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Tojo Hideki hörte die Soldaten kommen, die ihn am 11. September 1945 holen wollten. Er befand sich in seinem einfachen Häuschen in einem Vorort von Tokio und machte nicht den Versuch, sich zu verstecken. Mit seinem akkurat gestutzten Schnurrbart, der Glatze, der runden Schildpattbrille und dem selbstbewussten Auftreten eines Karrieregenerals war der Mann unverwechselbar, der während eines Großteils des Zweiten Weltkriegs Premierminister des Japanischen Kaiserreichs gewesen war. Seine grotesk karikierten Gesichtszüge - schräg gestellte Augen, spitze Zähne, spitze Fingernägel - waren ein fester Bestandteil der amerikanischen Propaganda bei der Werbung für Kriegsanleihen gewesen und regelmäßig gemeinsam mit Adolf Hitler und Benito Mussolini erschienen.
Etwas mehr als einen Monat vor jenem 11. September waren die beiden Atombomben detoniert und knapp einen Monat zuvor hatte Japan endlich kapituliert. Die siegreichen Armeen der Alliierten befanden sich noch in den frühen, unsicheren Tagen der Besetzung Japans, und eine ihrer ersten Aufgaben bestand darin, mutmaßliche japanische Kriegsverbrecher festzunehmen.
Tojo war sich völlig klar darüber, dass die amerikanischen Soldaten wussten, wo sie ihn finden konnten. Einen Tag zuvor hatte ihn der Reporter einer amerikanischen Nachrichtenagentur relativ problemlos in seinem Haus aufgespürt. Als der Premierminister, dessen Kabinett den Angriff auf Pearl Harbor befohlen hatte, gefragt wurde, wer für den Beginn des Krieges verantwortlich sei, zeigte er keine Reue: »Sie sind die Sieger, und Sie können den Mann jetzt bestimmen«, antwortete er heiter. »Aber in 500 oder 1000 Jahren werden die Historiker vielleicht anders urteilen.«[1]
Eine kleine, nervöse Gruppe von Soldaten traf vor dem Haus ein. Tojo weigerte sich zunächst, mit ihnen zu sprechen, dann schob er ein Fenster auf und fragte die Soldaten, salopp in ein weißes Hemd mit offenem Kragen gekleidet, nach ihren Ausweisen. Nun wurden sie einige unerträglich angespannte Minuten von einem Diener aufgehalten, bis sie die Geduld verloren: »Sag dem gelben Hundesohn, dass wir lang genug gewartet haben«, schrie der befehlshabende Major den Diener an.
Gleich darauf hörten die Amerikaner einen gedämpften Schuss im Haus.
Sie traten erschrocken die Tür ein und stürmten das Haus. Dort fanden sie Tojo aufrecht stehend, aber leicht schwankend. Er hatte eine rauchende Colt-Pistole vom Kaliber .32 in der rechten Hand. Die linke hatte er auf die Brust gepresst und sein weißes Hemd färbte sich rot von seinem Blut. Er hatte sich für das effiziente Mittel einer, in den USA gefertigten, Pistole entschieden, um Selbstmord zu begehen, und darauf verzichtet, eines der drei japanischen Zeremonialschwerter im Raum zu benutzen. Als der amerikanische Major die Pistole sah, schrie er: »Nicht schießen!«, und Tojo ließ die Waffe fallen. Seine Knie gaben nach, und er ließ sich in einen Sessel sinken. Sein Blick wurde stumpf, er hatte Probleme zu atmen, schwitzte, hustete und keuchte vor Schmerz.[2]
Der Experte im Töten hatte seinen eigenen Tod vermasselt. Die Kugel hatte das Herz nur gestreift und war durch das linke Schulterblatt wieder ausgetreten. Amerikanische Soldaten, einer von ihnen ein japanischstämmiger Amerikaner aus der Bronx, trugen ihn hastig aus dem Haus, setzten ihn in ein Auto und rasten zu einem amerikanischen Militärhospital in Yokohama, südlich von Tokio.
Sie fuhren durch eine verkohlte Trümmerlandschaft. Sechs Monate zuvor waren in einer einzigen Nacht nicht weniger als 100000 Menschen in Tokio »zu Tode gesengt, gekocht und gebacken worden« wie es der US-General ausdrückte, der den massiven Brandbombenangriff befehligt hatte.[3] Die Flüsse der Stadt hatten gekocht, und es hatte flüssiges Glas geregnet. Der Gestank nach brennendem Fleisch war so intensiv gewesen, dass es die Piloten der US-amerikanischen B-29-Bomber in mehr als tausend Meter Höhe gewürgt hatte.[4]
Übrig geblieben war eine riesige Stadt aus Asche. Die ausgedehnte japanische Hauptstadt hatte größtenteils aus Holzhäusern bestanden; bescheidene Heime, die sich in feine Asche verwandelt hatten. Tokio bestand danach nur noch aus Behelfsunterkünften - endlosen Reihen kleiner Hütten, die aus Metallstücken oder Steinen und allem bestanden, was sonst die ungeheuerlichen Flammen überstanden hatte. Die Düsternis wurde nur gelegentlich durch Blumen unterbrochen, die die verarmten Bewohner der Hütten gepflanzt hatten, oder durch einen Vorhang, der in eines der behelfsmäßigen Fenster gehängt war. Stabilere Gebäude wie Fabriken bestanden nur noch aus einer Masse verbogener Stahlträger. Riesige Trümmerhaufen waren über die demolierten Straßen verteilt. Tokio war dunkel, schmutzig und im Begriff zusammenzubrechen. Es stank. Da das Bombardement systematisch die gesamte Infrastruktur zerstört hatte, fehlte es an allem: Strom, Wärme, Nahrung, Wasser. Die Überlebenden waren verzweifelt, verbrannt, gebrochen, narbenbedeckt, beraubt, ungewaschen, schlecht gekleidet und unterernährt.[5]
Tojo schwebte zwischen Leben und Tod. Der Militärchirurg im Krankenhaus von Yokohama war von der schweren Brustwunde unbeeindruckt; er hatte schon Hunderte gesehen. Der frühere Premierminister lag auf einer einfachen Liege, Hemd und Hose vom eigenen Blut durchtränkt, verzog das Gesicht vor Schmerzen und stöhnte, wenn er Luft holte. Japanische und amerikanische Ärzte vernähten die Wunde und gaben ihm Plasmainfusionen. Die amerikanischen Soldaten sahen mit kalter Gleichgültigkeit zu, wie er sich quälte; einer sagte schulterzuckend, Tojo habe sich ein Purple Heart - ein US-amerikanisches Verwundetenabzeichen - verdient. Der General kam durch und hatte schließlich sogar genug Kraft, um zu jammern, dass der Tod so lange auf sich warten ließe. Er habe sich mit einem einzigen Schuss erledigen wollen, sagte er, statt den Zeitverlust durch eine rituelle Selbsttötung zu riskieren. Und er habe sich nicht in den Kopf schießen wollen, meinte er flüsternd zu einem Dolmetscher, damit die Leute sein Gesicht erkennen könnten und wüssten, dass er tot sei.
Tojo Hideki liegt in seinem Blut, nachdem er versucht hat, sich zu erschießen, während amerikanische Ärzte versuchen, ihn zu retten.
Weder die Niederlage noch die Verwüstung seines Landes, noch ein frisches Einschussloch in der Brust reichten aus, um Tojo an der Richtigkeit seiner Sache zweifeln zu lassen. »Der Großostasiatische Krieg war ein berechtigter und gerechter Krieg«, den Japan geführt habe, um seine asiatischen Nachbarn aus dem repressiven Griff des europäischen Kolonialismus zu befreien, erklärte er - wie er hoffte - auf seinem Sterbebett. Er drückte der japanischen Nation und »allen Rassen der großasiatischen Mächte« sein Bedauern aus, nicht jedoch den alliierten Mächten, gegen die sein Kabinett in den Krieg gezogen war. Angesichts der Ruinen überall in seiner Umgebung war er nicht geneigt, sich bei den für das Bombardement Verantwortlichen zu entschuldigen.
»Ich möchte nicht von einem Gerichtshof der Eroberer verurteilt werden«, sagte er. »Ich warte auf das gerechte Urteil der Geschichte.«[6]
In diesem Buch geht es um diesen Militärgerichtshof und um das Urteil der Geschichte. Denn Tojo und 27 weitere führende japanische Politiker der Kriegszeit wurden in einem zweieinhalbjährigen Prozess von den Alliierten als Kriegsverbrecher angeklagt - dem asiatischen Gegenstück zu dem berühmteren Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg.
Der Prozess in Tokio war eine umfassende Bilanz des persönlichen Schicksals von Tojo und den anderen mächtigen japanischen Angeklagten, die man nicht nur als geschlagene Feinde unschädlich machen wollte, sondern als Verbrecher betrachtete, die der Führung eines Angriffskriegs und diverser Gräueltaten beschuldigt wurden. Mit dem Verfahren sind zahlreiche bekannte Personen wie etwa der amerikanische Präsident Harry S. Truman, der japanische Kaiser Hirohito, der Oberbefehlshaber der Republik China Chiang Kai-shek, der erste Ministerpräsident des unabhängigen Indien Jawaharlal Nehru, der oberste Befehlshaber der Alliierten Douglas MacArthur und andere verbunden, aber auch weniger namhafte Figuren, deren facettenreiche Lebensläufe einen Großteil der modernen Geschichte ihrer Ländern umfassen: Männer wie Mei Ruao, der hochintelligente, zweckorientierte chinesische Richter, der hoffte, sein kriegszerrissenes Land wiederherzustellen; Togo...
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