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Blick auf Pornic
Eine Information der Form halber: Das Departement Loire-Atlantique gehört im administrativen Sinn nicht mehr zur Bretagne, seit es ihr im Zuge einer Verwaltungsreform Mitte des 20. Jahrhunderts entrissen wurde. Und das, obwohl die Region historisch angestammter Teil der Bretagne war - und immer noch dazugehört, so das Empfinden der meisten ihrer Einwohner. Das der Franzosen und der übrigen Welt ohnehin. Sie alle würden die Guérande oder Nantes, einst gar die stolze gesamtbretonische Hauptstadt, auch heute ganz selbstverständlich der Bretagne zurechnen.
Nehmen wir an, Sie hätten bei der Anreise den Weg entlang der Loire gewählt, über Hunderte von Kilometern vorbei an Schwerstgewichten der französischen Geschichte. Nördlich des Flusses das Land der Herbstwinde, des Bieres, der dunklen Schieferdächer, im Süden die Öffnung zur Sonne, zum Wein, zum grellen, weichen Tuffstein. Nach diesen Gegensätzen erwartet den Urlauber in der Bretagne ein drittes Kolorit, das weder dies noch jenes ist. Man spürt es erstmals in Pornic, einem kleinen Seebad an der atlantischen Jadeküste.
»Eine Spur zu hübsch«, fand Auguste Renoir die Gegend. Der damals schon geschätzte Maler verbrachte den Sommer 1892 in Pornic und auf der nahen Insel Noirmoutier und schuf dort eine Reihe farbenfroher Gemälde, unter denen ein Strandbild heute besondere Beliebtheit als Kunstdruck genießt. Zu sehen ist La Plage du Château, freilich ohne die Villa Malouine, obwohl sie schon damals das Panorama prägte. Renoir erschien der Prunkbau »zu italienisch«, also unterschlug er ihn. Anderen Gästen in Pornic, das bereits 1830 Kurort war, konnte es nicht exotisch genug zugehen, die Reichen unter ihnen ließen sich Villen in buntem Stilmix bauen. Lenin, oft als berühmter Besucher erwähnt, hielt sich nur für ein paar Tage des Jahres 1910 in Pornic auf (3, Rue Mon-Désir), Max Ernst blieb immerhin den ganzen Sommer 1925 (im heutigen Relais St-Gilles, 7, Rue Fernand de Mun). Von der Villenpracht, von Golfplatz, Casino und Jachthafen in den Schatten gestellt, finden sich in der Altstadt mit der Kirche St-Gilles (19. Jh.) und den Markthallen (16./17. Jh.) noch ein paar der gedrungenen Backsteinhäuser, in denen einst Fischer lebten.
Keim des Ortes ist das Château an der Hafeneinfahrt. Heute in Privatbesitz und nicht der Öffentlichkeit zugänglich, wurde es im 10. Jahrhundert als Wasserburg zum Schutz gegen die Normannen errichtet. Erster Hausherr war ein Alain Barbetorte (»Schiefbart«), der sich gegen die Invasoren behauptete und landeinwärts im heutigen Nantes ein Herzogtum begründete - ein folgenreiches Ereignis, denn westwärts entwickelte sich fortan eine eigensinnige politische Macht: die bretonische. Gilles de Rais oder Retz, Alains später Nachfolger und im Hundertjährigen Krieg Mitstreiter von Jeanne d'Arc, geriet zur tragischen Figur. Wegen des Vorwurfes von schwarzer Magie wurde er 1440 in Nantes hingerichtet. Als »Blaubart« geisterte Gilles durch Opern des 19. Jahrhunderts und fügte sich damit in die romantisierende Verwandlung des Schlosses von Pornic unter der Regie des Architekten Viollet-le-Duc.
Brücke über die Loire bei St-Nazaire
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Pornic eine Steingutfabrik, ihre Produkte füllen die Souvenirläden der Gegend. Die Thalassotherapie, ein Heilverfahren, für das Meerwasser verwendet wird, etablierte sich erst ab 1990. Wer Strände sucht, sei auf Dupins Spaziergang verwiesen (siehe hier), bevor es nordwärts zur Loire geht, um in St-Brévin-les-Pins ein Meisterwerk der Technik zu bestaunen. 3356 m lang und 61 m hoch ist die Brücke, die 1972-75 über die Flussmündung geschlagen wurde. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad sollte man sie wegen des Seitenwinds nicht queren, was auch bedeutet, dass ein Erinnerungsfoto vom Brückenscheitel über die Loire nur unter Lebensgefahr gelingt. Prägnanter ist ohnehin der Fernblick auf die Brücke, doch achte man dabei auf ein Kunstwerk nebenan: die 130 m lange Aluminiumschlange Serpent d'Océan an der Pointe du Nez-de-Chien. 2012 rückte der chinesische Künstler Huang Yong Ping dieses metallene Ungeheuer an die Stelle, wo Loire und Atlantik verschmelzen. Bei Ebbe wird das Schwanzende der Schlange gerade noch befeuchtet, bei Flut ragt einzig der Kopf noch aus dem Meer. Die Schlange ist Teil einer Kunstaktion namens »Estuaire«, bei der ab 2007 am Unterlauf der Loire dreißig spektakuläre Arbeiten mit Bezug zur eigentümlichen Landschaft des Mündungstrichters installiert wurden.
Napoleons Küstenpfad der Zöllner, der Sentier des Douaniers, führt heute als Fernwanderweg GR34 einmal um die gesamte Bretagne herum. Hunderte atemberaubende Kilometer Kontakt zwischen Land und Meer. Steigen Sie ein mit einem Spaziergang ab Plage Birochère, südlich vom Zentrum Pornics, und spazieren Sie vom Ort weg Richtung Südosten (im Sommer immer Badesachen dabeihaben). Das Wasser hat etwas leicht Milchiges durch den feinen Tonschlamm auf dem Boden der Bucht. Er macht das Wasser weich und sorgt im Sonnenlicht für mysteriöse grünlich-gräulich-bläuliche Töne, Farbtöne des Meeres, die Sie sonst nicht sehen in der Bretagne.
Warum die Bretagne hier beginnt? Mit einem Mal ist das Wilde da, das Raue, Schroffe, Freie, diese Urkraft - in der Natur, den Landschaften, im Meer. Noch nicht als Ganzes, aber in Momenten! Das spezifisch Bretonische, nicht leicht zu beschreiben, doch deutlich zu spüren. Richtung Süden ist die Welt flach, sanft, harmonisch, der Atlantik zwar auch gewaltig, aber anders. Das Wilde fehlt. Und genau dieses wird von hier an immer da sein, selbst wenn manche bretonische Landschaft an das Mittelmeer oder die Karibik erinnert.
Sie folgen einfach dem Fußweg, der sich, bis zu 20 m über dem Meer, in zahllosen Biegungen an der Küste entlangschlängelt. Linker Hand prachtvolle Villen, Jugendstil, diskret in kleinen Pinienwäldchen verborgen. Alle mit hübschen Namen, meist Frauennamen, wie Boote. Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die gerade erfundene »Sommerfrische« erblühte, wurde auch Pornic zum Ferienörtchen und der Süden des Städtchens Residenz wohlhabender Pariser. Verglichen mit den Villen etwa in Dinard sind sie eher bescheiden, haben dafür aber umso mehr Charme und Flair. Charme ist überhaupt das Stichwort für den Spaziergang, alles hier hat einen eigenen sanften Charme, auch die zahlreichen kleinen, teils gut versteckten Strände, zu denen man vom Zöllnerweg hinabsteigen muss.
Alle hundert Meter stehen pêcheries im Meer, verwegene, grazile Holzkonstruktionen, zuweilen erscheinen sie wie Skulpturen oder gigantische Insekten. Kleine Fischerhütten auf sechs, sieben Meter hohen Stelzen, abenteuerlich in die Felsen gebaut, manchmal nur über Stege erreichbar, mit einem großen »Balkon« und einem hölzernen Kranarm. Daran ist ein Netz mit vier Verstrebungen fixiert, nicht größer als zehn Quadratmeter. Bei Ebbe stehen die Hütten auf Sand oder Fels, bei Flut im Meer. Dann lassen die Fischer die Netze herunter, warten kurz und ziehen sie abrupt wieder hoch. So fangen sie das, was an Meerestieren der Küste nahe kommt: anguille (Aal), chinchard (Bastardmakrele), crevette (Garnele), lieu jaune (Pollack) oder sole (Seezunge).
Ihren Rundgang beenden Sie am Ausgangspunkt, dem Strand Birochère. Dort wartet die Bar à vin et à manger Le 21 (www.le21-pornic.fr). Sie sitzen 20 m über dem Meer, schauen in die Ferne, vor Ihnen eine Bucht mit kleinem Sandstrand, typisch für die Gegend. Nach dem Aperitif wechseln Sie an Ihren Tisch im urgemütlichen kleinen Restaurant, alles einfach, aber wunderschön. Vielleicht lassen Sie sich ja vom carré d'agneau brulé et épicé, jus d'agneau au tandoori, millefeuille de pomme de terre et poireau verführen (gewürztes, im Tandoori-Ofen gebackenes Lammkarree mit Jus, dazu Kartoffeln und Lauch im Blätterteig).
Man begegnet an Frankreichs Atlantikküste mehrfach dem Phänomen, dass die alten Hafenstädte ein gutes Stück landeinwärts liegen, im Schutz einer breiten Flussmündung. So verhält es sich in Bordeaux, so ist es in Nantes. Der Kolonialhandel mit Segelschiffen wurde dort abgewickelt, doch in der Neuzeit zählten die Vorteile einer strategisch günstigen Lage weniger, es überwogen die logistischen Nachteile. Der Hafenbetrieb verlagerte sich flussabwärts nach Paimbouf und schließlich direkt an den Atlantik, nach St-Nazaire, wo die heute 71000 Einwohner unter anderem in den Werften oder...
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