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Ingmar Bergman
Du hast schon erzählt, dass Film dir in Deutschland nicht viel bedeutet hat. Bis du nach Paris kamst .
Meine Freunde waren begeisterte cinéphiles. Nouvelle Vague, das war ein Zauberwort. Alle wollten sie plötzlich auf die Straße gehen und Filme machen wie Godard oder Chabrol. Bis zu dem Zeitpunkt waren die Filme im Studio gedreht worden und eine teure Angelegenheit. Jetzt brauchte man keine Stars, keine teuren Schauspieler mehr, man schrieb rasch eine kleine Geschichte und drehte sie mit Freunden in den Pariser Straßen.
Eines Tages nahm mein Freund mich mit ins Champo, ein Filmkunstkino, das heute noch existiert, gleich neben der Sorbonne, und wir sahen Das siebente Siegel von Ingmar Bergman. Das war ein so einschneidendes Erlebnis für mich, dass damals schon der Wunsch in mir entstand, einmal selber Filme machen zu können. Aber ich hätte nie gewagt, ihn laut auszusprechen. Für eine Frau war das noch ganz undenkbar. Es gab zwar schon eine Agnès Varda, aber sie gehörte so sehr zur Nouvelle Vague, dass man sich darüber gar keine Gedanken machte, wie ungewöhnlich es war, dass sie eine Frau war.
Die Autoren-Theorie - les auteurs. In Frankreich war sie längst eingeführt und insbesondere durch die Redaktion der renommierten Filmzeitschrift Cahiers du Cinéma etabliert.
Wir gingen nicht mehr wegen der Schauspieler ins Kino, sondern wegen der Regisseure. Bergman, Hitchcock, Howard Hawks, John Ford, William Wyler, Billy Wilder . Viele könnte ich noch nennen. Nur deutsche Filme sahen wir nicht, auch keine deutschen Stummfilme. Vielleicht, weil meine Freunde die boches nicht mochten. Denn Filme von Lang, Murnau, Pabst wurden sehr wohl gezeigt. Volker erzählte mir später, dass er in der Cinémathèque die deutschen Zwischentitel ins Französische übersetzte und einsprach.
Das siebente Siegel hast du gerade erwähnt, es war der erste Bergman-Film, den du gesehen hast. Aber es ist nicht dein Lieblingsfilm von ihm. War das nicht eher Abend der Gaukler?
Abend der Gaukler habe ich als zweiten Film gesehen, und war wieder fasziniert von seiner Bildsprache und auch von den Schauspielern. Besonders der Beginn des Films: der Wagen der Gaukler im Frühlicht. Auf dem Bock der Kutscher, der dem Zirkusdirektor die tragische Geschichte des Clowns erzählt. Plötzlich wird der Film zum Stummfilm, das Weiß überstrahlend weiß, das Schwarz tiefschwarz. Die Frau des Clowns hatte sich mit einer Gruppe von Soldaten eingelassen, die sich an ihrem Exhibitionismus zwar erfreuen, sie gleichzeitig aber auf widerwärtige Weise verhöhnen. Der Clown, vom Zirkus herbeigerufen, hält die Schmach für seine Frau nicht aus, zerrt sie weg von den Soldaten, nimmt sie auf den Arm und trägt sie, barfüßig, einen langen steinigen Weg entlang, fällt mehrmals hin, steht immer wieder auf, sein Gesicht verzerrt vor Schmerz. Szene einer extremen Demütigung. Und Demütigung wird zum Hauptthema des Films. Alle Personen werden in dem Film gedemütigt. Erst wird der Thespis-Karren, mit dem sich die Gaukler in der Stadt bekannt machen wollen, von der Polizei aufgehalten, dann verweigert das Theater ihnen Kostüme, die die Truppe für die Abendvorstellung braucht, woraufhin die junge, schöne Geliebte des Direktors - gleichzeitig ist sie die Zirkusreiterin -, von ihm zum männlichen Star des Stadttheaters geschickt wird, um die Kostüme doch noch zu erhalten. Dieser verführt sie, indem er ihr ein Juwel verspricht, das sich hinterher als Tand herausstellt. Der Zirkusdirektor besucht unterdessen seine Frau, die in der Kleinstadt ein Kurzwarengeschäft führt, Inbegriff der Bürgerlichkeit und Sicherheit. Er will zu ihr zurückkehren, weil er müde geworden ist, stets unterwegs zu sein. Aber sie will ihn nicht mehr aufnehmen. Später, am Abend der Vorstellung in der Arena, wird er von eben dem Schauspieler, der die junge Geliebte verführt hat, vor aller Augen gedemütigt, indem er ihm den Sand der Arena in die Augen wirft und damit den Beifall der Menge gewinnt. Nach dieser Schmach, und wohl auch wegen der Erniedrigung durch seine Ehefrau, will er sich erschießen. Ihn rettet der Clown, der zu Beginn die Frau gerettet hatte. Nach all diesen Demütigungen zieht die Truppe weiter. Denn weiterzuziehen, das ist ihr Leben. Das könnte man auch über uns Filmemacher sagen, und bestimmt hat Bergman es so gemeint. Für Bergman war Demütigung immer wieder ein Thema, und dass er Schweden verließ, hatte wohl auch mit diesem Gefühl, gedemütigt worden zu sein, zu tun.
Dann kam Wilde Erdbeeren und Die Zeit mit Monika.
Nein, nach Abend der Gaukler sah ich einen Film von ihm, der in einer Entbindungsstation spielt. Er ist kaum bekannt. Der französische Titel hieß Au seuil de la vie, jetzt fällt er mir wieder ein.
Auf Schwedisch finde ich Nära livet von 1958, deutsch: Nahe dem Leben. Namhaft besetzt mit Ingrid Thulin, Bibi Anderson und Eva Dahlbeck - allesamt große Bergman-Schauspielerinnen.
Sie spielen Frauen, die in die Klinik gehen, um ihr Kind zur Welt zu bringen. Jede von ihnen hat ein anderes Lebensproblem. Die eine Frau ist nicht verheiratet und will das Kind nicht, eine zweite wünscht sich nichts so sehr wie das Kind, verliert es aber, die dritte will ihr Kind sofort nach der Geburt weggeben und so weiter. Das ganze Geflecht aus Liebe, Hass, Eifersucht - und natürlich erscheinen auch die jeweiligen Männer, aber sie bleiben Randfiguren.
Du hast dann bald schon einen Film gedreht, zusammen mit deinen Pariser Freunden: Morte la Mort von 1961.
Es war ein kleiner Gangsterfilm, wie ihn Truffaut und Godard damals auch gemacht haben. Die Hauptfiguren waren meistens liebenswerte Halunken, die zum Schluss sterben mussten. Immerhin haben wir, nachdem wir zunächst einige Filme auf 8 mm gedreht hatten, auch die nach einem richtigen Drehbuch, diesen Film dann auf 35 mm gedreht, in Schwarz-Weiß. Meine Freunde haben bei ihren Eltern und Verwandten um Geld gebettelt und damit den Film finanziert. An der Finanzierung konnte ich mich nicht beteiligen, aber ich habe mehrere Jobs gehabt. Mein Freund war der Regisseur, ich, seine Assistentin und Skriptgirl, hatte auch die Kostüme zu verwalten, und ich glaube, sogar die Kasse. Wir waren alles Laien, filmbegeisterte Laien, nur der Kameramann und sein Assistent waren Profis, und einer der Schauspieler. Er hatte zuvor in einem Film von Chabrol gespielt und behandelte uns mit Arroganz, meinte immer wieder: Ihr wisst ja gar nichts. Stimmte. Trotz unserer Unwissenheit ist es aber gar kein so schlechter Film geworden.
Kannst du dich noch daran erinnern, wo ihr gedreht habt?
Erst in Paris, dann in Marokko. Es ging um zwei Freunde, der eine Polizist, der andere ein Kleinstgangster, der abends in einer Kneipe Victor Hugo zitiert. Dieser gerät in Konflikt mit einer kriminellen Bande, die ihn nach Marokko lockt und dort gefangen nimmt. In Wirklichkeit aber sind sie gar nicht an ihm interessiert, wollen ihn nur als Köder benutzen, um sich an dem Polizisten rächen zu können. Ich erinnere mich an eine sehr schöne und spektakuläre Szene, die wir in Volubilis, einer römischen Ruinenstadt, gedreht haben. Um den Polizisten anzulocken, stellen sie seinen Freund auf eine antike Säule, sodass er schon von Weitem sichtbar ist. Der Polizist kommt auch tatsächlich, um seinen Freund zu befreien, wird aber vom Gangsterboss erschossen. Und der Film endet tragisch-gefühlvoll. Die Frau des Polizisten, die ihm nachgereist war, kann nur noch ihren sterbenden Mann in den Armen halten, unter einem grandiosen römischen Triumphbogen. Dazu eine Musik von Rodrigo: Concierto de Aranjuez für Gitarre und Orchester. Wenn ich sie heute höre, werde ich immer noch ganz nostalgisch. Und dieser Titel des Films: Morte la Mort. Der letzte Satz aus einem Shakespeare-Sonett: »Death once dead, there's no more dying then.« Hochtrabender geht's nicht.
Das alles ist sechzig Jahre her. Ist der Film erhalten?
Irgendwann hat mir mein damaliger Freund, mit dem ich in Kontakt geblieben bin, die einzige noch erhaltene Kopie geschenkt. Er ist Professor der Philosophie geworden und hat das Filmemachen aufgegeben, nachdem dieser Film keinen Verleih gefunden hatte und die Verwandten sicherlich nicht noch einmal bereit gewesen wären, ein zweites Abenteuer zu finanzieren. Trotzdem war zunächst ein zweiter Film, ein Western, geplant, auch der sollte in Marokko gedreht werden, und ich sollte die Hauptrolle spielen. Als ich zum Studium nach Deutschland zurückkehrte, dachte ich, ein bisschen Schauspielunterricht sollte ich schon nehmen. Ich bin zu einem Schwabinger Schauspiellehrer gegangen und, nachdem der Film nicht zustande kam, bei ihm geblieben. Meine französischen Filmfreunde waren fast alle auf der École Normale Supérieure. Elitestudenten. Sie mussten sich auf ihre Abschlussprüfungen vorbereiten.
Damit hat sich alles aufgelöst, sie sind ehrenwerte Professoren geworden . und der Wunsch, Filme zu machen, ist einzig an mir hängen geblieben!
Zurück zu Bergman: Im Mai 2018 hatte dein erster...
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