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Hamburg, 1945. Nach ihrer Ausbildung zu einer der ersten weiblichen Schutzpolizistinnen wird die junge Leni ausgerechnet der Hamburger Davidwache zugeteilt. Die Arbeit hat es in sich, denn auf der Reeperbahn gibt es viele Bars und Kneipen, viele Männer und viel käuflichen Sex. Hier sollen nun Leni, Alice und Elsa für Ordnung sorgen, nur mit Polizeibrosche und Trillerpfeife ausgerüstet, mit der sie bei Gefahr die männlichen Kollegen um Hilfe rufen. Doch von Frauen wollen sich die echten Kiez-Kerle nichts sagen lassen. Zunächst ... Denn Leni und ihre Kolleginnen lernen schnell, sich auch mit ungewöhnlichen Mitteln für ihre Schutzbefohlenen einzusetzen.
Hamburg, im August 1945
Leni Jacobsen versuchte, in der kleinen, an einer Stelle bereits gesprungenen Scheibe ihr Spiegelbild zu erkennen. Ömchen, die liebste und beste Großmutter, hatte ihr aus altem Vorhangstoff oder aus dem, was nach einem Wohnungsbrand ein paar Straßen weiter davon übriggeblieben war, ein Kleid genäht. Leni hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, als sie durch diese Wohnung gegangen war, und war sich vorgekommen, als würde sie plündern, aber es war keiner da gewesen, der ihr etwas hätte streitig machen können. Die Familie war einige Tage zuvor aus Hamburg fortgegangen, hatte alles mitgenommen, was ihr wichtig gewesen war, und Leni konnte den Stoff so gut gebrauchen, also hatte sie ihn mitgenommen. Ömchen hatte die Stellen mit den Brandlöchern vorsichtig in Falten gelegt und vernäht.
Wie durch ein Wunder hatte die alte Nähmaschine in Ömchens Wohnung, in der sie mittlerweile alle wohnten, die Bombenangriffe überlebt. Stolz und arbeitsbereit stand sie da, hatte sie nach jedem Angriff oben in der Wohnung begrüßt. Sie ließ sich nicht unterkriegen, die alte Naumann; sie schnurrte immer noch wie ein Kätzchen. Auch nachdem die Wohnung empfindlich getroffen worden war - die Naumann wartete unversehrt an Ort und Stelle darauf, dass sie wieder vor sich hinsurren und -singen konnte.
Das blaugrün karierte Kleid konnte man kaum als ehemaligen Vorhang erkennen, auch weil Ömchen eine Reihe alter silberner Manschettenknöpfe ihres Mannes Michel auf der Knopfleiste angebracht hatte.
Leni berührte die Knöpfe und dachte an ihren lieben Opa Michel. So weit sie zurückdenken konnte, hatte er den Schalk im Nacken gehabt, immer einen Witz parat, immer hatte er gute Laune. Und immer hatte in seiner Jackentasche ein Bonbon auf die Enkelkinder gewartet. Leni erinnerte sich an das knisternde Papier und den darauf folgenden Karamell- oder Zitronengeschmack.
»Meine kleinen Engel«, hatte Opa sie und ihre Schwester früher genannt. »Ach, was habe ich euch lieb, ihr Deerns.« Dann hatte er sie an sich gedrückt und so gut gerochen. Nach Pitralon, seinem Rasierwasser, nach dem Tabak seiner Pfeife, nach Seife und nach Arbeit. Letzteres konnte Leni sich nie genau erklären. Jedenfalls hatte sie diesen Geruch geliebt. Nachdem Ömchen nach Michels Tod dessen Kleidung umgearbeitet hatte, so dass sie alle noch etwas davon haben sollten, hatte Leni sich eine seiner Strickjacken gemopst, eine dunkelgrüne, und sie getragen, bis sie beinahe auseinanderfiel. Opas Geruch war heute noch an seinen Hosen, Hemden und Jacken präsent, jedenfalls bildete sie sich das ein, auch wenn es nach vielen Wäschen kaum möglich sein konnte. Und nun hatte sie also auch noch seine Manschettenknöpfe geerbt.
»Er braucht sie ja nicht mehr, Kind«, hatte Ömchen gesagt. Ach, ihr aller Ömchen. Luise Balduin war neunundsechzig Jahre alt, recht klein, aber unglaublich agil. Niemals hatten Helene und ihre Schwester Charlotte, die von allen nur Lotti genannt wurde, ihre Großmutter ohne einen Dutt gesehen. Das zähe Ömchen hatte sich in all den Kriegsjahren nicht unterkriegen lassen und jeden mit ihrer Liebe und einem mit Hoffnung gefüllten Herzen überschüttet. Jetzt arbeitete sie wie so viele andere Frauen zusammen mit Leni, ihrer Schwester und Mutter in den Trümmerlandschaften und schaffte das weg, was machtgierige Männer zurückgelassen hatten. Trümmerfrauen wurden sie genannt, und noch Jahre würde es dauern, bis alles beseitigt worden wäre und die Stadt wieder im alten noblen, hanseatischen Glanz erstrahlen konnte.
Vor ihrem ersten Arbeitseinsatz kurz nach Kriegsende war Ömchen in die Wohnstube gekommen, und ihre Tochter Margot und die Enkelinnen Leni und Lotti hatten aufgelacht. Ömchen war gekleidet gewesen wie ein Werftarbeiter oder wie ein Mann, der auf der Baustelle schuftete, also so wie Opi. Sie hatte alte Arbeitshosen von Opa Michel angehabt, Hosenträger und ein Hemd von ihm getragen, dessen Ärmel sie hochgekrempelt hatte. Opis Arbeitsstiefel hatten das Ganze abgerundet.
»Ich hab vorne Zeitungspapier reingestopft«, hatte Ömchen erklärt. »Wenn mir Steine auf die Füße fallen, macht das nüscht. Die Schuhe haben Stahlkappen. Auf geht's!« So war das Ömchen. »Außerdem hab ich Michel so bei mir«, hatte sie gesagt. »Das Hemd riecht sogar noch nach ihm.« Leni hatte darüber schmunzeln müssen, dass auch ihr Ömchen an diesem Geruch hing.
In den Kriegsjahren hatte Ömchen in den dunkelsten Stunden für helles Licht gesorgt. »Auf Regen folgt Sonnenschein«, »Wir lassen uns nicht unterkriegen«, »Das wird alles wieder, ich weiß es«, »Kopf hoch und weiter geht's!« Sie hatte im Luftschutzkeller ihre fünf Urenkelkinder so gut es ging an sich gepresst und mit ihnen lauthals Lieder gesungen, während über ihnen die Welt unterzugehen schien. Als die Nachricht gekommen war, dass ihr Mann gefallen war, hatte sie sich für eine Viertelstunde auf das Etagenklosett zurückgezogen.
Danach war sie wieder in die Wohnung gekommen und hatte gesagt: »Jammern hilft nicht. Weiter geht's.«
Leni fühlte sich beinahe edel. Sie seufzte. Zu gern hätte sie ein Paar Nylonstrümpfe besessen, echte, mit Naht, aber davon konnte sie nur träumen. Auch Palmers Strumpf-Zauber war zu teuer für sie, davon abgesehen, dass es schwierig sein würde, ihn zu bekommen. Der Strumpfhosenhersteller warb mit einer Flüssigkeit für die Beine, damit diese aussahen, als steckten sie in zarten bräunlichen Nylons. Dann musste man sich mit einem schwarzen Stift nur noch eine Naht über die Wade malen, und schon konnte man mitreden. Nun ja, dachte Leni. Alles zu seiner Zeit. Sie strich den Stoff unter der Brust glatt und spürte ihre Rippen.
Gute Güte, wie dünn sie geworden war. Wenn die alte Waage, die im Keller in der Waschküche stand, die Wahrheit sagte, wog sie bei ihrer Größe von einem Meter achtzig gerade mal einundfünfzig Kilo.
»Hinter 'nem Besenstiel kannst du dich verstecken, Leni, und Lotti auch«, seufzte Mutti immer.
Aber die Mutter selbst war ja auch dürr wie ein Strich in der Landschaft. Margot hatte während der Kriegsjahre ihre Rationen zum Großteil an die Kinder und Enkel verteilt. Sie und Ömchen gestanden sich nur das absolut Notwendigste zu. Auch jetzt, nach Kriegsende. Die Kinder gingen vor. Sie waren immer vorgegangen. So war das, und so würde es immer bleiben.
Lenis Kinder waren in der Not erfinderisch gewesen. Die nun zwölfjährige Liesel hatte während des Kriegs die Idee gehabt, aus Pferdeäpfeln die Haferkörner herauszupicken. Die brachte sie nach Haus und wusch sie, bevor sie sie aßen. Ihr ein Jahr jüngerer Bruder Hannes war ein flinker Bursche und hatte schon das ein oder andere Mal frisches Brot von einem Bäckerwagen stibitzt, während Lenis Nesthäkchen, die inzwischen neunjährige Greta, sich manchmal in die Räucherkammern der Schlachtereien schlich und einen Schinken und Würste mopste. Das kleine zierliche Mädchen sah so lieb und ehrlich aus, dass man ihr schlicht nichts Verbotenes zutraute.
»Komm, wir binden dir noch eine Schleife ins Haar«, schlug Liesel vor, bevor sie auf Beutezug gingen. »Dann siehst du ganz lieb aus. Wenn du die Menschen anlächelst, schöpft niemand Verdacht.«
Und Greta hatte mit der Schleife im Haar gelächelt.
Natürlich bekamen sie ein wenig Schimpfe von ihrer Mutter, aber die Alternative wäre ein wieder leerer Magen gewesen.
Als Hannes zum ersten Mal mit einem Brot nach Hause kam, lief Leni das Wasser so sehr im Mund zusammen, dass sie kaum mit dem Schlucken nachkam. Dieser Geruch. Brot! Noch warm! Es schmeckte so, wie frisches Brot einfach schmecken musste. Krumig, nicht klitschig, fluffig musste es sein und sich gut schneiden lassen. Die Kinder hatten kaum warten können, bis sie die erste Scheibe von diesem wunderbar köstlichen Brot bekamen, und heimlich schon ein Stück genascht, und noch eins, und noch eins.
»Macht langsam, Kinder, der Magen kommt nicht klar damit, wenn er lang kaum was bekommen hat, und nun auf einmal stopft ihr ihn voll«, hatte Ömchen weise gewarnt und recht behalten. Eine Stunde später hatten die Kinder starkes Bauchweh gehabt. Das war ihnen eine Lehre gewesen.
Leni, die von ihrem Vater ein unglaubliches, ehernes Gerechtigkeitsempfinden geerbt hatte, war es anfangs schwergefallen, ihren vermeintlichen Luxus einer unbeschädigten Wohnung nicht auch anderen zugänglich zu machen, und hatte vorgeschlagen, einige Wohnsitzlose bei sich aufzunehmen.
»Du bist wohl nicht gescheit«, hatte ihre Mutter Margot entschieden gesagt und abgewehrt. Auch Ömchen hatte den Kopf geschüttelt. »Wir haben doch selbst kaum genug. Lass man, Kindchen, wir müssen schau'n, dass wir selbst über die Runden kommen. Denk dran, dass du auch drei Kinder hast, und Lotti hat zwei. Dann noch wir vier Weiber. Wir müssen alle satt kriegen.«
»Es ist auch gar kein Platz«, hatte Margot festgestellt. Damit hatte sie wohl recht. Leni, ihre Mutter und Lotti sowie die fünf Enkelkinder waren in Ömchens Wohnung gezogen, nachdem die Männer einberufen worden und ihre eigenen Wohnungen den Bomben zum Opfer gefallen waren. Gemeinsam mit Lenis Großvater Michel hatte Ömchen schon immer in Barmbek gewohnt, und sie hatten ihre Zweieinhalbzimmerwohnung auch behalten, nachdem die Tochter ausgeflogen war und geheiratet hatte.
Michel war für Volk und Vaterland gefallen, ebenso wie sein Schwiegersohn Georg, Lenis Vater. Lotti war zwei Jahre jünger als Leni. Ihr Mann Sören war im ersten Kriegsjahr bei den Angriffen auf Polen gefallen, während Lotti mit ihrem zweiten Kind schwanger gewesen war. Ihre Trauer über den Verlust...
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