Schweitzer Fachinformationen
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Mehr als ein halbes Jahr war seit der Totgeburt vergangen. Rosina war schwermütig, Basilius vergrub sich in seinem Laboratorium, und Ida verbrachte so viel Zeit wie möglich bei Luisa, um der bedrückenden Stimmung im Hause ihres Onkels zu entkommen.
Ursula Imhoff hatte ihr einen dicken und einen dünnen Pinsel sowie einige Farben geschenkt, nachdem Ida erzählt hatte, dass die aufgemalten Bilder der Spanschachteln und Holzstandgefäße in der Apotheke mehr und mehr verblassten. Sie verstand es inzwischen ganz gut, mit dem Pinsel umzugehen, denn wann immer sie im Hause Imhoff war, widmete Ursula ihr und ihrer Tochter ein wenig Zeit und ließ die Mädchen malen.
Ida hatte sich im Vorratsraum neben der Offizin Platz geschaffen und zeichnete bedächtig die feinen verblassten Linien der Blüten und Blätter auf den Schachteln nach, ebenso die lateinischen Namen. Warum konnte man nicht einfach »Kuhschelle« schreiben und musste stattdessen die Schachtel mit »Pulsatilla vulgaris« beschriften?
Onkel Basilius war wie fast immer im Laboratorium, und Rosina versorgte den Garten mit seinen Heilpflanzen. Die Gartenarbeit schien sie aus ihrer Schwermut zu holen, wenigstens für einige Stunden. Die Linien der ersten Schachtel, die sich Ida vorgenommen hatte, waren bereits getrocknet, und sie tauchte den Pinsel in ein kräftiges Violett, um die zarten Veilchenblüten auszumalen. Gerade als sie den Pinsel ein weiteres Mal in die Farbe tunkte, stand plötzlich ihr Onkel hinter ihr.
»Was treibst du da, Kind? Solltest du nicht Rosina im Garten jäten helfen?«
»Rosina wollte allein sein. Ich dachte, ich mache dir eine Freude und bemale die Spanschachteln neu. Sieh nur, die Veilchen strahlen wieder«, erwiderte Ida und deutete auf das frisch bemalte Kistchen.
Basilius hob anerkennend die Augenbrauen und spitzte die Lippen. »Das ist wirklich schön. Wer hat dir das beigebracht?«
»Luisas Mutter. Sie malt wunderschön, ich wünschte, ich könnte das auch, und sie hat mir die Farben und Pinsel geschenkt«, erzählte Ida mit leuchtenden Augen.
»Du hättest mir sagen können, dass du dir Pinsel und Farben wünschst. Ich hätte sie dir gekauft, Ida.« Zärtlich strich er über ihr Haar.
»Ich dachte, du und Rosina . ihr seid noch so traurig, da wollte ich nicht .«, stammelte sie leise. Über ihre gerade noch freudige Miene legte sich ein unglücklicher Schleier.
»Du hast ein gutes Herz, Ida, wir werden darüber hinwegkommen. Aber du darfst nicht denken, dass wir uns nicht weiter um dich kümmern. Verstanden?«
Ida nickte, und ein kleines Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. »Es gefällt dir also? Ich will alle Schachteln neu bemalen, eine nach der anderen.«
»Wenn du so viel Freude daran hast, gern. Aber vergiss darüber nicht deine Pflichten oder vernachlässige sie.«
»Nein, bestimmt nicht. Danke, Onkel.«
Basilius schien angestrengt nachzudenken.
»Meinst du, du kannst eine Rose malen? Nur eine einzige mit einer großen Blüte, so wie die Dunkelrote im Garten an der Ecke unter dem Erker?«
»Ich weiß nicht, ich kann es versuchen. Aber wozu?«
»Für Rosina. Der Goldschmied fertigt mir eine Gemme mit einer Rose. Ich will sie Rosina schenken, um sie aufzuheitern. Sie liebt diese Blumen, und mir kam soeben der Gedanke, den Schmuck in einer bemalten Spanschachtel zu verpacken. So schenken wir ihr beide etwas.«
»Aber ich brauche Papier, um vorzuzeichnen.«
»Sollst du bekommen.«
Die folgenden Tage verbrachte Ida im Garten, wann immer sie Zeit dafür fand. Meist dann, wenn Rosina sich zurückzog. Seit dem Verlust ihres Kindes hatte sie sich noch nicht gänzlich erholt, sie fühlte sich erschöpft und legte sich nach dem einfachen Mittagsmahl immer wieder zur Ruhe. Basilius hatte Ida Papier und einen Silberstift besorgt. Staunend sah sie, mit welcher Leichtigkeit ihr Onkel einen Fisch zeichnete. Basilius war selbst ein Künstler, stellte sie erstaunt fest.
»Die grauen Linien werden in einigen Monaten die Farbe verändern und braun werden, das liegt an der Papierbeschichtung«, erklärte Basilius.
»Warum zeichnest nicht du die Rose? Du kannst das viel besser als ich«, fragte Ida.
»Ich habe viel zu viel zu tun«, wischte er ihren Einwand mit einer Handbewegung zur Seite. »Es braucht etwas Übung, mit dem Silberstift zu zeichnen. Hier, versuche du es.«
Ida nahm den Stift in die Hand.
»Du musst dir genau überlegen, welchen Strich du machen willst, denn einmal gezogen, lässt er sich nicht rückgängig machen«, riet Basilius. »Zeichne einfache Dinge wie einen Kreis oder ein Ei.«
Zuerst war sie zu zaghaft, doch nach und nach traute sie sich mehr zu.
»Siehst du, du machst das ganz gut. Jetzt zeichne einen Zweig mit Blättern daran. Lass dir Zeit.«
Als sie später fertig war, sah ihr Onkel sie mit einem bewundernden Blick an. Es waren nicht nur einfache Blätter, sondern sie ließen jegliche von der Mittelrippe ausgehenden Adern erkennen. Auch auf die fein gezähnten Ränder der kurz gestielten und wechselständig angeordneten Blätter hatte Ida geachtet, dazwischen fanden sich die wehrhaften Dornen. Am Ende des Zweigs zeigte sich eine zarte Knospe.
»Du hast eine Gabe, mein Kind. Du hast eine Gabe«, murmelte Besler beeindruckt.
Das Geschenk hatte Rosina in Entzücken versetzt, und sie konnte sich an Gemme und Schachtel nicht sattsehen.
»Und du hast dies ohne Hilfe gezeichnet?«, hatte sie Ida wieder und wieder gefragt. Als sie die neu bemalten Spanschachteln begutachtet hatte, war sie voll des Lobes gewesen.
»Basilius, du solltest Ida zu einem Maler schicken, der sie unterrichtet«, hatte Rosina zu Idas Überraschung vorgeschlagen.
»Ich werde darüber nachdenken«, hatte Basilius versprochen.
Das war vor vier Monaten gewesen, der Herbst hielt Einzug, und bisher hatte sich nichts im Hause Besler verändert. Einzig Rosinas Stimmung hatte sich merklich verbessert. Alle Schachteln waren inzwischen wie neu, und Ida vermisste das Bemalen. Seufzend faltete sie Tischwäsche zusammen und verstaute sie in den Schränken. Dann ging sie zu Rosina, um zu lernen, wie man die Bücher führte.
»Alles muss aufgeschrieben werden, jeder Pfennig, jeder Heller, der eingenommen und ausgegeben wird«, sagte Rosina und deutete auf zwei Spalten in einem dicken Buch. »Siehst du? Hier sind die Einnahmen und dort die Ausgaben einzutragen.«
»Wozu macht man sich diese Mühe?« Ida rollte mit den Augen.
»Damit wir wissen, wie viel Geld wir besitzen. Alle Zahlen jeder Spalte werden zusammengerechnet und dann voneinander abgezogen, verstehst du? Die Bücher werden geführt, damit man nicht den Überblick verliert und zu viel ausgibt.«
»Meinst du, es muss jetzt gespart werden, nachdem Onkel das ganze Haus vor fünf Jahren für sechshundertvierzig Gulden gekauft hat?«
»Woher weißt du davon?«
Ida zuckte mit den Schultern. »Ich habe gehört, wie er mit Martinus Justus darüber gesprochen hat.«
»Du hast gelauscht.«
»Nein, das hab ich nicht. Muss ich auch eintragen, was die Eier gestern auf dem Markt gekostet haben?«
»Jeden Heller und Pfennig, wie ich schon sagte.«
»Rechnen fällt mir schwer«, gestand Ida.
Plötzlich wurde Rosina blass und sie hielt die Hand vor den Mund. Dann stürzte sie aus der Schreibstube. Ida lief hinter ihr her.
»Was ist mit dir?«
In diesem Augenblick erbrach Rosina würgend das Mittagsmahl. Ein säuerlicher Geruch stieg Ida in die Nase, während ihre Tante sich keuchend mit einer Hand an der Wand abstützte.
»Bring mir Wasser«, krächzte sie und ließ sich langsam auf den Boden gleiten, blieb mit dem Rücken an die Wand gelehnt sitzen.
Flink stieg Ida die Treppe hinab in die Küche, schubste die Magd beiseite, griff nach einem Becher und dem Wasserkrug, rannte an der verblüfften Diethild vorbei und wieder nach oben. Rosina saß noch immer auf dem Boden, bleich, aber mit einem seltsamen Lächeln im Gesicht. Dankbar nahm sie den Becher entgegen und trank.
»Sag der Dienstmagd, sie soll das aufwischen«, bat sie Ida und deutete auf das Erbrochene, »und hilf mir auf.«
Rosina war klein und zierlich, und es bereitete Ida nicht allzu viel Mühe, sie zu stützen. Auf weichen Knien ging Rosina wieder in die Schreibstube und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Ida füllte den Becher noch einmal und reichte ihn Rosina.
»Ich bin wieder guter Hoffnung«, gestand ihre Tante leise.
Das erklärte ihr Lächeln, und Ida freute sich für sie.
»Weiß Onkel schon davon?«
Rosina schüttelte den Kopf. »Nein, ich war mir noch nicht sicher, aber jetzt . Es ist wie beim letzten Mal. Da war mir auch oft übel.«
Ida erinnerte sich an die vielen Morgen, als Rosina vom Tisch aufgestanden und aus der Stube geeilt war. Angst bemächtigte sich ihrer, als sie darüber nachdachte, ob die Übelkeit bedeutete, das Kind würde wieder tot zur Welt kommen.
Basilius war außer sich vor Freude, als er später vernahm, er würde Vater werden.
»Ich verspreche dir, dieses Mal trinke ich den Schafgarbensud«, sagte Rosina glückstrahlend, »auch wenn er noch so bitter schmeckt.«
»Du wirst sehen, der Brechreiz wird gelindert, wenn nicht gar verschwinden«, antwortete Basilius, fasste kurz nach ihrer Hand und streichelte mit seinem Daumen über ihren Handrücken.
»Ida«, wandte er sich dann seiner Nichte zu, »ich habe eine Überraschung für dich.«
Gespannt...
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