Schweitzer Fachinformationen
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Mit diesem Buch will ich keinen Erlebnisbericht vorlegen, sondern Einblicke verschaffen in die Arbeit eines Seniorenarztes, der sich vor allem um demente Patienten kümmerte. Ich möchte anschaulich machen, wie die Arbeit in einem Pflegeheim verlaufen kann und an zahlreichen Beispielen verdeutlichen, wie verschiedenartig die Patienten reagieren. Ärzte und Pflegepersonal haben viele Möglichkeiten, um die letzte Lebensphase so angenehm wie möglich zu gestalten und allzu großes Leid zu vermeiden; bisweilen gelingt dies aber nicht. Auch auf die in den Niederlanden bestehende Möglichkeit der Sterbehilfe bei unerträglichem Leiden wird eingegangen, wobei die gesetzlichen Rahmenbedingungen und berufsrechtliche Anweisungen zur Sprache kommen, vor allem aber auch die Absicherungen, die Ärzte beachten müssen. Die Verwüstungen, die Krankheiten wie Alzheimer im Gehirn des Menschen verursachen können, lassen sich, wie an zahlreichen Beispielen gezeigt wird, am Verhalten der Patienten ablesen.
Zu berücksichtigen ist, dass Pflegeheime in den Niederlanden etwas anders strukturiert sind, als etwa in Deutschland. So gibt ein Patient, der in ein Pflegeheim überwechselt, seinen eigenen Hausarzt ab und wird nunmehr von den Ärzten des Pflegeheimes betreut. Diese "Seniorenarzt" genannten Spezialisten sind Tag und Nacht im Pflegeheim anwesend oder zumindest aufrufbar. Sie durchlaufen nach Abschluss des Medizinstudiums eine spezielle Ausbildung, die parallel zu der eines Hausarztes erfolgt, aber eben mit Spezialisierung auf ältere Menschen, mit Demenz oder körperlichen Beschwerden, auch wird stationäre Rehabilitierung durchgeführt. Zum Therapieteam eines Pflegeheims gehören auch die fest angestellten Psychologen, Ergotherapeuten, Diätisten und Logopäden. Weitere Unterschiede werden im Buch in Fuß- oder Endnoten sowie im Glossar erläutert.
Das Buch möchte helfen, die oft verzerrten Berichte über Euthanasie in den Niederlanden durch Fakten zu ersetzten. Sterbehilfe ist dort in weiten Teilen der Bevölkerung als eine Möglichkeit akzeptiert, um unerträglichem Leiden in freiwilliger Selbstbestimmung ein Ende zu setzen. Vielleicht regt dieses Buch in Deutschland zu einer Diskussion über Sterbehilfe an, ohne einseitige Bevormundung durch (streng) religiöse oder weltanschauliche Gruppen, wie dies in Deutschland noch der Fall ist. In den Niederlanden wird das Recht auf Selbstbestimmung, im Grundgesetz verankert, als ein sehr wesentliches, unverzichtbares Recht empfunden, das nicht veräußert werden darf. Aber: Auch in den Niederlanden ist Sterbehilfe kein Recht, das der Patient einfordern kann, auch ist kein Arzt verpflichtet, Sterbehilfe zu leisten - aber ein Arzt, der von dem Ernst der Bitte um Sterbehilfe unter Berücksichtigung eines unerträglichen Leidens überzeugt ist, darf laut Gesetz Sterbehilfe geben, auch bei dementen Personen.
Im Jahre 2001 erschien das niederländische Sterbehilfegesetz (Euthanasiewet), nach fast 30-jähriger Vorbereitung und endlosen Diskussionen in Politik und Gesellschaft. Grundvoraussetzungen sind der Wunsch des Patienten ("Selbstbestimmungsrecht") sowie das unerträgliche Leiden des Patienten. Weite Teile der Bevölkerung stehen diesem Gesetz positiv gegenüber, von einigen religiösen und weltanschaulichen Gruppen wird es jedoch abgelehnt und bekämpft. Das Gesetz ist das Ergebnis von umfassenden Diskussion, wie sich aus den Protokollen zu den Kammerdebatten zeigt, in denen minutiös auf fast 10.000 Seiten auf alle Aspekte moralisch-ethischer Art eingegangen wurde. Auch auf die Frage, ob das im Grundgesetz verankerte Recht auf Selbstbestimmung auch auf demente Patienten angewandt werden kann.
Im Rahmen dieses Gesetzes habe ich einer dementen Patientin Sterbehilfe gegeben, in der vollen Überzeugung, dass meine Handelsweise in jeder Hinsicht gesetzeskonform war. Die Kontrollkommission, die jede Sterbehilfe im Nachhinein untersuchen muss, urteilte jedoch, dass das Sterbehilfegesetz nicht bei dementen Personen angewandt werden darf, die nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte "ja" zur Sterbehilfe sagen können. Diese Kommission veröffentlichte ihr Urteil, wobei sie nur einige Fakten aus der Patientenakte aufführte und damit den Fall teilweise grotesk verzerrte. Da ich selbst durch die ärztliche Schweigepflicht gebunden war und keine zusätzlichen Fakten bekannt geben durfte, war ich der darauf folgenden Pressekampagne, die einer Schlammschlacht glich, hilflos ausgeliefert und konnte mich während der vier Jahre andauernden Prozesse nicht öffentlich wehren.
Einige Arztkollegen, die nur sehr unvollständig informiert waren, wandten sich gegen diese Form der Sterbehilfe. Andere, vor allem die streng-religiösen oder weltanschaulich gebunden Gruppen, füllten die Zeitungen, auch Radio- und Fernsehberichte, mit ihren Meinungen. Sie strebten danach, die Möglichkeit für Sterbehilfe entweder aus dem Gesetzbuch gestrichen zu sehen, oder zumindest bei tiefdement gewordenen Personen vollständig zu verbieten. Die von einigen Gruppen hochgepuschten Debatten fanden in Deutschland und anderen europäischen Ländern, selbst in Amerika, Südafrika und Neuseeland ein Echo.
Auch die Staatsanwaltschaft sah Anlass, hier einzugreifen. Sie beschuldigte mich des Mordes. Der Generalstaatsanwalt bekräftigte sogar die Wichtigkeit seiner Maßnahmen in mehreren Fernsehauftritten. Schnell wurde deutlich, dass es bei den strafrechtlichen Untersuchungen mehr um das Gesetz als um mich ging. Ziel der Staatsanwaltschaft war es, Klarheit zu bekommen im - nach ihrer Meinung - Graubereich rund um das Thema Sterbehilfe und Demenz. Möglicherweise spielte es auch eine Rolle, dass Sterbehilfe unter diesen Umständen erst einige wenige Male ausgeführt worden war.
Auffallend waren die negativen Auslassungen der zahlreichen "Ethiker", die inzwischen im Gesundheitswesen und in Regierungskommissionen überaus zahlreich anwesend sind. So bestand die Kontrollkommission, die mein Handeln beurteilen sollte, nur aus drei Personen: einem Juristen, einem Arzt und einem Ethiker. Ethik ist kein fest umschriebenes Wissensgebiet, es kann auch nicht "objektiv" genannt werden, denn bei vielen Vertretern dieser Berufsgruppe überwiegt die rein persönliche religiöse oder weltanschauliche Auffassung - und kann damit, wie die Erfahrung lehrt, weit von der Auffassung anderer Berufskollegen entfernt sein.
Nach endlosem juristischem Tauziehen und der Hilfe zweier auf das Thema spezialisierter Rechtsanwälte kam endlich, nach fast vier. Jahren, das erlösende Urteil der Strafkammer: "Freispruch", denn alles, was ich getan hatte, war konform des niederländischen Gesetzes zur Sterbehilfe. Auch dieses Urteil ging durch die ganze Welt, vor allem, weil die Staatsanwaltschaft sich damit nicht zufrieden geben wollte und den Fall dem höchsten Gerichtshof in den Niederlanden (Hoge Raad) vorlegte. Einige Monate später verkündete dieser Gerichtshof sein Urteil und bestätigte (ebenso wie zuvor die Strafkammer), das Sterbehilfe auch bei dementen, nicht mehr einwillligungsfähigen Personen zulässig ist - unter der Voraussetzung, dass diese eine Euthanasieerklärung noch vor ihrer dementen Periode aufgesetzt und unterzeichnet hatten, und unter der zweiten Voraussetzung, dass hier Rede sein muss von unerträglichem Leiden, das nicht behandelt werden kann.
Da ich selbst zehn Jahre lang als Seniorenärztin in einem Pflegeheim für demente Personen gearbeitet habe, weiß ich, dass Sterbehilfe bei dementen Personen höchst selten vorkommt und vorkommen wird. Kriterium ist ja, neben der Willenserklärung, das unerträgliche Leiden der Patienten. Dies aber ist etwas, das nur selten auftritt, denn sicher 98% der Bewohner leiden nicht ernsthaft unter ihrer Demenz. Interessant ist in diesem speziellen Zusammenhang die Antwort der Ministerin bei der Behandlung des Euthanasiegesetzes im Parlament: "In der Tat kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob der Patient, wenn die Situation wie in der Willenserklärung beschrieben vorliegt, noch immer den gleichen Wunsch zur Beendigung des Lebens hegt. Dies muss der Patient bei der Erstellung seiner Willenserklärung berücksichtigen ."
Für viele Menschen, vor allem in den Niederlanden ist es tröstlich, zu wissen, dass Sterbehilfe unter diesen Umständen möglich ist - sofern sie das vorher schriftlich festgelegt haben. In Deutschland ist dies noch nicht möglich, der Ethikrat hat sich in der Vergangenheit dagegen ausgesprochen und eine öffentliche oder parlamentarischen Diskussion scheint zur Zeit kaum möglich. Aber auch das wird sich vielleicht in absehbarer Zeit ändern.
Mein Buch soll den Weg zur Sterbehilfe aufzeichnen, wie er in den Niederlanden durch Gesetz vorgeschrieben ist. Dieser Weg ist außergewöhnlich gut durchdacht und kommentiert, die Vorschriften und Kontrollen sind besonders gründlich und nachahmenswert. Es wäre wünschenswert, wenn Ärzte, Juristen und Politiker dieses Buch durchlesen, um eventuell im eigenen Land mit weitreichenden Vorschlägen zu kommen, um auch diesen Weg begehbar zu...
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