Schweitzer Fachinformationen
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Juan nippte gelangweilt an seinem Drink. Die Eiswürfel in seinem Whisky klimperten bei jedem Schluck. Er sass nur mit Boxershorts bekleidet auf dem kleinen Balkon seiner spärlich eingerichteten Zweizimmerwohnung hoch über den Dächern von Buenos Aires, rauchte genüsslich eine Zigarette und verfolgte von oben den hektischen Alltag der Grossstadt. Er wohnte in einem heruntergekommenen, ungepflegten Hochhaus in Retiro, einem Gebiet im Süden von Buenos Aires, das vor allem wegen der Hafennähe und einem riesigen Güterbahnhof als Handelszentrum bekannt war. Es war halb elf am Morgen und die Sonne brannte bereits heiss vom Himmel. Hupende Autos, Taxis, die jede kleine Lücke nutzten, um dem Verkehrsstau zu entkommen und damit den Zorn der Autofahrer auf sich zogen, röhrende Busse mit kaputten Auspuffen und Tausende von Menschen, die sich auf den engen Gehwegen gegenseitig im Weg standen. Das Chaos rund um die Plaza San Martin nervte Juan. Er mochte es geordnet. Ich hätte die grösste Lust, mein Gewehr mit Zielfernrohr zu holen und jeden Autofahrer, der mich mit seinem Gehupe nervt, abzuknallen! Dieser Gedanke amüsierte Juan. Ihm gefiel das Gefühl, das er dabei empfand, über andere Menschen und deren Schicksal bestimmen zu können. Er lebte nach dem Machtprinzip. Wer Macht über andere Menschen besass, kontrollierte deren Leben. Eine Weisheit, die ihm sein Vater beigebracht hatte.
Juan war Mörder aus Überzeugung, kein kleiner Gelegenheitsmörder, der aus Verzweiflung oder Geldnot tötete. Das Töten war sein Beruf und seine Berufung. Er machte sich einen Spass daraus, seinen Opfern auch nach ihrem Tod noch die letzte Würde zu nehmen. Oft beliess er es nicht nur beim Töten, sondern inszenierte noch etwas mit Körperteilen der Leiche. Ganz am Anfang seiner zweifelhaften Karriere schnitt er einem Opfer beide Ohren ab und nagelte sie an die Wand neben der Leiche. Mit einem Stift schrieb er darüber: «Wer nicht hören will, muss fühlen!» Dieser Mord brachte ihm damals den Übernamen «La Mano de Van Gogh» ein - die Hand Van Goghs. Ihm gefiel das. Übernamen waren für ihn immer eine Respektsbezeugung. Um seinem Ruf gerecht zu werden, schnitt er fortan seinen Opfern immer mindestens ein Körperteil ab und verband es mit einem Spruch. Mit den Jahren verkürzte sich sein Übername auf «La Mano» - die Hand.
«Warst du zufrieden mit mir?»
Juan drückte seine Zigarette auf dem Balkongeländer aus. Isabella, eine Edelhure mit langen braunen Haaren und Modelfigur, stand in aufreizenden Strapsen hinter ihm und massierte ihm kräftig den Nacken. Forsch wischte Juan ihre Hände von seinen Schultern. «War ganz okay. Dein Geld liegt auf dem Esstisch. Bis bald.» Juan nahm einen grossen Schluck Whisky.
«Soll ich es dir nochmals besorgen?»
«Nein», antwortete Juan gelangweilt. Starr blickte er auf das Verkehrschaos unter ihm.
«Rufst du mich wieder an, Süsser?»
«Jaja!» Sie fing an, Juan zu nerven. Er drehte sich zu ihr um und schaute ihr bedrohlich in die Augen.
«Hör zu, Mädchen, ich habe dich nicht dafür bezahlt, um mit mir zu quatschen. Ich hatte meinen Spass und du hast dein Geld, also sind wir beide glücklich. Jetzt nimm es und verpiss dich!»
«Ist ja gut, ich wollte nur freundlich sein!»
Beleidigt schlüpfte die Hure in ihr knappes Kleid, stieg in ihre hohen Schuhe, nahm die dreihundert US-Dollar vom Tisch und verliess leise fluchend das kleine Apartment.
Undankbares Miststück! Wahrscheinlich hat sie gedacht, sie könne noch mit mir frühstücken! Juan leerte sein Whiskyglas in einem Zug und stand auf. Der Alkohol machte sich bereits in seinen Beinen bemerkbar. Etwas benommen ging er in sein Schlafzimmer und zog sich an. Er entschied sich für eine leichte, beige Stoffhose und ein weisses Seidenhemd, um den Hals hatte er eine schwere Goldkette. Zu dieser Jahreszeit war die Hitze in Argentinien unerträglich. Barfuss schlüpfte er in seine braunen Wildlederschuhe. Juan hielt sonst nicht viel von teuren Dingen, aber schöne Kleidung war ihm wichtig. Seine kleine Wohnung im Herzen von Buenos Aires war eine Bruchbude und auch die alten, unpassenden und schlecht arrangierten Möbel liessen nicht vermuten, dass Juan reich war. Dabei war er sogar sehr reich. Sein Vater, Gerhard Kessler, ein geflohener SS-Offizier aus Deutschland, hinterliess ihm nach seinem Tod ein Vermögen in Kunstschätzen und Raubgold, das er bei seiner Flucht aus Deutschland hatte mitgehen lassen. Wie viele andere deutsche Kriegsverbrecher, erkaufte sich auch Juans Vater eine teure Staatsbürgerschaft und die damit verbundene Immunität in Argentinien. Darum hiess Juan eigentlich Juan Kessler. Eine ulkige Kombination. Er war während der Schulzeit oft deswegen gehänselt worden. Seine roten Haare und blauen Augen liessen jeden erkennen, dass er ein Fremder war. «Fosforito» - Zündhölzchen - hatten sie ihm auf dem Schulhof immer zugerufen. Juan hatte damals sehr darunter gelitten und lernte, seine Gegner mit Gewalt zu bändigen.
Er hatte nie verstanden, warum er nicht wie ein Einheimischer wahrgenommen wurde. Schliesslich wurde er 1968 in Buenos Aires geboren und hatte immer dort gelebt. Noch immer hörte er seine Mutter sagen: «Du hast halt einen deutschen Vater und seine Gene haben sich leider mehr durchgesetzt als meine! Dafür bist du hier etwas Einzigartiges, ein Star.» Seine Mutter Esmeralda war Argentinierin. Mit diesen Worten hatte sie ihn zu beruhigen versucht, wenn er wieder einmal weinend und mit blutigen Händen nach Hause gekommen war.
Dass sein Vater ein international gesuchter Kriegsverbrecher war, wusste damals niemand, nicht einmal seine Mutter. Sie hatte geglaubt, einen reichen Deutschen und damit ihr Lebensglück gefunden zu haben. Erst als man seinen Vater 1975 nach langen Recherchen ausfindig machen konnte, war die ganze Wahrheit ans Tageslicht gekommen. Von da an waren sie nur noch auf der Flucht. Da die argentinische Regierung plötzlich auf internationalen Druck so etwas wie ein moralisches Gewissen bekommen hatte, half auch das sonst so effiziente Schmieren der Beamten nicht mehr, sie wurden erbarmungslos verfolgt. Aus taktischen Gründen nannte sich die Familie fortan nach der Mutter: «Fuentes». Sie waren ständig unterwegs, die Angst, entdeckt zu werden, immer im Nacken. Seine Mutter zerbrach daran, mit einem Kriegsverbrecher verheiratet zu sein, und beging 1979 Selbstmord. Sein Vater Gerhard starb 1986 mit einundneunzig Jahren einsam und verlassen auf dem Land.
Juan löste sich schon vorher von seinem Vater und zog mit sechzehn zu seiner Tante in die Hauptstadt, bis er auf eigenen Füssen stehen konnte. Er fing ein Studium als Zahnmediziner an und bestritt den Lebensunterhalt mit kleinen Botengängen als Drogenkurier. Zu jener Zeit war das an der Uni nicht ungewöhnlich. Für Juan bedeuteten diese Botengänge den Einstieg in die Unterwelt, und sein erster Auftragsmord liess nicht lange auf sich warten. Seine Fähigkeit, den Opfern medizinisch genau die Zähne ziehen und Fingerkuppen abschneiden zu können, bevor er sie verbrannte, hatte sich schnell herumgesprochen. Damals gab es noch keine DNS-Analysen. Namenlose Opfer machten es der Polizei nahezu unmöglich, die Geschichte hinter dem Mord herauszufinden. Damit waren die Auftraggeber geschützt. Eine Goldgrube für Juan.
Zu jener Zeit fiel ihm auch die Sache mit den Ohren ein. Als er dann mit zweiundzwanzig noch das Erbe seines Vaters erhielt, wusste er nicht wohin mit dem vielen Geld. Schon als Auftragskiller kannte er keine Geldsorgen mehr, doch mit den zusätzlichen Millionen des Vaters schien ihm seine Ausbildung sinnlos geworden zu sein. Er brach das Studium ab. Mit den Morden hätte er eigentlich auch aufhören können, doch er machte weiter. Zu sehr genoss er es. Töten war für ihn eine Sucht. Auch das schien er von seinem Vater geerbt zu haben. Wie er später einmal herausfand, war sein Vater ein gefürchteter Leiter eines Konzentrationslagers gewesen. Dadurch, dass Juan es nicht mehr nötig hatte, jeden Auftragsmord anzunehmen, wurde er noch interessanter und gefürchteter in der Szene. Nur noch die einflussreichsten Verbrecher konnten ihn sich leisten.
Mit einem lauten Signalton verkündete Juans Handy den Empfang einer SMS. Juan griff in die Tasche seiner braunen Lederjacke, die er am Abend zuvor über einen Stuhl gehängt hatte. Neugierig schaute er auf das Display.
Hast du Zeit für etwas Kunst?
Im Museo de la Cuidad gibt es
eine fantastische Ausstellung.
Kommst du mit?
Wir treffen uns in einer Stunde
am Eingang. Bring den
Fotoapparat mit.
Gruss, Perro
Juan war erstaunt. Perro - Hund - war der Deckname seines Bosses, Ramon Vasquez, des grössten und gefürchtetsten Drogenhändlers des Landes. Sein Kartell wurde das «Barone-Kartell» genannt. Sicherheit hatte in diesem Geschäft höchste Priorität, darum gab keiner seinen...
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