracherwerb ist in erster Linie ein aktiver Prozess, beruht aber auch auf kindlichen Imitationsversuchen, die von den Bezugspersonen validiert und bei Bedarf positiv korrigiert werden.
Es handelt sich beim Spracherwerb also um einen hoch komplexen Vorgang, der von vielen Einflussfaktoren abhängig und dadurch auch anfällig gegenüber Störungen ist. Zudem kann die Sprachentwicklung nicht losgelöst betrachtet werden von anderen Entwicklungsbereichen wie der Beziehungs- und Bindungsentwicklung.
"Ohne gute zwischenmenschliche Beziehungen fehlt eine der notwendigen Voraussetzungen, um Sprache zu entwickeln." (Bauer 2006, 86)
Weitere Einflüsse können zum Beispiel der Bildungsgrad der Eltern oder Mehrsprachigkeit in der Familie sein. Kinder ohne Hörstörung haben hier in der Regel ausreichend Ressourcen, um trotz unterschiedlicher Herausforderungen erfolgreich Sprache zu entwickeln, oder profitieren sogar davon, wie bei einer mehrsprachigen Erziehung.
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